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30. Mai 2025

2530. Depesche

WILLKOMMEN!

Liebe Besucher:innen, eigentlich wäre an diesem Mittwoch die Kontext-Kolumne drangewesen. Stattdessen findet ihr hier meinen Text, dessen Kern sich euch nur erschließt, wenn ihr ihn – nervenstrark – bis zum bitteren Ende lest:

Die Homepage-Kolumne:
ASPHALT UND ABSCHAUM

Ich gehe durch eine Stadt, die sich selbst nicht mehr erkennt. Es ist früh am Morgen, die Straßen noch leer genug, um den Dreck zu sehen, den die Nacht hinterlassen hat: Bierflaschen, zerknüllte Wahlflyer, ein verlorener Schuh – immer nur einer, nie das Paar, wie Zeugnisse flüchtiger Fluchten. Ich passiere den Wilhelmsplatz, der einmal ein Ort für Aufbruch war, jetzt aber wirkt wie die Endstation einer Regionalbahn, die nur noch zurückfährt.

Ein Mann im Anzug steht vor dem Bäcker, kaut an einem Butterbrezelrest wie an einem Sündenbekenntnis. Er blickt in sein Handy, als könnte ihm der Bildschirm die Schuld vergeben, die sich auf seinen Schultern stapelt wie die Renditeerwartungen seiner Immobiliengesellschaft. Ich kenne diesen Blick. Es ist der Blick eines Menschen, der zu oft gewonnen hat, ohne zu kämpfen.

Ich setze mich auf eine Bank, auf der gestern noch jemand schlief, der nicht weiß, was ein Mietspiegel ist. Der Mann ist heute weg, wahrscheinlich vertrieben von einem Ordnungshüter, der im Namen der Würde für Sauberkeit sorgt – jene Würde, die nur gilt, wenn du konsumierst. An der Hauswand hinter mir klebt ein Aufkleber: „Stuttgart bleibt stabil.“ Das ist kein Witz. Das ist Gewalt in Serifenschrift.

Wenn man lang genug hier lebt, beginnt man, die Stadt wie einen alten Geliebten zu lesen: Du weißt, wo die Narben sind, auch wenn sie übertüncht wurden. Die Königstraße zum Beispiel: eine Schneise der Amnesie, auf der Menschen in Adidas-Schuhen und Verschwörungsfantasien wie ferngesteuert Richtung Primark marschieren. Ich höre zwei Jungs, die sich über „Systemmedien“ aufregen und dabei eine Cola aus einem Nestlé-Automaten trinken. Später werden sie wahrscheinlich über den Kapitalismus twittern, während sie sich einen Döner per App liefern lassen. Stuttgart, 2025.

Ich gehe weiter Richtung Bohnenviertel, dem Viertel, das man zu Tode sanieren will. Häuser, die früher Geschichten erzählt haben, erzählen jetzt von Quadratmetern. Im Fenster eines ehemaligen Friseursalons hängt ein Schild: „Hier entsteht etwas Neues.“ Immer wenn das da steht, stirbt etwas Altes. Meistens etwas, das kein Geld gebracht hat, aber Würde. Ein Ort, an dem Menschen waren, ohne gleich ein Konzept sein zu müssen.

Ein Bekannter, der einmal ein Kino führte, winkt mir zu. Wir sprechen über die „Lage“. Es ist immer die „Lage“. Die Stadt, sagt er, sei ein Betrieb geworden. Kein Ort mehr, sondern eine Bilanz. Ich frage ihn, ob er manchmal noch Filme zeigt. „Nur noch für mich selbst“, sagt er. Und lacht. Ich lache nicht.

Auf dem Weg zur Paulinenbrücke, wo früher Punks saßen, stehen heute E-Scooter wie Grabsteine. Die Stadt hat ihre Unangepassten weggentrifiziert. Die neuen Nutzer dieser Plätze tragen Rucksäcke von Fjällräven und eine Weltsicht, die man ihnen bei einer Nachhaltigkeitsmesse in der Liederhalle eingebläut hat. Zwischen den Logos ihrer Jacken und der Koffeindosis aus einer Rösterei liegt eine Leere, die man nicht spürt, wenn man 32 Likes pro Story bekommt.

Ein SUV versperrt mir den Weg. Nicht einfach ein Auto – ein stahlgewordenes Statement. Ich streife mit der Schulter über den Kotflügel, lasse einen Kratzer da, vielleicht auch nur eine Geste, eine winzige Verwundung im Panzer der Arroganz. Aus dem Auto dröhnt basslastiger Optimismus. Irgendetwas mit „Du schaffst das“ – aber ich will gar nichts schaffen. Ich will, dass man endlich aufhört, die Welt in Leistungseinheiten zu messen.

Später am Tag treffe ich eine alte Frau, die ihren Rollator über das Pflaster schiebt wie ein trotziges Gedicht. Sie fragt mich nach der Haltestelle, die sie nicht mehr findet. „Die Bahn fährt jetzt woanders“, sage ich. „Wie alles“, sagt sie. Und geht weiter, ohne sich umzudrehen.

Ich stehe da und denke an all die Menschen, die verschwinden, weil man sie nicht mehr sehen will. Die, die nicht hübsch genug sind für die Instagram-Story der Stadtmarketingabteilung. Die, deren Leben zu komplex ist für Politiker, die lieber von „Einzelfällen“ sprechen als von Strukturen. Stuttgart hat keinen Platz mehr für Zufall. Jeder Raum ist belegt, verkauft, verplant. Selbst der Himmel über der Stadt ist in Parzellen unterteilt – Drohnenflugzonen, Lichtinstallationen, Eventhorizonte.

