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2565. Depesche
1. Oktober 2025

2566. Depesche

Willkommen!

Liebe Besucher:innen, es ist wieder so weit: Etwas Lesezeug, geschrieben im Zwei-Wochen-Rhythmus, hinein in die weite Leere des Internets, ohne irgendeine Ahnung, wer das liest, wenn überhaupt. Das werde ich so lange weitertreiben, wie es mir Spaß macht und die Birne und die Finger mitspielen. Ganz unnütz ist es nicht, dieses Spiel, beim Tippen kommen einem Gedanken, und manchmal muss einfach etwas raus, so wie es immer war. Niemand zwingt mich, und kündigen kann mir nur ich selbst.

Noch ein kleiner Hinweis am Rande: Die 24. Nacht der Lieder am 19. und 20. Dezember im Theaterhaus ist fast schon aisverkauft.

Meine kleine Website Story
Die Homepage-Kolumne (11)
WHERE’S THE BEEF? 

Alle Witze über das EU-Verbot, vegane oder vegetarische Wurst- und Fleischnachbauten im Handel Wurst und Fleisch zu nennen, stehen inzwischen eingedost im Kalauerregal. Die brandneue EU-Verlautbarung gefällt weiten Kreisen der Bevölkerung ähnlich gut wie die politische Anweisung, Gurken und Bananen richtig zu biegen. Am besten von links nach rechts.  

Ich bin kein großer Freund von Wurst- und Fleischimitaten auf angeblich pflanzlicher Basis, räume aber ein, dass ich mir regelmäßig beim vorzüglichen Imbiss mit dem mondänen Namen „Hotdogle“ in der Neckarstraße die Veganversion zwischen die Brotdeckel legen lasse. Und zwar deshalb, weil das Material rund um die Wurstfälschung ohnehin geschmacklich dominiert: Ketchup, Senf, Spezialsoße, karamellisierte Zwiebeln, Jalapenos, Gurken. Alles klar?

Vom heimischen Hotdog erzähle ich alter, müder Hund hier nicht zum ersten Mal, im Moment ist die Sache aber wieder heiß. Die Lebenshilfe der EU irritiert mich nur insofern, als wir im richtigen Leben ständig den Begriff Wurst oder Wurscht verwenden, ohne auf korrekte Substanzen zu achten. Oft geht es nur um die Form eines Gegenstands oder Körpers, der an eine Wurst erinnert. Ein herumhüpfender Hanswurst oder eine joggende Wurstpelle sind auch keine echten Würste. Zugegeben, der Vergleich hinkt etwas, denn beide werden normalerweise nicht im Supermarkt feilgeboten. Eine Fleischkäse dagegen schon.

Der Fußballtrainer Ernst Middendorp landete 1997 einen Mediencoup, als er nach dem 5:2 seiner Arminia Bielefeld beim 1. FC Köln einen Radioreporter anfauchte: „Knien Sie nieder, Sie Bratwurst!“ Jahre später sagte der Coach: „Ich habe vollste Hochachtung vor Fleischereien und sicherlich nie etwas einzuwenden gegen eine schöne Bratwurst – von daher darf der Kommentar von damals nicht zu sehr auf die Goldwaage gelegt werden.“

Niemals. Eine Bratwurst kostet schon genug. Früher, als Middendorp noch Bielefelds Trainer war, hätte ich zu einer Wurst-Affäre wie heute garantiert eine komplette Zeitungskolumne, äh, zusammengewurschtelt. Heute nutze ich die Gunst der Stunde, mich mit diesem Thema vorübergehend aus der Gesamtsituation zu befreien. Jetzt, da ein Präsident im Auftrag bigotter, größenwahnsinniger Milliardäre die Vereinigten Staaten von Amerika in eine Autokratie bzw. Theokratie verwandelt und gleichzeitig von der „Jüdischen Allgemeinen“ und der „Welt“ als Kandidat für den Friedensnobelpreis empfohlen wurde (wo er doch ebenso den Literaturnobelpreis für seine Internetprosa verdient hätte). Zum Glück hat dann die wahre Friedensnobelpreisträgerin ihre Auszeichnung als Zeichen ihrer demokratischen Gesinnung dem großen Demokraten Trump gewidmet. In dieser Lage schnappe ich wie ein nasser Hund nach jedem veganen Zipfel, um mich abzulenken. 

Schlimm genug ist schon der Blick vor die eigene Haustür. Ständig habe ich den Eindruck, da draußen braue sich am helllichten Tag etwas Dunkles, etwas Unheimliches zusammen. Ein Gefühl, das mir auch dann noch zu schaffen macht, wenn ich mitten in der Nacht aufwache und nicht mehr einschlafen kann. Als ich am Morgen, bevor ich diese Zeilen getippt habe, zum Fenster ging, sah ich Berge tagelang nicht abgeholter gelber Säcke. Der Plastikmüll stört mich keineswegs ästhetisch – wie etwa Trump die Hässlichkeit seiner Kriegsschiffe. Allerdings wirken die verbeulten Beutel jetzt auf mich wie Barrikaden, die Gehwege versperren, die mal frei waren und an guten Tagen in die Zuversicht führten.

