Liebe Besucher:innen,
unsere kleine Lieder- und Geschichtenshow, der Flaneursalon intim am Sonntag, 4. August, im Zirkuszelt des Festivals Umsonst & Draußen auf dem Vaihinger Festplatz war sehr gut besucht. Eine schöne runde Sache, speziell für den Anlass arrangiert. Musik gemacht haben Eva Leticia Padilla & Dany Labana Martínez – und als Überraschungsgast Toba Borke. (Siehe Text unten auf dieser Seite.) – Der nächste Flaneursalon mit größerer Besetzung findet am Freitag, 30. August im Garten der Gaststätte Ratze statt. Guter Blick vom Raichberg auf die Stadt. Beginn 19 Uhr. Wie immer gibt es von 16.30 Uhr bis 18 Uhr Essen. Reservierungen sind bereits möglich: ratzestr@gmail.com – Näheres über die Ratze findet sich hier: RAICHBERG
Und meine neue Kontext-Kolumne steht schon hier: RAKETEN
Und damit zu unserem Netzwerk Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie:
Gleich nach den Wahlen in Frankreich haben wir uns um einen Abend zu einem wichtigen, aktuellen Thema gekümmert – und hoffen jetzt auf guten Besuch. Sommer und Urlaub dürfen kein Grund sein, politische Arbeit zu vernachlässigen. Kontinuität zählt. Zwar wissen wir, dass sich politische Dinge aus historischen und systembedingten Gründen nicht einfach übertragen lassen, dennoch muss uns die Frage interessieren: Wie schaffen wir eine gemeinsame Front gegen die extreme Rechte? Und was müssen wir ändern? Dazu Erfahrungen aus unserem Nachbarland:
Mittwoch, 21. August, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Beginn 19 Uhr:
Frankreich nach der Wah – und der Nouveau Front populaire:
Welche Chancen hat demokratische
Bündnispolitik gegen die extreme Rechte?
Referate, Diskussion mit:
Judith Yacar-Boitier, Dozentin für Romanistik, Uni Stuttgart.
Dr. Sebastian Chwala, Politikwissenschaftler, Marburg.
Moderation: Dr. Annette Ohme-Reinicke, Stuttgart
Mit freundlicher Unterstützung von Institut français und Rosa Luxemburg Stiftung.
Eintritt wie immer frei.
Für Anmeldungen sind wir dankbar: zentrale@wkv-stuttgart.de Mail-Betreff: Frankreich
Weitere Veranstaltungen:
Musik als Kampfmittel in der Fascho-Szene
Samstag, 21. September 2024. Im Wizemann. 19 Uhr
Anmeldungen: gegenrechts@imwizemann.de
Die extreme Rechte
Ideologie – Akteure & Aktionsfelder – Gegenstrategien
Mittwoch, 16.Oktober 2024. Merlin, 19 Uhr
In Kooperation mit lpb – Anmeldungen: info@merlinstuttgart.de
Und diesen Text habe ich für unseren Flaneursalon intim bei Umsonst & Draußen gemacht und vorgetragen, im Wissen, dass viele zum ersten Mal und eher zufällig unsere kleine Show besuchen würden. Eine Zusammenfassung über Sinn und Zweck einer speziellen Unterhaltungsform:
Schönen guten Tag, liebes Publikum,
Es ist ohne Lüge eine Freude, dass wir heute hier sind. Umsonst und draußen schafft nach wie vor einen wichtigen antifaschistischen Freiraum, einen unkommerziellen Ort der Begegnung, den wir verteidigen müssen. Ich verfolge diese Sache seit dem ersten Tag – was bei meinem Alter ja irgendwie logisch ist. Vielen Dank jedenfalls alle, die Umsonst & Draußen organisieren und unterstützen.
Zunächst mal einige Bemerkungen zum Flaneursalon, warum er nicht nur für mich ganz nützlich ist – auch im Blick auf das Motto des U & D-Festivals: „Demokratie verteidigen – gegen Rechtspopulist*innen“. Diese kleine Show namens Flaneursalon gibt es seit bald 26 Jahren, heute habe ich sie mal wieder Flaneursalon intim genannt, was bedeutet: Wir haben eine ungewöhnlich kleine Besetzung. Normalerweise sind mehr Künstler:innen auf der Bühne; Musiker:innen aus unterschiedlichen Genres und immer auch ein Gast aus dem Kabarett- oder Satire-Bereich. Heute also das minimalistische Sondereinsatz-Kommando für Umsonst und Draußen.
Gegründet habe ich diese Lieder- und Geschichtenshow eher zufällig, 1998, als ich meine erste Kolumnen-Sammlung vorstellen musste. Das Buch hieß Stuttgart – my Cleverly Hills. Damals hatte ich keine Lust, diese Präsentation in der Tradition des Verlags zu machen, also Texte vorzulesen, während sich das Publikum Schmalzbroten und Trollinger hingibt, bis es einschläft. Tatsächlich hatte ich schon immer ein Vorliebe für bunte, gemischte Shows – mit dem Geruch des Varietés. Deshalb ist es sehr schön, heute in einem Zirkuszelt auftreten zu dürfen. Wer den Affen macht, muss auch mal in die Manege.
