Willkommen!
Liebe Besucher:innen, neulich wurde in Untertürkheim-Luginsland der Imbiss einer indischen Familie mit Nazi-Symbolen beschmiert. Daraufhin organisierte die Nachbarschaft eine kleine Kundgebung, bei der es weniger um die Schmierereien als um den demokratischen Zusammenhalt und den Einsatz gegen die Rechtsextremen ging. Einen der Redebeiträge am Samstagmittag, 6. September, steuerte auf Einladung unsereiner bei. Mein kleiner Text hat hier womöglich auch ohne den geschilderten Anlass seine Berechtigung. Es ist schon erstaunlich, wie viele aus dem eigenen Bekanntenkreis angesichts der Zerstörung demokratischer Errungenschaften keinen Finger rühren. Weil auch Leute mit historischen Kenntnissen immer noch glauben, man könne die AfD als parlamentarischen Arm der faschistischen Bewegung mit Argumenten, Fakten und Diskussionen bekämpfen, ist es immer wieder notwendig, an dieses Zitat zu erinnern:
"Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren."
Joseph Goebbels, 1928
Redebeitrag:
Schönen guten Tag in Luginsland,
liebe Freundinnen und Freunde, meinen aufrichtigen Dank für die Möglichkeit, heute hier dabei zu sein – mit Menschen, die bereit sind, etwas zu tun. Ich halte es für sehr wichtig, in die Stadtteile zu gehen, das eröffnet einen anderen Blick auf die Realität als das sogenannte Zentrum einer Stadt, die im Übrigen auch bloß Provinz ist.
Als Stadtspaziergänger bin ich schon öfter nach Luginsland gekommen, auf den Spuren der legendären Widerstandsgruppe Schlotterbeck und des großen Gewerkschafters und Antifaschisten Willi Bleicher, der das KZ Buchenwald überlebt hat. Auch er hat in Luginsland gelebt, in diesem Landstrich der Mutigen.
Und da sind wir mitten im Thema: Hier, in diesem kleinen Quartier, haben wir die Geschichte des Widerstands gegen den Faschismus vor Augen, und diese Art Erinnerung sagt uns: Vergangenheit vergeht nicht. Geschichte ist immer auch Gegenwart. Und Erinnerungskultur hat nur dann einen Sinn, wenn wir erkennen, woran uns die Gegenwart erinnert. Worte wie „Nie wieder“ und „Wir sind mehr“ sind längst zu Floskeln verkommen. Wir müssen etwas tun.
Es hätte wenig Sinn, uns heute bei dieser kleinen Kundgebung allein über irgendwelche minderbemittelten Schmierer zu empören. Selbstverständlich muss man diesen Typen zeigen, dass sie hier und überall auf Gegenwehr stoßen. Andrerseits kommen sich diese Dorfdeppen vermutlich ziemlich gut vor, wenn sie sichtbare Reaktionen hervorrufen. Im realen Leben haben sie ja nichts vorzuweisen – außer ihrem schmutzigen Pinsel.
Wichtiger als sich zu empören ist es für uns, diese Aktion heute als ein Treffen der Anständigen zu verstehen, an einem Ort der Begegnung, an dem Menschen erfahren, dass sie nicht allein sind.
Der Schriftsteller Sebastian Haffner hat in seinem Buch „Eine deutsche Geschichte“ sehr präzise geschildert, in welchem gesellschaftlichen Klima der Nazi-Terror möglich wurde. Manche Menschen, schreibt er, spürten schon Jahre vor Hitlers Machtübernahme das „Anwachsen und Bedrohlichwerden des Dummen und Bösen in Deutschland“.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber beim Blick auf die Vergangenheit entdecken wir erschreckende Parallelen. Angesichts des Bösen und Dummen, dem wir ausgesetzt sind, dürfen wir nicht den Fehler machen, alle Bösen für dumm zu halten oder alle Dummen für böse. Rechtsextreme Gesinnungen haben sich in unterschiedlichsten sozialen Schichten eingenistet.
Wir erleben zurzeit eine Entmenschlichung und Verrohung in unserer Gesellschaft. Auch viele, die nichts vom Faschismus wissen, die keinen Mussolini kennen, bedrohen uns mit faschistischem, menschenverachtendem Verhalten. Der Grund dafür ist ihre Verunsicherung angesichts wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten und existenzieller Bedrohungen, ihre Wut über Verluste und ihre Angst vor dem sozialen Abstieg.
Die Rechtsextremen, aber auch Politiker:innen der sogenannten Mitte, schüren diese Ängste mit Attacken auf Minderheiten. So werden wieder, wie damals, Sündenböcke an den Pranger gestellt und die Leute gegen diese Menschen aufgehetzt.
