14. Mai 2023
Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
am Freitag, 12. Mai, ist der Schweizer Historiker und Verschwörungsunternehmer Daniele Ganser mit seiner Vortrags-Show vor 1000 Besucher:innen in der ausverkauften Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen aufgetreten. Sein stattlicher Anhang nutzte den Termin, um auch außerhalb der Halle ein Spektakel zu inszenieren. Sie hatten – zusätzlich zur Hallen-Veranstaltung- eine große, überdachte Bühne aufgebaut und feierten eine als Kungebung und Demo angemelde Unterstützungsparty. Unter den Teilnehmer:innen befanden sich auch Leute der Querdenken-Bewegung und sattsam bekannte Rechte. Das örtliche Bündnis Solidarität statt Hetze, das sich während der Pandemie gegründet hat, hatte eine kleine Gegen-Kundgebung organisiert, bei der ich als Gastredner dabei war. Hier der Text meiner Rede:
Schönen guten Abend auf den Fildern,
liebe Freundinnen und Freunde, auch heute machen wir eine sehr angenehme Erfahrung: Auf den Fildern ist die Solidarität zur Verteidigung demokratischer Errungenschaften ungebrochen. Es gab in dieser Gegend seit dem Ausbruch von Corona viel zu tun, um den Auswüchsen der sogenannten Querdenken-Bewegung aufrechte Haltung entgegenzusetzen. Das war und ist umso wichtiger, als die Pandemie mit all ihren Folgen, mit all ihren richtigen und falschen Maßnahmen von rechten Ideologen instrumentalisiert wird. Gerade auch auf den Fildern, wo man den Verdacht haben muss, das ausgerechnet hier verdammt viel in der rechten Ecke ins Kraut schießt.
Kundgebungen, wertes Publikum, sind nicht nur dazu da, mit Parolen gegen Missstände zu protestieren. Sie dienen auch der Aufklärung. Und damit bin ich beim Thema. Selbstverständlich wäre es Unsinn, alle, die sich den Querdenkern angeschlossen haben, als Rechte oder Nazis zu sehen. Mit dem Begriff Nazi ist man schnell zur Hand, ohne zu prüfen, ob die so Beschuldigten tatsächlich etwas mit dem Nationalsozialismus am Hut haben, ob sie die historischen und heutigen Vordenker und die Inhalte dieser verbrecherischen Ideologie überhaupt kennen.
Unsere Aufgabe muss es sein, die Einflüsse der Rechten zu erkennen und den Methoden und Machenschaften der völkischen Nationalisten entgegenzuwirken. Wo diese Leute auftauchen, müssen demokratische Kräfte zur Stelle sein, um ihnen auch mit körperlicher Präsenz ihre Grenzen aufzuzeigen. Deshalb ist es ein Glücksfall, dass hier auf den Fildern dieses Bündnis Solidarität statt Hetze dauerhaft im Einsatz ist. Politische Arbeit ist gerade vor der eigenen Haustür sehr wichtig. Dafür schon mal einen Applaus.
Natürlich ist „Hetze“ ein großes Wort, auch wenn der Hass in unserer Gesellschaft dauerhaft präsent ist, vor allem in den sozialen Medien. Heute Abend sind wir unter anderem hier, um zu zeigen, dass wir den Auftritt eines geschäftstüchtigen Gurus des Verschwörungsglaubens und die Umtriebe seines fragwürdigen Anhangs nicht schweigend hinnehmen.
Wir können in diesem Fall von einem Geschäft mit den Verschwörungsmythen reden. Denn der Mann, um den es geht, verdient gutes Geld mit seinen Vortrag-Shows. Und mit seinen Büchern, die man auch über den rechten Kopp Verlag beziehen kann. Die Fans und Unterstützer dieses Popstars kommen auch aus dem Querdenken-Milieu und ebenso von rechts. Damit noch mal zum Geschäft: Der Begriff „Querdenker“, den der IT-Unternehmer Michael Ballhaus für seine Events gegen die Corona-Maßnahmen gewählt hat, wurde vor Jahren in der Marketing-Industrie populär, er sollte vermitteln, dass bei den Business-Operationen moderner Konzerne ein überlegenes Denken herrscht, das von den gängigen Normen, also vom Mainstream abweicht.
