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Liebe Besucher:innen, am Samstag, 31. Mai, wurde nach 20-jähriger Ensemble-Zugehörigkeit im Schauspielhaus Zürich der große Komödiant Gottfried Breitfuß offiziell verabschiedet: Zum Finale gab er im Pfauen, dem großen Haus des Theaters, noch einmal seinen betörenden, mit Standing Ovations gefeierten Solo-Abend „Wie immer meschugge“ mit Liedern von Georg Kreisler. Begleitet wurde er von der exzellenten Band Blasnost. Bis 2005 war Gottfried u. a. auch am Schauspiel der Stuttgarter Staatstheater engagiert. Unvergessen seine Auftritte in „Indien“. Jetzt hatte ich die Ehre, im Rahmen seiner (vorerst) letzten Zürcher Vorstellung eine kleine Laudatio zu halten, die vom Publikum mit großem Vergnügen aufgenommen wurde:
Großer GOTTfried, was für ein Theater …
Schönen guten Abend im Pfauen, verehrtes Publikum,
Wenn ein Mensch geht, sollten wir uns nicht an der Vergangenheit vergehen. Vergangenheit, haben uns die Dichter gelehrt, vergeht nicht. Geschichte ist Gegenwart. Das gilt auch für unseren Künstler.
Jetzt stehe ich hier, um meinen alten Nah- und Fernbeziehungsfreund Gottfried Breitfuß, diesen famosen Komödianten, zu ehren – aber ernsthaft komisch, das dürfen Sie mir glauben, komme ich mich vor. Nicht komisch im Sinne von absurd oder lustig, sondern deplatziert. Verstehen Sie mich bitte richtig: ein verdienter Österreicher wird in der Schweiz verabschiedet, und dann kommt zum letzten Gang ausgerechnet ein Piefke aus einem schwäbischen Kaff, um was dazu zu sagen. Meine kleine Gemeinde Stuttgart liegt topografisch im Kessel, was nicht unbedingt den Weitblick der Bevölkerung geschult hat.
Aber es war halt in Stuttgart, wo ich Gottfried kennengelernt habe, in den frühen Achtzigern, einer ziemlich dunklen Zeit in den Jahren nach dem deutschen Herbst. Damals gab es dort kaum ein Haus für das, was wir Gegenkultur oder alternative Kultur nannten. Und so schauten wir uns im Kino mehrmals sehnsuchts- und neidvoll den Film „Züri brännt“ an, diese Doku über die Jugendunruhen in der Schweiz, die ausgebrochen waren, nachdem der Stadtrat 60 Millionen Franken zur Sanierung des Opernhauser bewilligt, gleichzeitig aber ein paar müde Taler für ein autonomes Jugendzentrum abgelehnt hatte. Nebenbei: In Stuttgart wird gerade die Renovierung der Oper für mehr als eine Milliarde Euro debattiert, und was brännt, ist nur Benzin im Porsche und Mercedes.
In jenen Achtzigern mussten bei uns in der Stadt fast alle Gasthäuser um Mitternacht schließen, außer denen im Rotlichmilieu, weil dort auch die Politik verkehrte. Eines Tages eröffnete dann ein gerade gefeuerter Zeitungsfeuilletonist mit dem wegweisenden Namen Hans Fröhlich unter dem besten Konzerthaus der Stadt eine geräumige Kneipe, die mit amtlicher Genehmigung bis fünf Uhr morgens, also praktisch die ganze Nacht geöffnet hatte. Eine Sensation in der Provinz.
In diesem unterirdischen Bunker des progressiven Bewusstseins traf ich immer öfter einen Staatstheater-Schauspieler namens Gottfried Breitfuß. Zwar war mir das Theater nicht fremd, aber ich war und bin eher ein Kinomensch und hielt maskuline Schauspielerei jenseits von Marlon Brando, Dennis Hopper und Clint Eastwood für verzichtbar. So ist es passiert, dass ich in dem grausamen Alkohol-Abusus jener Ära Gottfried eines Nachts als Knallcharge titulierte. Der schaute mich an mit dem taxierenden Blick eines Sargtischlers aus einem Clint-Eastwood-Film. Der zu erwartende Schuss zwischen die Augen blieb allerdings aus. Gottfried sagte sehr gelassen: Du bist ein Hobby-Zyniker. Das war die Höchststrafe, weil ich mich seinerzeit, typisch Provinzler, für einen geborenen Polemiker hielt.
