LIEBE GÄSTE,
DAS FEST GEGEN RECHTS – für eine bessere Demokratie am Samstag, 18. Mai, bei schönem Wetter vor dem Stuttgarter Kunstmuseum/Planie war eine runde Sache: informativ, kurzweilig, berührend. Organisiert von unserem Netzwerk-Team. Eine Mischung aus politisch-analytischen und künstlerischen Beiträgen. Auch auf dem anschließenden Treffen mit Bühnenaktionen im Freien vor dem Württembergischen Kunstverein herrschte sehr angenehme Stimmung. Ich bedanke mich bei allen, die unsere Aktion unterstützt haben.
KLAUS DÖRRE, renommierter Professor für Arbeitssoziologe an der Universität Jena, hielt auf unserer Kundgebung eine bemerkenswerte Rede, die ich hier – in einer erweiterten, schriftlichen Fassung – weitergebe:
Die radikale Rechte ist besiegbar – wenn wir die Demokratie besser machen!
Klaus Dörre, Stuttgart, 18. Mai 2024
Liebe Demokratinnen und Demokraten!
Während der letzten Wochen hat sich gezeigt: Die AfD ist besiegbar! Laut Umfragen hat sie ein Drittel ihrer potentiellen Wählerschaft verloren. Das ist noch nicht genug, aber immerhin ein guter Anfang. Verloren hat die AfD vor allem, weil die Enthüllungen von Correctiv-Recherche die größte Massenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik ausgelöst haben – mit sage und schreibe 3,5 Millionen aktiv Beteiligten.
Aber machen wir uns nichts vor: Die Pläne für Massenausweisungen, die nach den Vorstellungen des Faschisten Björn Höcke 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung betreffen sollen, sind nicht vom Tisch. Deshalb müssen wir uns klar machen: Die radikale Rechte lässt sich erfolgreich nur bekämpfen, wenn wir die Demokratie, statt sie in ihrem Jetzt-Zustand nur zu verteidigen, besser machen! Besser machen bedeutet, offen über die gesellschaftlichen Ursachen zu sprechen, die den Rechtsruck begünstigen. Ich nenne an erster Stelle die geradezu obszöne soziale Ungleichheit, die auch die deutsche Gesellschaft spaltet. Nehmen wir nur die Entwicklung der letzten Jahre. Inflationsbedingt sind Löhne und Gehältert unter das Niveau von 2020 gesunken. Zugleich sind die Vermögen und Einkommen der wenigen Reichen und Superreichen deutlich gewachsen. Schon 2021 verdiente der damalige CEO (Vorstandschef) der Linde-Gruppe, Steve Angel, das246fache (2020 das 245fache) des Durchschnittsgehalts seiner Belegschaft. Der Verdienst von Vorsitzenden in DAX-40-Unternehmen war 53mal höher als der ihrer Belegschaften. In den Jahren von Pandemie und Inflation hat sich dieser Abstand weiter vergrößert. 2021 war der Verdienst der Vorstandschefs gegenüber dem Vorjahr um 35 Prozent gestiegen. Die Vorstandgehälter haben sich im Unterschied zu Löhnen und Gehältern von Durchschnittsverdiener:innen lange Zeit als besonders krisenfest erwiesen. 13 Jahre lang legten sie um ca. 10 Prozent zu, erst 2023 machte sich erstmals ein leichter Abwärtstrend bemerkbar, weil flexible Gehaltsanteile schrumpften.
Eine wichtige Ursache des Rechtsrucks ist, dass eklatante Ungleichheiten nicht zum emotionalen Triggerpunkt werden. Zwar sind nach einer von uns durchgeführten Bevölkerungsbefragung 89 % der Meinung, dass sich der gesellschaftliche Reichtum gerechter verteilen ließe. Dass dies wirklich geschieht, glauben jedoch nur die wenigsten. Weil die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit schwindet, gelingt es der radikalen Rechten, Konflikte zwischen oben und unten in Auseinandersetzungen zwischen Innen und Außen, zwischen sogenannter autochthoner, also „eingeborener“ und nicht autochthoner Bevölkerung umzudeuten. Wir dürfen nicht übersehen, dass solche Positionierungen selbst bei aktiven Gewerkschaftern auf Zustimmung stoßen. So erklärt ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann, der die AfD für die einzig wählbare Partei hält im Interview, er habe „nichts gegen Ausländer“, aber – das ist das „AfD-Aber“ –es könne „nicht sein, dass mit vollen Händen“ für andere ausgegeben werde, was „eigentlich unser Geld ist“.