Der Begriff Mainstream wiederum wird von Rechten wie von der Querdenken-Bewegung zur pauschalen Verächtlichmachung von Medien missbraucht. Differenzierung gibt es hier nicht. Leute aus der Querdenken-Bewegung wähnen sich im Besitz eines exklusiven, eines in ihren Augen höheren Wissens, in ihren Kreisen auch „Wahrheit“ genannt. Der Begriff Wahrheit dient ihnen dazu, Schwarz- und Weiß-Denken zu verbreiten, die Dinge in Gut und Böse aufzuteilen. So spaltet man die Gesellschaft und schafft Konflikte, die sehr oft den Rechten zugute kommen.
Heute Abend wäre es falsch, uns nur mit der Figur Daniele Ganser zu beschäftigen, mit seinen clever aufgebauten Frage- und Antwortspielen. Seine Masche ist es, Behauptungen wie wissenschaftliche Fakten aussehen lassen.
Doch zunächst einmal: Was eigentlich ist eine Verschwörung? Ganz einfach: Ein bestimmter Kreis von Menschen leistet einen Schwur, etwas zu tun. Wir kennen alle den Rütli-Schwur, den Eid von 33 Schweizer Männern im 13. Jahrhundert, um gegen Tyrannen aufzustehen. Das war genauso eine Verschwörung wie etwa die Planung des Attentats auf Hitler am 20. Juni 1944. Dann allerdings gibt es Verschwörungen, die lediglich vermutet und als Gerüchte verbreitet werden. Oft in der Absicht, die Bevölkerung zu verunsichern und ihr Angst einzujagen. Die Angst, eine Art diffuser Furcht ohne konkrete Gründe, ist der beste Nährboden zur Verbreitung nationalistischer, rassistischer, antisemitischer Ideologien. Dazu gehört beispielsweise der Verschwörungsglaube, es habe keinen Holocaust gegeben. Ganser formuliert seine Behauptungen sehr geschickt und subtil. Etwa wenn er sagt, es habe in einigen Ländern immer wieder lokal „Wahnsinn“ gegeben, unter anderem die Vergasung von Juden durch die Nazis in der Hitler-Diktatur. Beim Blick auf Corona aber erkenne er „weltweit Wahnsinn“, nämlich die Spaltung der Gesellschaften in Geimpfte und Ungeimpfte.
Mit dieser Kombination von Holocaust und Corona-Maßnahmen befeuert er den Verschwörungsglauben. Dazu wird nachher des Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, etwas sagen. Seine Verschwörungsmythen, oder auch seine Verschwörungsideologie, verbreitet Ganser unter dem Deckmantel der Wissenschaft; er ist ja promovierter Historiker und nennt sich selber Friedensforscher.
Viele der Verschwörungsgläubigen, das wissen wir aus Interviews mit Querdenkern, fühlen sich in ihrer individuellen, man könnte auch sagen: in ihrer egoistischen Freiheit beschränkt – und damit von einer staatlichen Macht oder einer weltweit organisierten Übermacht bedroht. So entsteht eine Mischung aus Unmut und Angst. In diesem Klima schürt man die Propaganda, alle unsere Medien seien gleichgeschaltet und würden uns nach Strich und Faden belügen und manipulieren. Außerdem werde jede von dieser Presse-und Regierungspropaganda abweichende Meinung verboten und verfolgt.