Nach wie vor bin ich Stadtspaziergänger, und eigentlich ist es schön, durch den sonnigen Oktober zu spazieren und das Laub auf der Straße vor sich herzukicken. Und ich wünsche mir, es könnte mir in meinem Kaff noch ein einziges Mal so ähnlich gehen wie Virginia Woolf 1928 in England: „Auch kann London selbst mich immer wieder ansprechen, stimulieren, mir ein Theaterstück, eine Geschichte, ein Gedicht zuspielen, ohne dass ich mehr machten müsste, als meine Beine durch die Stadt zu bewegen.“

Neulich, als ich mal eine halbe Stunde lang ohne Ziel an unserer Stadtautobahn von der Mitte in den Süden entlangstiefelte, durchzuckte mich der Gedanke: Ist hier eigentlich noch Europa? Was ist von Europa geblieben, außer einer Falschwurstdebatte? Solches Zeug wandert einem nicht durchs Hirn, weil man am Straßenrand zu viele Abgase schluckt. Es hat mit einer Endzeitstimmung zu tun, die nicht von meinem Alter herrührt – und gegen die ich mich wehren muss, bevor es zu spät ist.

In meiner vorherigen Kolumne habe ich auf Rebecca Solnits Buch „Hoffnung in der Dunkelheit“ hingewiesen: auf eine essayistische Auseinandersetzung mit den historischen, oft vergessenen Erfolgen von Engagement und Aktivismus. Bei der Lektüre ist mir klargeworden, dass ins Dunkel zu schauen nichts mit Schwarzseherei zu tun hat. Niemand kennt die Zukunft, diese dunkle Ungewissheit, die zunächst einmal nichts zwingend Böses birgt. Vielmehr sagt sie uns: Alles ist drin, aber all dein Hoffen muss gekoppelt sein an dein Handeln. Und zwar immer zusammen mit anderen. Das ist leichter gesagt als getan, weil niemand genau weiß, was getan werden kann und muss, um das Schlimmste zu verhindern.

Nach wie vor bin ich dafür, politische Veranstaltungen zu organisieren: Informationsabende, Kundgebungen, Demonstrationen. Und selbstverständlich bin ich mir im Klaren, dass kein Mensch voraussehen kann, wozu sie gut sind. Erinnert sich noch jemand, wie Anfang vergangenen Jahres hierzulande Hunderttausende auf die Straße gingen, weil Correctiv-Reporter ein Treffen hochkalibriger Rechtsextremer in Brandenburg aufgedeckt hatten? Es ging bei dieser Zusammenrottung um „Remigration“, und auf einmal wurde vielen bewusst, dass Menschen gewaltsam aus dem Land geschafft werden sollen, die ihre Nachbarn sind. Die in unserer Umgebung Geschäfte und Restaurants betreiben, die in Heimen und Krankenhäusern arbeiten und unersetzlich sind.

Die Demo-Welle verebbte schnell wieder, war aber immerhin ein Zeichen, was möglich ist. So gesehen ist es richtig, an diesem Motto festzuhalten: Hoffen und handeln, handeln und hoffen. Es ist wichtig, Menschen zu treffen, mit ihnen zu reden, in der Hoffnung auf Ideen, die hoffen lassen.

In jüngster Zeit haben junge Menschen überall in Städten Zusammenkünfte organisiert, bei denen sie Pudding mit der Gabel essen. Nicht unbedingt ein  revolutionärer Akt; die Beteiligten greifen nicht wie die aufständischen Bauern vor 500 Jahren zu den Mistgabeln und verüben erst recht kein Pudding-Attentat wie 1967 die Kommunarden um Fritz Teufel, die den Vizepräsidenten der USA mit Dessert bekleckerten. Allerdings gefiel mir der hoffnungsfrohe Hinweis eines zeitgenössischen Pudding-Gablers, den ich im „Spiegel“ las: Es gehe um „Zusammenhalt, gemeinsam dumm zu sein“.

