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Willkommen!

Liebe Besucher:innen, am heutigen Samstag, 5. Juli, machen wir uns einen schönen Tag am Wasser. Im Stuttgarter Neckarhafen geht der Flaneursalon am Fluss über die Bühne. Um 17 Uhr öffnen wir das Gelände fürs Hafen-Picknick, um 18.45 Uhr beginnt unsere Show. Ob es heute noch online Karten gibt, lässt sich mit diesem Link feststellen: Tickets.
Ob im Hafen heute noch eine Kasse geöffnet wird, wird sich im Lauf des Tages entscheiden.

Und dann habe ich mich diese Woche hingesetzt und wieder meine kleine Website Story getippt. Es kommt immer wieder vor, dass ich auf das Ende meiner „Kontext“-Kolumne angesprochen werde. Ich verweise dann auf meine Homepage-Kolumnen. Wäre schön, wenn sich diese Reihe herumspräche. Ich habe vor, jeden zweiten Samstag einen neuen Text auf die Depeschenseite zu stellen. Zwischendurch gibt’s natürlich auch was zu lesen – in diesem Sinne:

Die Homepage-Kolumne (4)
AM HOCHOFEN

Alle reden von der Hitze. Kaum jemand vom Klimawandel. Um mit dem großen Merz zu sprechen: Der Bundeskanzler ist kein Wettergockel. 

In den sehr heißen Anfangstagen des Juli habe ich mich bemüht, wie gewohnt meinen Taschentelefon-Tachometer mit genügend Schritten zu füttern. Alles muss weitergehen, bis alles vorbei ist. Pro Tag lege ich zurzeit eine Fußstrecke von sieben bis acht Kilometern zurück. Das reicht gerade, um das Bewegungsbedürfnis eines Stadtneurotikers zu befriedigen.

Der bisher heißeste Tag des Jahres war ein Mittwoch, und weil ein paar Freunde und ich bei jeder Art Sauwetter immer mittwochvormittags Sauna und Freiluftbecken des Mineralbads Berg aufsuchen, saßen wir ganz selbstverständlich auch bei 34 Grad Außentemperatur im Schwitzkasten. Der Heiß-kalt-Wechsel dient der physischen und psychischen Widerstandskraft, wobei ich die Saunasitzung, oft von hitziger Geschwätzigkeit angeheizt, seit je als Katharsis begreife. Als Alles-muss-raus-Prinzip des alten Tropfs.

Nebenbei: Sollte jemand die Hitze als Hygieneproblem betrachtet, empfehle ich einen Besuch beim Seifen-Lenz im Bohnenviertel: Dieser Laden fürs Leben hat diese Woche unter reger Anteilnahme weiter Kreise der Bevölkerung sein 240-jähriges Bestehen gefeiert.

Ein Mann in der Sauna, 75 Jahre alt, erzählte mir am heißesten Tag des Jahres, dass er am Vortag, als klimawandelverdächtige Temperaturen bereits Nahtoderfahrungen auslösten, zu Fuß von Tübingen nach Nürtingen gegangen sei. Im Schatten, sofern es möglich gewesen sei. Ohne Rast. Er sei auch schon, fügte er hinzu, vom Neckarursprung in Villingen bis zur Mündung des Flusses in den Rhein in Mannheim gewandert. Rund 370 Kilometer. Da kann ich als asphaltversauter Stadtwandler nicht mithalten. Allerdings denke ich jetzt dank dem Wanderer in der Sauna ernsthaft darüber nach, selbst mal eine lange Strecke am Fluss in Angriff zu nehmen. Vielleicht mit ein paar frischen Unterhosen und einigen Zivilisationsvehikeln vom Seifen-Lenz in einem kleinen Rucksack. Bevor der Saft ausgeht. 

Mein Elan in einer Zeit, da sich mein Kopf wie eine nicht auszuknipsende Glühbirne anfühlt, ist dennoch begrenzt. Es fällt mir schwer, Gedanken zu haben oder gar zu ordnen. Dass ich mich trotzdem auf meinen Stuhl gesetzt habe und ohne irgendeine Verpflichtung diese Zeilen tippe, ist eine disziplinarische Maßnahme. Es fiele mir auch nicht ein, mittwochs ohne triftigen Grund die Sauna zu schwänzen. Wäre Verrat am heiligen Wasser.