Abends sitze ich in einer Kneipe, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte. Der Boden klebt, die Gespräche auch. Einer erzählt von seiner Kündigung, ein anderer von der Kälte in den Behördenfluren. Ich bestelle ein Bier und schweige. Draußen regnet es leise, als würde die Stadt sich selbst die Scham vom Beton waschen.

Ich denke an die Worte von Pasolini, der sagte, dass ein wahrer Faschismus sich nicht mehr in Uniformen zeigt, sondern in der Uniformität der Gedanken. Und ich frage mich, ob Stuttgart schon so weit ist. Ob wir, die wir noch schreiben, spazieren, singen oder einfach nur stur sind, überhaupt noch durchkommen mit unserer Art zu leben. Ob wir noch stören dürfen, oder ob man uns bald freundlich zum Schweigen bittet – mit einem Angebot zur Zwischennutzung und einem Workshop für Resilienz.

Es wird spät. Ich trete auf die Straße, wo der Asphalt glitzert von den Tränen des Tages. Und ich gehe weiter. Nicht weil ich weiß, wohin. Sondern weil ich nicht weiß, was sonst tun.

Liebe Leserin, lieber Leser, in Wahrheit weiß ich sehr wohl, was zu tun ist, wenn in meinem Text die Tränen des Tages auf dem Asphalt glitzern, die Stadt sich selbst die Scham vom Beton wäscht und der Boden klebt wie die Gespräche. Dann ist womöglich etwas faul. Haben Sie hoffentlich gemerkt.
Zurzeit hindert mich eine entzündete Sehne im Schulterbereich, wie gewohnt die Tastatur meines Rechners im Zweifingersystem zu malträtieren. Neulich ging ich abends spazieren, und im Licht der Laternen glitzerte das Nass des heftigen Mairegens auf dem Asphalt, als mir eine Idee kam, die ich nicht zu den glorreichen zähle. Ich rief einen Freund an, der in allen Lebensfragen mit einem festen Partner am Taschentelefon kommuniziert – und bat ihn, diesen Kerl zu beauftragen, meine Kolumnen in der Kontext:Wochenzeitung zu lesen. Und selbst eine zu erstellen. Heraus kam innerhalb weniger Minuten das Machwerk „Asphalt und Abschaum“, das ich hier unverändert wiedergeben habe. Es stammt von ChatGPT. Leicht vorzustellen, dass uns die Künstliche Intelligenz schon sehr bald fette Tränen in die weit geschlossenen Augen treiben wird. Womöglich nicht immer vor Freude.

PS: Ursprünglich sollte dieser Beitrag an diesem Mittwoch, 28. Mai 2025, in meiner Kolumne „Auf der Straße“ in der Kontext:Wochenzeitung erscheinen. Vergangenen Donnerstag kam telefonisch die Zusagen, fünf Tage später die Absage kurzfristig vor dem Erscheinen der Online-Ausgabe. Schriftlich begründet wurde dies – nachträglich – mit dem systemrelevanten Hinweis, dass in der Redaktion noch nicht entschieden worden sei, „ob und wie wir KI-generierte Inhalte verwenden …“ Mir ging es allerdings nicht um die Verwendung eines KI-Inhalts, ich wollte lediglich darstellen, wie ChatGPT versucht, den Sound einer Kolumne zu kopieren – und was zurzeit noch dabei herauskommt. Finde das interessant und streckenweise auch lustig. Nicht so die redaktionellen Bedenkenträger/innen, die eine Veröffentlichung prinzipientreu ablehnten. Und damit die Chance auf eine Diskussion vergeigten.
Nebenbei: Das ist der richtige Zeitpunkt für mich, nach mehr als fünf Jahren das Kolumnieren bei Kontext zu beenden. In Zukunft findet man meine Sachen auf dieser Homepage. Ohne künstliche Intelligenz. Nicht zwingend kleingeistig und humorfrei.

MAIL-KONTAKT: flaneursalon@joe.bauer.de

Und jetzt volle Kraft voraus in den Stuttgarter Hafen:

FLANEURSALON AM FLUSS

6. Stuttgarter Hafen-Picknick
Die Lieder- und Geschichtenshow am Neckarufer

Gewidmet Heinz Frank * (13. Dezember 1944 – 21. März 2024)

Samstag, 5. Juli 2025, Neckarhafen Stuttgart
Stahlbau Heil, Am Mittelkai 12 – 16

Das Gelände ist überdacht.

Das unkommerzielle Hafen-Picknick mit offenem Grill für alle ist geöffnet ab 17 Uhr. Mitbringen von Essen und Getränken kein Problem. Zur Versorgung steht auch ein Wagen der PS-Gastro bereit.

Bühnenshow: Beginn 18.45 Uhr. – Die Location ist bestuhlt.

Cemre Yilmaz & Friends, Songs
Stefan Hiss, Sänger & Akkordeonvirtuose
Hajnal, Sängerin
Cornelius W. M. Oettle, Satiriker
rahmenlos & frei, der Chor der Vesperkirche
Joe Bauer, Autor & Vorleser

In Kooperation mit Music Circus Concertbüro – unterstützt von Rosenau. *In Erinnerung an Heinz Frank, Freund des Flaneursalons und viele Jahre engagierter Förderer Stuttgarter Kulturarbeit.
Hier der Link zum Vorverkauf: TICKETS

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