Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
wie immer erst der Hinweis auf die jüngste Kolumne: VERDAMMTE ZAHLEN – Der Journalist Bernhard Ubbenhorst schreibt mir dazu: „Danke für Deine neue Kontext-Kolumne. Hat mich sehr berührt.“
Wer mir etwas sagen möchte, erreicht mich jederzeit hier: flaneursalon@joebauer.de
Beim Stuttgarter CHRISTOPHER STREET DAY an diesem Wochenende kam es am Samstag zu einem Vorfall mit Polizei und linken Aktivist:innen – sehr jungen Leuten aus der Provinz. Vorneweg: Ich war nicht dabei, kann aber guten Gewissens sagen, dass Polizeiberichte über politische Aktionen und deren mediale Verbreitung mit den Realitäten oft nicht viel zu tun haben. Da es außer dem offiziellen Polizeibericht und den entsprechenden Reaktionen, z. B. vom hetzerisch-ahnungslosen Stuttgarter OB und seiner Gefolgschaft, noch eine andere Sicht der Dinge gibt, hier fairerweise der Link zur Stellungnahme der Beteiligten/Betroffenen: LINKER JUGENDBLOCK
ALLTAG.
Heute ist Sonntag, und ich hab draußen gerade ein paar Schritte gemacht, wirklich nur ein paar Schritte zum Luftholen, bevor ich anfing, diese Zeilen zu tippen (Joggen ist erst morgen). Ob man in der Urbanstraße wirklich Luft holen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich spüre das Kesselklima, seit ich in der Nähe des Kernersplatzes wohne. Fast zweieinhalb Jahre bin ich schon hier – und muss mich seit einem Jahr immer wieder mit Heiserkeit herumschlagen. Der HNO-Arzt diagnostizierte Funktionsstörungen im Kehlkopf und Stimmbandreizungen: nichts Gefährliches, nur gelegentlich etwas lästig. Also: Wenn ich krächze, ist das nicht zwingend Corona oder so. Ich bin nur ein Staubsauger und Dreckschlucker.
Mein schon zwei Jahre und vier Monate langes Leben an der Grenze zwischen Mitte und Ost in der Stadt kommt mir nach Trennung und Umzug seltsamerweise immer noch nicht wie der Alltag vor, nicht wie der Alltag zuvor. Einiges erscheint mir nach wie vor neu, und ich glaube fast, das hat auch etwas mit dem Alter zu tun. Veränderungen brauchem mehr Zeit, um verdaut zu werden, sie beschäftigen länger als früher das Hirn, die Erinnerungen sind stärker und bleiben länger wach. Auch wenn ich nach dem Umzug viele Dinge so ähnlich mache wie vorher, hat sich dennoch etwas geändert: Über allen Unternehmungen schwebt eine gewisse Freudlosigkeit, auch dann, wenn sie mal gut gelingen. Es stellt sich hinterher nicht das geringste Hochgefühl ein.
Freudlosigkeit ist etwas anderes als Frust oder Depression. Freudlosigkeit hält einen zumindest nicht davon ab, was zu tun. Nichts zu tun, hab ich neulich bei einer sehr jungen japanischen Autorin gelesen, sei oft anstrengender, als etwas zu tun. Das beruhigt mich, auch angesichts des verheerenden Rechtsrucks und des faschistischen Kesseltreibens an allen Ecken und Enden. Und dann habe ich immer einen Satz der iranischen, in Deutschland lebenden Autorin GILDA SAHEBI im Ohr. Bei einer Lesung mit iranischen Kolleg:innen im Stuttgarter Literaturhaus wurde sie gefragt, welche Aktionen sie denn hierzulande für sinnvoll halte im Blick auf die iranische Henker-Diktatur. Sie sagte: „Es gibt keine kleine Sachen.“ Bedeutet: Es geht darum, wenigstens Zeichen zu setzen: vor allem gegen das Vergessen.
Mit Gilda Sahebis Worten kann ich mich bei aller Freudlosigkeit – die ja nicht der Blick auf die Welt, sondern auf das Private hervorgebracht hat – über Wasser halten. Und so gibt es eben weiterhin kleine Sachen. Dazu gehören auch Dinge, die nicht primär politisch sind und doch ein paar andere Signale senden sollen als die Johl- und Selbstfeier-Unterhaltung, dieser Lärm aus Schenkel- und Schulterklopf-Getue.
Flaneursalon am Freitag, 18. August, im schönen Garten der Ratze am Raichberg, Gaisburg. Beginn 19 Uhr. Ab 16 Uhr gutes Essen. Karten: ratzestr@gmail.com
Und wie ein Unbelehrbarer versuche ich hier, den Vorverkauf für Die Nacht der Lieder anzukurbeln: die beiden Benefiz-Shows für den guten Zweck am 5. und 6. Dezember im Theaterhaus. Karten online: THEATERHAUS – telefonisch: 0711/4020720 – und täglich an der TH-Kasse.
Zum Schluss wieder ein schöner SONG, geschrieben übrigens von Woody Guthrie, interpretiert von Billy Bragg & Wilco: CALIFORNIA STARS