Was meint „unser Geld“? Das der Bio-Deutschen? Oder das der Pass-Deutschen mit Staatsbürgerschaft? Schauen wir nur in die Werkshallen von Mercedes, wo Menschen aus mehr als 150 Nationen mit und ohne Staatsbürgerschaft „unser Geld“ und „unseren so ungleich verteilten Wohlstand erwirtschaften. Ausgrenzende Haltungen, die sich hinter dem AfD-Aber verbergen, mach deutlich, wie der Geist der Spaltung wirkt, den die AfD befördert. Getroffen werden bevorzugt die Schwächsten der Gesellschaft: vermeintlich integrationsunwillige Migranten, angeblich ohne Anspruch auf das „Volksvermögen“, aber auch, so das Ressentiment, „faule“ Erwerbslose und Menschen im Bürgergeldbezug. Dem lässt sich nur begegnen, wenn Demokratie wieder stärker zu einer sozialen Demokratie wird, wenn Umverteilen von oben nach unten gelingt, wenn der Überausbeutung von prekär Beschäftigten, von diskriminierten Frauen und Migrant:innen ein Riegel vorgeschoben wird.
Das ist auch deshalb dringend nötig, weil wachsende soziale Ungleichheit den ökologischen Umbau der Wirtschaft blockiert. Nach unserer Umfrage sind 84 Prozent der erwachsenen Bevölkerung der Ansicht, mit dem Klimaschutz gehe es in Deutschland zu langsam voran, fast alle halten den Ausbau erneuerbarer Energien für wichtig oder sehr wichtig (98 Prozent) und drei Viertel meinen, die Politik solle der Wirtschaft strenge Vorgaben zum Schutz des Klimas machen. Aber 84 sind auch der Meinung, die Kosten für den Klimaschutz belasteten Menschen mit geringen Einkommen zu stark.
Hier liegt ein weiterer Grund für den zeitweiligen Aufstieg der radikalen Rechten. Wenn ökologische Nachhaltigkeit unter Ausblendung sozialer Gerechtigkeit praktiziert wird, geht der Schuss nach hinten los. Wir dürfen nicht übersehen: Zur Verringerung klimaschädlicher Treibhausgasemissionen haben in Deutschland wie in der gesamten Europäischen nahezu ausschließlich Menschen mit niedrigen oder mittleren Einkommen beigetragen. Dagegen haben die Emissionen der reichsten Einprozent während der zurückliegenden drei Jahrzehnte um 26 Prozent zugenommen; die der superreichen 0,08 Prozent gar um 80 Prozent.
Weil diese Ungerechtigkeit nicht angegangen wird, kann die AfD den Umbau der Wirtschaft zu ihrem Thema machen. Sie suggeriert, dass sich ein Wirtschaftsmodell, das auf der klimaschädlichen Verbrennung fossiler Energieträger beruht, noch für lange Zeit fortführen lässt. Das fossilistische Modell in die Zukunft zu verlängern hieße, weiter zu machen mit einer Entwicklung, die uns gegenwärtig in Richtung einer durchschnittlichen Erderhitzung von 2,7 Grad bis zum Jahrhundertende treibt. Ein solches Szenario liefe darauf hinaus, dass etwa ein Drittel der Weltbevölkerung die angestammten Klimanischen verlieren würde; wenn sie könnten, müssten die Betroffenen zu Klimaflüchtlingen werden.
Das wäre der Marsch in einen Katastrophenkapitalismus, den, machen wir uns nichts vor, auch die gegenwärtig vorherrschenden Klimapolitiken begünstigen. So ist das Geld für den Europäischen Green Deal, der ökologisch völlig unzureichend ist, über 2026 hinaus nicht gesichert. Selbst am Aus für Verbrennungsmotoren wird wieder gezweifelt – auch in Stuttgart und bei Mercedes. Das Problem ist nur: Ökologische Großgefahren lassen sich nicht dauerhaft externalisieren. Früher oder später schlagen sie in Gestalt von Wetterextremen, Naturkatastrophen, Tier- und Menschsterben auf ihre Verursacher zurück.