In ihrem Irrsinn laufen dann Querdenken-Leute mit Davidstern herum und folgen Figuren wie Ganser, der beim Blick auf sich selbst und das, was er Wahrheit nennt, von Sophie Scholl spricht – einer Frau, die wegen ihres Widerstands von den Nazis mit dem Fallbeil ermordet wurde. So stilisiert er sich zu einem Opfer einer mysteriösen Macht, das einen gewaltsamen Tod fürchten muss. Wie zum Hohn verdient derselbe Mann sein Geld aber mit seinem Recht auf freie Meinungsäußerung.
Die Strategie der Verunsicherung, wie sie all die Gansers beherrschen, funktioniert besonders gut, wenn Menschen unter wirtschaftlichen Problemen leiden. Unter existenziellen Bedrohungen. Wie jetzt, in der herrschenden Inflation. Oder wenn sich unsere Gesellschaft in Meinungslager spaltet wie angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Gesellschaftliche Zerrüttung war schon immer der Boden für nationalistische Realpolitik, verbunden mit Rassismus und Antisemitismus. Und in dieser Atmosphäre werden Menschen zu Sündenböcken gestempelt. Man macht Jagd auf die, die nicht ins menschenverachtende Bild von Nationalisten passen.
Wir alle hier müssen deshalb die bestehenden Errungenschaften der liberalen Demokratie verteidigen: unsere Versammlungsfreiheit, die immer öfter eingeschränkt wird. Unsere Meinungsfreiheit, die wir definitiv haben. Unsere vielen Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden. Mit unseren Aktionen müssen wir aufklären und Solidarität gegen die Feinde der Demokratie schaffen. Wir brauchen dringend Bündnisse, in denen Linke und Linksliberale und alle demokratischen Kräfte zusammenarbeiten, um Faschisten und deren Sympathisanten zu stoppen. Erst diese Woche haben wir wieder erfahren, dass die rechte Kriminalität im Land weiterhin bedrohlich zunimmt. Dass Hass und Hetze verbreitet werden, etwa gegen Geflüchtete.
Unser größter Feind zurzeit sind ganz sicher nicht die öffentlich-rechtlichen Sender oder die Presse. Der größte Feind der Demokratie ist die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Wer an einer Lebensmittel-Tafel vorbeikommt, weiß, wovon ich rede. Wie und wo Unmut entsteht. Wir müssen deshalb für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Denken wir an die Krise in der Pflege oder die erschreckend zunehmende Altersarmut. Denken wir an das sich ausbreitende Klima des Militarismus, das eine Law-and-Order-Politik mit sich bringt, die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten bereits brutal zu spüren bekommen.
Zur Seite stehen müssen wir also den Benachteiligten. Kämpfen müssen wir für eine Umverteilung. Verschwörungsglaube, das lehrt uns die Geschichte, führt die Gläubigen oft ins rechtsradikale Milieu – und dort warten die erklärten Feinde der sozialen Gerechtigkeit, etwa die Rechtsextremen der AfD. Deshalb: Lassen wir uns nicht spalten, suchen wir untereinander den Dialog, handeln wir im Sinne eines kämpferischen Miteinanders.
Ich bedanke mich bei euch allen – und hoffe, dass wir uns bald wieder bei solidarischen Aktionen sehen.
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LIVE UNTER FREIEM HIMMEL: ES GIBT NOCH KARTEN
Auf den Flaneursalon am Freitag, 9. Juni, im Ratze-Garten muss ich vermutlich nicht mehr aufmerksam machen. Im vergangenen Jahr war die Nachfrage auf einmal so groß, dass ich einen zweiten Abend mit neuer Besetzung ansetzen musste – auch diese Show auf der Bühne hoch über der Stadt war dann ausverkauft. Es waren sehr schöne Veranstaltungen in einzigartiger Umgebung. Karten gibt es per Mail: ratzestr@gmail.com – und am Tresen im Wirtshaus Schlesinger. Achtung: Essen im Ratze-Garten am 9. Juni von 16.30 Uhr bis 18 Uhr. Showbeginn 19 Uhr.