Die Befindlichkeiten eines Schreibers, das ist mir bewusst, haben kein Schwein zu interessieren. Da ich aber für mein Schattendasein als Homepage-Kolumnist nicht bezahlt werde, kann ich auf meinem Bildschirm machen, was ich will. Deshalb kurz mein Bulletin: Tatsächlich haben mich zuletzt eine Entzündung im Schulterbereich und ein Hexenschuss im Oberarschbereich genervt. Ein Schweizer in Stuttgart, der Physiotherapeut François Canerie, hat mich gerettet. François habe ich Ende der Siebzigerjahre im griechischen Restaurant Pireus in der Hasenbergstraße kennengelernt. Damals arbeitete er unter Trainer Jürgen Sundermann beim VfB Stuttgart, unsereiner war Sportreporter-Greenhorn bei den StN. Das Pireus, das es seit Mitte der Achtzigerjahre nicht mehr gibt, war nicht nur Treffpunkt von Fußballprofis des VfB und der Kickers samt der entsprechenden Ranwanzer- und Journalistenblase. Es war auch, geführt von der griechisch-deutschen Familie Kallergis, das Lieblingsrestaurant des Stuttgarter Balletts. John Cranko hatte bis zu seinem Tod im Juni 1973 in diesem Laden seinen Stammplatz. Ein derartiger dämmerlichternder Kneipenmix – Fußballprofis, Balletttänzer:innen, Halbseidene, Zeitungsfritzen – ist heute undenkbar. Im ehemaligen Pireus ist längst das ambientemäßig kaum veränderte Wirtshaus Troll eingezogen. Davon habe ich früher schon erzählt.

Spazierengehen in der Hitze hemmt, wie gesagt, den Gedankenfluss. Vielleicht aber ist diese Bemerkung nur eine Ausrede, weil mir Gedanken angesichts der Lage gar nicht mehr willkommen sind. Du wähnst dich auf Schritt und Tritt im glutigen Dunstkreis eines Hochrüstungsofens: ununterbrochen Streit im Schatten der Bombe mit Bekannten und Freunden über Krieg & Frieden/Israel/Gaza/Iran/Ukraine/Russland/Putin/Trump. Verdammt noch mal, wie können sich Menschen angesichts der verheerenden Desinformationspolitik einbilden, einzig und allein Recht zu haben?

Mitten in diesem Gesinnungschaos kommt ein baden-württembergischer CDU-Spitzenkandidat aus der Dorfsparkassenbranche um die Ecke und sagt schlagzeilendröhnend der „Welt“: „Das Bürgergeld ist eine Ungerechtigkeit zulasten der fleißigen Menschen bei uns im Land.“ Mit feinem Gespür für soziale Konflikte spricht dieser Herr namens Hagel auch von „Couchhockern“, ehe er in seinem christlich-demokratischen Lügestuhl die Beine ausstreckt: Fleißig nach unten treten, und dann Umverteilung nach oben. Das ehrt einen, der Ministerpräsident werden will. Am 8. März 2026, am Internationalen Frauentag, sind Landtagswahlen.

Unterdessen wird ein 18-jähriger Algerier, der erst wenige Tage zuvor in der Bundesrepublik angekommen ist, nach einem blutigen Streit in einer Kneipe in Stuttgart-Ost von einem Polizisten erschossen. Von einem „Messer“, aber auch von einem „scharfen Gegenstand“ (eventuell das Glas einer zerbrochenen Flasche) ist die Rede. Ob der Polizist in Lebensgefahr war, als er den fliehenden Algerier in einem Hinterhof mit seiner Waffe tötete, weiß ich nicht.

Furchterregend und ekelhaft die vielen Social-Media-Kommentare. Immer öfter habe ich den Eindruck: Die letzten Tage der Menschlichkeit sind angebrochen. Nicht die Gesetze des Rechtsstaats zählen, sondern das Recht des Stärkeren. Menschlichkeit erscheint mir immer mehr als moralisch illegale Grenzüberschreitung. Ein Lynchjustiz-Klima breitet sich aus. 

In diesem Zusammenhang habe ich keine Lust, die Schusswaffen- und Messerweisheiten des amtierenden Landesinnenministers Strobl zu zitieren. Es liegt mir auch fern, einen kriminellen Vorfall zu beurteilen, den ich nicht näher kenne. Zitieren möchte ich nach dem jüngsten polizeilichen Todesschuss den Ministerpräsidenten Kretschmann, der davor warnt, „voreilige Schlüsse zu ziehen“. Womöglich, sage ich mir, könnte man auch mal davor warnen, voreilige Schüsse abzufeuern. Aber diese Sicht der Dinge entspräche nicht unbedingt dem zeitgeistigen Zeitenwendegeist der allgemeinen Kriegstüchtigkeit im Hochrüstungsindustrieland Baden-Württemberg.

Extrem geistvoll wird es, wenn der amtierende Kanzler-Azubi mit Blick auf die von ihm verachtete Regenbogenfahne der Queer-Bewegung im Fernsehen pöbelt, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“. Als alter Zirkusfreund wundert mich die provinziell-elitäre Wortwahl des sauerländischen Kanzlers nicht. Warum sollte ein Blackrock-Technokrat, der sich als Nachäffer des Brutalo-Trampels Trump versucht, Respekt für die Artisten in der Zirkuskuppel aufbringen. Rund um die Manege würden sich im Übrigen die vielen ehrbaren, demokratisch gewählten Rechtsextremen des Bundestags nicht besonders wohlfühlen. Goebbels hat die Zirkuskunst einst als „Afterkunst“ bezeichnet.

Und jetzt zum Wetter. 

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