Gegen diese ekelhafte Propaganda mit bewusst hanebüchenen Lügen helfen uns keine Argumente, keine Fakten. Diese Art Hass zielt darauf, den Verunsicherten das Gefühl einer Zugehörigkeit in einer autoritären Gemeinschaft der Starken und Brutalen zu vermitteln, die es nur geben kann, wenn alle demokratischen Errungenschaften zerstört werden.
Deshalb – und dies nur nebenbei – ist es nichts anderes als Wahlhilfe für eine rechtsextreme Partei, wenn sich ein pressegeiler Schlagzeilen-Schultes aus Tübingen verbal von einem führenden Rechtsextremen verprügeln lässt – und Medien diesen Dreck zum großen Event aufblasen. Bei derart miesen Shows geht es um nichts anderes als um Arsch-Klicks.
Gegen alle Propaganda können wir uns nur wehren, wenn wir uns zusammentun, wenn wir uns über ideologische Grenzen hinweg organisieren. Wir brauchen die Bündnisse der Anständigen – ohne parteipolitische Scheuklappen und ohne Konkurrenzdenken. Das ist schwierig, aber was können wir schon anderes tun. Auch die kleine Aktion hat große Bedeutung: Die solidarische Unterstützung gefährdeter Menschen vor der eigenen Haustür gibt uns allen Kraft und Hoffnung. Und mitten im Rechtsruck ist es für uns ratsam, im Dienst der dringend notwendigen Vernetzung auch mal über den eigenen Schatten zu springen, damit für den rechtsextremen Mob die Lichter ausgehen.
In diesem Sinne: This land is your land / this land is Luginsland.
Vielen Dank!
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Meine Reihe Kleine Website Story: Alle 14 Tage stelle ich am Wochenende eine neue auf diese Seite.
Aktuelle Kolumne: Hotzenplotz, Virginia
Kolumne 7: Auf Steifel komm raus
Kolumne 6: Joxer geht nach Stuttgart
Kolumne 5: Rote Tage
Kolumne 4: Am Hochofen
Kolumne 3: Der Wind von Oklahoma
Kolumne 2: Gliedererfrischendes Baden im Neckar
Kolumne 1: Abschaum und Asphalt
Und jetzt zu den bevorstehenden Veranstaltungen unseres Netzwerks Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie:
Donnerstag, 2. Oktober 2025
Gewerkschaftshaus/Willi-Bleicher-Haus Stuttgart, 18 Uhr:Lesung & Gesprächmit Autor Marcus Bensmann vom Correctiv-Netzwerk.
Dank der Arbeit des journalistischen Correctiv-Netzwerks kam es in Deutschland Anfang 2024 zu Massendemos gegen rechts. Das Redaktionsteam hatte über das Geheimtreffen der AfD in Brandenburg mit den berüchtigten „Remigration“-Plänen berichtet. Correctiv-Autor Marcus Bensmann ist bei uns zu Gast und liest aus seinem Buch: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. – Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“. Aktualisierte Neuauflage mit dem Stand nach der Bundestagswahl 2025. – Anmeldungen sind wie immer hilfreich: kontakt@netzwerk- gegen-rechts.info
Samstag, 18. Oktober 2025, Stuttgarter Schlossplatz, 14 Uhr:Kundgebung: Gegen die Zerstörung des Sozial- und Rechtsstaats.
Verteidigt demokratische Errungenschaften!
Redebeiträge (vorläufig): Klaus Dörre (Sozialwissenschaftler), Sebastian Molter (Stuttgarts neuer Asylpfarrer – begleitet von einem/r Betroffenen der Migrationspolitik), Gratian Riter (Grußworte aus der Region), Ulrich Bausch (Aufbruch für den Frieden) sowie eine Sprecherin der CSD-Bewegung.
Co-Moderation: Joe Bauer & … nähere Infos demnächst.
Dazu gibt es gute Latin-Music live und einen Auftritt der Dancers across Borders/Salamaleque Dance Company.
Liebe Unterstützerinnen,
alle Veranstaltungen kosten leider Geld. Vor allem Kundgebungen sind teuer: Stromanschluss, Tontechnik, Bühne, Sicherheit, Flyer & Plakat etc. Deshalb sind wir sehr dankbar für finanzielle Hilfen. Wie arbeiten zu hundert Prozent ehrenamtlich, können aber keine Spendenquittungen ausstellen, da wir kein Verein, sondern eine freie Initiative sind.
SPENDEN
Nach vielen Aktionen unseres Netzwerks nimmt unser Guthaben besorgniserregend ab. Bisher war die finanzielle Hilfe aus privaten Kreisen außerordentlich gut, wofür wir uns ganz herzlich bei Euch bedanken. Auch kleine Beträge helfen:
IBAN (BW-Bank): DE 38 6005 0101 0005 4955 86
Empfänger: Netzwerk gegen rechts
Verwendungszweck: NETZ