Dieses Bedürfnis kann ich gut verstehen, etwa seit den Streitereien um Gaza. Kaum ein Gespräch, das nicht innerhalb von Minuten dreitausend Kilometer Richtung Osten abdriftet. Diese Auseinandersetzungen setzen mir zu. Im Internet wie in der Realität irre ich herum zwischen Ratlosigkeit, Rechthaberei und Borniertheit – selbst oft unfähig zu klaren Positionen. Manchmal möchte ich laut schreien: Verdammte Scheiße, habe ich eigentlich nicht das Recht, keine Meinung zu haben? Jeder Krieg spielt sich zu großen Teilen im Dunkeln ab, im Ungewissen, und nur Fanatiker können überzeugt sein, ununterbrochen richtig zu liegen wie Landser im Schützengraben. Diese Einordnung von sich selbst ins Gute gegen das Böse erinnert mich nicht selten an etwas Ranwanzerisches, an etwas Religiöses, und da wird mir so schlecht, dass ich Pudding mit dem Säbel essen möchte.

Die Konflikte um Europas echte und gefakte Wurst scheinen unterdessen geklärt, und in diesem Zusammenhang fällt mir ein amerikanischer Werbespot ein, der Mitte der Achtziger auch bei uns populär wurde. In diesem Filmchen der US-Fast-Food-Kette Wendy’s treten drei ältere Frauen auf, und die Schauspielerin Clara Peller stellt beim Blick auf eine Fressalie namens Burger und deren Nährwert in schrillem Ton die entscheidende Frage: „Where’s the beef?“ Bald schon war dieser Spruch als Redewendung berühmt: Wo eigentlich ist der verdammte Inhalt?

Heute ist das Wort „beef“ bei uns vor allem als Synonym für Konflikte und Streits bekannt. Es kommt ursprünglich aus dem Rap-Slang, pausenlos beefen sich Leute im Internet und sonst wo. Der Inhalt heutiger Zusammenkünfte unter freiem Himmel reduziert sich unterdessen nicht auf Pudding von Müller-Milch, dem Schlabberbrei von Alice Weidels liebem Freund. Es stellt sich uns schon noch die Frage: Where’s the beef? Und brutal hautnah geht es jetzt um die Wurst: um die Welt, in der wir leben. Die ist vor der Haustür, und wer nichts tut, schneidet sich womöglich ins eigene Fleisch.

SONG:  Heartworms

Und hier die Veranstaltungen unseres Netzwerks Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie:

Samstag, 18. Oktober 2025, Stuttgarter Schlossplatz, 14 Uhr:
Kundgebung:
GEGEN DIE ZERSTÖRUNG DES SOZIAL- UND RECHTSSTAATS.
Verteidigt demokratische Errungenschaften!
Schützt Minderheiten vor Angriffen!

Mitwirkende (vorläufig): Klaus Dörre (Sozialwissenschaftler), Sebastian Molter (Stuttgarts neuer Asylpfarrer – begleitet von einem/r Betroffenen der Migrationspolitik), Gratian Riter (Schorndorfer Bündnis gegen Rassismus und Rechtsextremismus), Ulrich Bausch (Aufbruch zum Frieden), Aktionsbündnis Stuttgart gegen Rechts, Janboris Ann-Kathrin Rätz (LGBTQIA+ Community), Joe Bauer (Netzwerk).
Dazu Musik von der Latin-Band Son Sabroso und ein Auftritt der Dancers across Borders/Salamaleque Dance Company.

WORKSHOP
Samstag, 25. Oktober, Hotel Silber Stuttgart. 10 Uhr – 12.30 Uhr.
Unsere Coaches Tanja, Andreas und Michael informieren wieder über Handlungsstrategien und geben praktische Anleitungen: „Mit Zivilcourage gegen Hass und Hetze – klar Stellung beziehen für eine solidarische Gesellschaft“. Im Zentrum steht die Frage: „Wie kann ich couragiert menschen- und demokratiefeindlichen Äußerungen entgegentreten?“
Anmeldungen sind wie immer hilfreich: kontakt@netzwerk- gegen-rechts.info 

Dienstag, 4. November 2025, 18 Uhr
Gewerkschaftshaus/Willi-Bleicher-Haus Stuttgart.
Vortrag & Gespräch mit Autor Marcus Bensmann von CORRECTIV.

Nach den Veröffentlichungen des gemeinwohlorientierten Medienhauses CORRECTIV kam es in Deutschland Anfang 2024 zu Massendemos gegen rechts. Das Redaktionsteam hatte über das Geheimtreffen von Rechtsextremen und ihren Unterstützern in Brandenburg mit den berüchtigten „Remigration“-Plänen berichtet. Seit zehn Jahren recherchiert das Team zur AfD und im entsprechenden Milieu. CORRECTIV-Autor Marcus Bensmann ist bei uns zu Gast und stellt Inhalte seines Buchs vor: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. – Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“ (aktualisierte Neuauflage mit dem Stand nach der Bundestagswahl 2025). Das Publikum hat Gelegenheit zu Fragen und zur Diskussion. – Anmeldungen sind wie immer hilfreich: kontakt@netzwerk- gegen-rechts.info
Eine Veranstaltung des Netzwerks Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie in Kooperation mit dem DGB.  

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