Varieté bedeutet nichts anderes als Verschiedenes – und ist im Grunde eine großstädtische, eine urbane Unterhaltungsform. Urban deshalb, weil sie unterschiedliche Dinge und Menschen an einem Ort zusammenbringt, die sich ergänzen. Schon vor hundert Jahren traten im Varieté Kunstfurzer, Elefanten-Wegzauberer und Dichter wie Ringelnatz ohne Berührungsängste in einer Show auf.
Nun konnte ich mangels Masse nicht auf Elefanten und Pups-Artisten zurückgreifen, aber der Gedanke der vereinigten Verschiedenheiten reizte mich – und so arrangierte ich schon in den Neunzigern immer wieder Mixed Shows, ohne selber auf der Bühne mitzumachen. Dazu hatte ich viel zu viel Schiss.
Meine Mix-Versuche fanden zu einem Zeitpunkt statt, als der Begriff Vielfalt noch nicht so abgedroschen war wie heute. Der Flaneursalon war später nie eine kommerzielle Sache, dafür ist er in seiner üblichen Form zu aufwändig – ich konnte das immer nur machen, weil ich selber kein Geld damit verdienen, sondern nur die Beteiligten anständig entlohnen muss.
Im Lauf der Zeit wurde der Kreis der Künstler:innen immer größer, und ganz bewusst wechseln ständig die Besetzungen. Heute sind immer noch einige aus der Anfangszeit dabei, und manchmal auch schon ihre Kinder, die inzwischen selber professionell auftreten.
Der Gedanke hinter dem Flaneursalon ist simpel: Unterschiedliche Dinge und Menschen begegnen sich auf derselben Bühne, und in ihrer Verschiedenheit erkennen wir ihre Gemeinsamkeit. Das jedenfalls ist meine Hoffnung.
Ich finde es merkwürdig, wenn heute immer noch Begriffe wie interkulturell oder multikulti verwendet werden. Das Wort Kultur wird fortwährend falsch verstanden. Das merke ich beispielsweise bei der Vorbereitung von Kundgebungen und Demos, wenn die eher widerwillige Ansage kommt: Wir brauchen vielleicht noch einen Kulturbeitrag. Gemeint ist damit in der Regel Live-Musik. Diese Sicht der Dinge ist Unsinn: Kultur ist nicht, wenn jemand Gitarre, Geige oder Laptop spielt. Kultur steht für eine Lebensart – und da kommt nun mal einiges zusammen.
Wenn ich in der Straßenbahn nach Cannstatt fahre, am Wilhelmsplatz aussteige und durch die Seelbergstraße gehe, wird mir bewusst, dass bei der Geschwätzigkeit über Interkultur und Multikultur der ganz normale Alltag übersehen wird. Der spiegelt unsere Kultur, unser Leben. Als oft recht einsamer Eingeborener auf meinen Spaziergängen bin ich mir da sicher.
Das Gehen an sich, das Herumgehen in der Stadt, ist der Kern meiner Texte – da geht es schon lange nicht mehr um Ausflugs- oder Wandertipps, sondern um die Bedeutung der Bewegungsart eines aufrecht gehenden Tiers namens Mensch. Das Umherschweifen in der Stadt eröffnet Blicke, beeinflusst das Denken, löst Gedankensprünge aus. Die Straße ist wie ein Buch: Wir lernen, ihre Geschichten zu lesen, es ergeben sich Zusammenhänge, wir erkennen, warum Vergangenheit immer auch Gegenwart ist. Und die Straße hat rebellische Energie. Paris beispielsweise gilt als die Stadt der Revolution, nicht zufällig war sie schon früh auch die Stadt der Spaziergänger.
Das Gehen ist für mich kein Kult, keine Marotte. Gehen öffnet Wege des Denkens. In Autos, in der Bahn, auch auf dem Fahrrad fliegen die Dinge an dir vorbei. In einer Autostadt wie Stuttgart allerdings ist Gehen nicht immer ein Spaziergang.
Der Flaneursalon wiederum mit seinem Netzwerk in Sachen Technik, Musik und Wort – und die Erfahrung mit dramaturgischen Abläufen sind mir sehr hilfreich, wenn es darum geht, politische Aktivitäten organisatorisch und inhaltlich zu unterstützen.
Nebenbei: Die emotionale Kraft von Live-Musik bei Aktionen wird oft sträflich unterschätzt. In der Protestkultur sind in meinen Augen und Ohren künstlerische Beiträge für das Straßenpublikum genauso wichtig wie Reden – und nicht etwa nur Pausenfüller. Das gilt übrigens auch für den Humor, der in seiner Schärfe oft mehr zu Tage fördert als die wortreiche Analyse im traditionellen Parolen-Sound. Allerta! Einfacher gesagt: Pointen machen Power.