Seltsamerweise schafften Herr Gottfried und unsereiner im politischen Abrüstungsklima der Achtziger irgendwann eine Annäherung. Und mein Respekt vor diesem Mann wuchs, als ich ihn auf der Bühne sah. Neben den Rollen in etatmäßigen Staatstheater-Stücken machte er im Lauf der Zeit ganz eigene Dinge, etwa zusammen mit seinem österreichischen Blutsbruder Ernst Konarek die Tragikomödie „Indien“, die in Stuttgart unzählige Male gegeben wurde, erst in einem Wirtshaussaal, später in der Kleinkunstbühne Rosenau. Er spielte den morbiden Vertreter Bösel, und er war der beste Böselfuß aller Zeiten. Und dann sein Solo-Abend mit Liedern von Georg Kreisler: Gottfried schien da manchmal für eine Sekunde über dem Bühnenboden in der Luft zu stehen, befeuert von dem, was wir Magic nennen. Und nicht etwa meschugge. Nicht zu vergessen das Singspiel Im Weißen Rössl, das er großartig inszenierte und darin als Oberkellner Leopold besser aussah als jeder Wiener Kaffeehaus-Haberer.
Was uns endgültig auf einen gemeinsamen Weg brachte, war die Hinwendung zum Gehen. Nicht zum Weggehen, sondern zu der Leidenschaft, einen Fuß vor den anderen zu setzen im Wissen, dass der Mensch das aufrecht gehende Tier ist und deshalb die Welt nur mithilfe von ausgiebiger Beinarbeit verstehen kann.
Gottfried – der Österreicher – hatte ohnehin Wanderblut in den Adern, und unsereiner begann aus Neugier, die Stadt als Spaziergänger zu erkunden. Das war keine Marotte, sondern die Einsicht: Gehen heißt sehen. Oder wie es Thomas Bernhard sagt: „Wir gehen mit unseren Beinen, sagen wir, und denken mit unserem Kopf. Wir könnten aber auch sagen, wir gehen mit unserem Kopf.“
Beim Herumgehen, wie es Adalbert Stifter genannt hat, erlebst du Gedankensprünge. Und bewusst langsames Gehen birgt etwas Radikales. Die amerikanische Schriftstellerin Rebbecca Solnit schreibt: „Nur Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Stadt als symbolischem und praktischem Territorium vertraut sind, die in der Lage sind, sich auf dem Fußweg zu versammeln, und gewohnt, in ihrer Stadt herumzulaufen, können auch revoltieren.“ Paris, heißt es weiter, ist die große Revolutionsstadt geworden, weil sie die große Stadt des Spazierens ist.
Daran, verehrtes Publikum, sollten wir denken, wenn es heute darum geht, uns in den Straßen zu versammeln, um uns gegen den immer bedrohlicheren Rechtsverkehr zu wehren.
Gottfried, dieser Wanderer auf der Suche nach dem Leben, tauchte in meinem Dasein immer wieder völlig unerwartet auf, als hätte er sich zuvor hinter einem Laternenpfahl versteckt. Und dann sind wir jedes Mal zusammen spazieren gegangen und haben die Gedanken springen lassen.
Und da er auch ein hart trainierter Langstreckengeher ist, der locker mal von Pforzheim nach Basel wandert oder von Basel nach Genf, widme ich ihm hier vor seinem Abgang die beste aller Geher-Hymnen, gedichtet von Georg Kreisler:
Am Anfang fiel mir ja das Kriechen schwer. Jetzt schaff ich sieben Arsch pro Trag und montags fünfzehn oder mehr. Ja man braucht schon ein bisschen Routin, um so wie ich von Arsch zu Arsch zu ziehn.
In diesem Sinn: Schleich Dich, Gottfried, aber komm bloß wieder. Sonst gibt`s was auf den Oasch.
Vielen Dank.