Die Alternative kann nur sein: Bahn frei für nachhaltige, zukunftsträchtige Innovationen und Investitionen, die den Klimaschutz wirklich voranbringen. Übergang zu nachhaltigen Mobilitätssystemen mit vernetzten Mobilitätsträgern, in denen der der individuelle PKW-Verkehr eine wichtige, aber nicht mehr die dominierende Rolle spielt. Zukunftsträchtige Investitionspolitik bedeutet: Abschaffung der Schuldenbremse, die ökonomisch völlig dysfunktional ist. Stattdessen benötigen wir einen ökologischen Sozialstaat, der nach der Devise verfährt: Je größer der ökologische und Klimafußabdruck ist, desto höher muss auch der Beitrag zur Bewältigung der Kosten des ökologischen Umbaus ausfallen! Zugespitzt formuliert: Besteuern wir die Reichen und Supereichen progressiv, damit sie endlich angemessen zum ökologischen Umbau beitragen!
Wenn wir der Apokalypsenblindheit, von der die radikale Rechte profitiert, erfolgreich begegnen wollen, müssen wir die Demokratie auf die Wirtschaft ausweiten. Hauptursache des Klimawandels sind die Investitionen nicht der individuelle Konsum. Die Entscheidungsmacht über Geschäftsmodelle und Investitionen wird derzeit von winzigen Minderheiten monopolisiert. Es sind winzige Minderheiten in den Vorstandsetagen der großen Unternehmen, die darüber befinden, was hergestellt wird. Die übergroße Mehrheit ist von solchen Entscheidungen ausgeschlossen. Das führt zu dem, was der Philosoph Günter Anders einst als Trennung von Produktion und Gewissen bezeichnet hat. Weil sie von Produktionsentscheidungen weitgehend ausgeschlossen sind, verhalten sich Beschäftigte gegenüber dem, was sie herstellen, relativ gleichgültig. Ich betone: relativ gleichgültig; die „Benzler“ identifizieren sich schon bis zu einem gewissen Grad mit ihrem Produkt! Dennoch: Über Geschäftsmodelle entscheiden nahezu ausschließlich Eigentümer und Top-Manger. Das muss sich ändern, denn wirklich frei sind wir erst, wenn wir Verantwortung für das übernehmen, was wir produzieren. Zugespitzt formuliert: Besser als eine Kampfdrohne oder eine klimaschädliche Luxuslimousine nicht zu nutzen, wäre, sie gar nicht erst herzustellen. Deshalb muss die Entscheidungsmacht über das Was, das Wie, das Wozu und das Womit der Produktion radikal demokratisiert werden – und zwar innerhalb wie außerhalb der Unternehmen.
Wer die Demokratie auf diese Weise besser machen will, muss dicke Bretter bohren. Ein erster Schritt kann die aktive Ausübung des Streikrechts sein. Deshalb erlaube ich mir abschließend einen Aktionsvorschlag. Das Bündnis “Köln gegen rechts” hatte für den 21. März unter dem Motto 15 vor 12 zu einem Streik für Menschenwürde aufgerufen. Mit großem Erfolg. Zwar war der Streikbegriff strittig – aber die 15 Minuten vor 12 wurden in vielen Betrieben zu Arbeitsunterbrechungen und Aktionen gegen Rassismus und für Menschenwürde genutzt. Beteiligt waren Großbetrieb wie Deutz und Ford. Dabei zeigte sich, dass die Geschäftsleitungen den Aktionen mitunter offener gegenüberstanden als ihre Verbandsvertreter. Köln muss und darf kein Einzelfall bleiben. 15 Minuten für Demokratie und Menschenwürde gehen auch anderswo – zum Beispiel in der gewerkschaftlich noch immer gut organisierten Industrieregion Stuttgart. Dafür kann jede und jeder sofort etwas tun – im persönlichen Gespräch, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz im Betrieb und im Büro. Scheuen wir diese Auseinandersetzung nicht, denn nur so lässt sich erreichen, was wir dringend benötigen: einen wirklichen Politikwechsel, der die Demokratie besser macht! Vielen Dank!
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FLANEURSALON LIVE
Und dann hoffe ich, das unser Flaneursalon zwei Tage vor Beginn der Fußball-EM nicht im allgemeinen Rummel untergeht: Am Mittwoch, 12. Juni, ist die Lieder- und Geschichtenshow in der Rosenau (20 Uhr). Ihre Flaneursalon-Premiere hat dabei die fantastische junge Sängerin Cemre Yilmaz (mit einem Pianisten). Musik machen an diesem Abend auch der Sänger Eric Gauthier (er begleitet meine Sachen seit 23 Jahren) und der einzigartige Freestyle-Rapper Toba Borke mit seinem Drummer Julian Feuchter. Seinen zweiten Flaneursalon-Auftritt hat der junge Satiriker Cornelius W. M. Oettle, der u. a. für „Die Anstalt“ (ZDF) und „Titanic“ schreibt. Karten gibt es oline: ROSENAU