Ohne Flaneursalon wäre ich übrigens auch nicht auf die Idee gekommen, im März 2020, kurz vor dem ersten Lockdown in der Corona-Pandemie, mit ein paar Freunden die Künstler:innensoforthilfe zu starten. Zuerst dachten wir, mit etwas Glück könnten wir vielleicht 50.000 Euro oder ein paar Kröten mehr sammeln, um in unserer Umgebung Selbstständigen in Kunst- und Kulturarbeit fürs Erste zu helfen, bis Staatskohle eintrifft. Im Lauf der Pandemie, als wir die Sache zu weit und sehr ernsthaft betrieben, erhielten wir dann insgesamt 1,6 Millionen Euro Spenden. Die konnten wir unkonventionell, das heißt sehr schnell an Menschen in Not verteilen; darunter auch an viele Studierende aus allen möglichen Ländern. Erst vor Kurzem haben wir die Künstler:innensoforthilfe beendet.
Auch hinter dieser Aktion steckte ein politischer Gedanke. Die Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe. Es ging uns nicht um Almosen für eine seit eh und je prekäre Branche, sondern darum, die Kunst- und Kulturarbeit in allen Bereichen solidarisch als wichtigen Bestandteil einer demokratischen Lebensweise zu verteidigen. Vor allem gegen die Angriffe der Rechten, die während der Corona-Zeit kräftig Aufwind bekamen. Leider wurde die solidarische Idee von den Betroffen nur wenig beachtet – sie brauchten halt etwas Geld. Erst kommt das Fressen, und dann die Moral.
Das Netz-Prinzip allerdings erhielt bei mir durch die Künstler:innensoforthilfe neue Nahrung – und so gründeten wir vor einem Jahr in kleinem Kreis unser Netzwerk Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie. Mit dem Motto Für eine bessere Demokratie wollen wir signalisieren, dass es nicht nur darum gehen darf, etwas gegen die AfD und den brauen Sumpf zu unternehmen. Die herrschenden Zustände schaffen den Nährboden für das Erstarken faschistischer Kräfte. Wir müssen etwas gegen die sozialen Ungerechtigkeiten tun. Gegen die Wohnungsnot, die obszöne Schere zwischen Arm und Reich, mangelnde Bildung usw. Systemkritik ist Pflicht.
Ziel unseres kleinen Netzwerks ist es, mit möglichst vielen Menschen auf dem antifaschistischen Spektrum zusammenzufinden. Dazu gehören neben engagierten Menschen aus konventionellen Parteien, Gewerkschaften und Initiativen ganz selbstverständlich auch unsere Vertrauten von Stuttgart gegen Rechts und aus Antifa-Bündnissen.
Seit einem Jahr machen wir regelmäßig politische Aufklärungsabende und auch mal größere Aktionen, zuletzt im Mai war das unser Fest Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie, u. a. mit Akteur:innen aus der politischen Wissenschaft wie Klaus Dörre und Künstler:innen wie Joy Denalane & Max Herre, Max Uthoff …
Von Anfang an hatte ich bei solchen Dingen die historische Volksfront im Hinterkopf. Dieser von mir nicht allzu ernst gefasste Gedanke scheint nicht besonders zeitgemäß und wurde eher grinsend aufgenommen – die Entwicklung in Frankreich mit dem Nouveau Front populaire hat den Blick auf dieses Thema inzwischen etwas verändert, Wobei man beachten sollte: Volksfront ist eine grobe und falsche Übersetzung. Eigentlich geht es beim Front Populaire seit jeher um die Front von denen da unten gegen die da oben.
Hinter allen genannten Aktivitäten, die ich als alter Pessimist ganz sicher nicht mit den FDP-Vokabeln ergebnisorientiert und erfolgsorientiert verbinde, steckt ein simples Motiv: Ich bin neun Jahre nach dem Krieg geboren, und spätestens, als ich sechzehn war, habe ich wie viele andere die Älteren gefragt: Was eigentlich habt ihr gemacht? Bald bin ich selber im Gehstock-Stadium und möchte auf diese Frage nicht dauernd antworten müssen: Na ja, ich habe die Spiele der Stuttgarter Kickers besucht.
Ich denke, wir müssen ständig politisch etwas tun, uns vernetzen, uns organisieren, auf die Straße gehen. Dies allerdings darf nicht die Lust aufs Vergnügen töten, Im Gegenteil. Politische Arbeit erfordert auch Freude und Spaß und Witz. Der Flaneursalon ist keine politische Aktionsform, Gott bewahre. Er dient der Unterhaltung, der Entspannung. Und damit ich euch hier nicht länger den Spaß verderbe, halte ich jetzt erst mal die Klappe – es gibt wieder Musik, und die macht Freude: Hier sind Eva Leticia Padilla und Dany Labana Martínez …