Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
irgendwie war zuletzt nicht unbedingt Rentner-Saison, es war einiges zu tun. Aber die Jammerei hilft ja niemandem. Am Mittwoch, 10. April, haben wir uns in der Rosenau zum Erinnerungsabend für unseren Freund Heinz Frank getroffen. Er ist am 21. März im Alter von 79 Jahren gestorben. Es gab Live-Musik und Wortbeiträge – auch einen von mir:
Willkommen liebe Gäste,
es ist gut und wichtig, dass wir hier zusammen sind, bei unserem Erinnerungsabend für Heinz, gestorben am 21. März mit 79 Jahren. Erinnern bedeutet nicht, in die Vergangenheit zu schauen, erinnern heißt: sich etwas vergegenwärtigen. Das gilt besonders für die Gedanken an einen Menschen, der für immer gegangen ist. Der sich am Telefon nicht mehr wie Heinz mit der unverwechselbaren Begrüßung melden wird: Ond? Zu deutsch etwa: Wie geht’s? Wie ist die Lage?
Viele haben ein merkwürdiges, ein bequemes Verhältnis zur Vergangenheit, wenn sie denken: Etwas ist vorbei, also ist es abgeschlossen. Für immer. Aber Vergangenheit vergeht nicht. Sie wirkt hinein in die Gegenwart. Etwas ist, weil etwas war.
Wenn ein Mensch gestorben ist, dem man nahe stand, ist er nicht einfach weg. Wir haben ihn an Orten getroffen, die weiterhin existieren, die mit ihm verbunden sind. Das sind Räume, in denen wir heute sind und auch morgen noch sein werden. Er war ein Teil unseres Lebens, unserer Geschichte – er bleibt in unserem Bewusstsein.
Bevor ich diese Zeilen aufgeschrieben habe, hatte ich mich mit Heinz Partnerin Shahla im Westen der Stadt getroffen, zum Reden. Auf meinem Spaziergang zurück nach Hause Richtung Osten landete ich ohne Absicht am Hoppenlaufriedhof. Es war schönes Wetter, ich ging hinein und stand vor Jahrhunderte alten Gräbern. Und ich sagte mir: Siehst du, da ist noch was. Hier ruhen welche aus der Vergangenheit, die den Lebenden noch was zu sagen haben.
Heinz war einer, der uns beeindrucken konnte, auf unterschiedlichste Weise. Manchmal, weil er genau dann da war, wenn wir ihn brauchten – und er genau das tat, was getan werden musste. Manchmal, weil er zu einem Treffen leicht verspätet kam, mit wehenden Haaren und mit einem einige Zentimeter zu deutlich aus dem Hosenbund heraushängendem Hemd.
Einem bodenständigen Menschen wie Heinz, der wegen seines Dialekts weltweit als Obertürkheimer identifiziert wurde, hängt man gern das Etikett „Original“ an. Das wäre billig. Er war viel mehr ein Unikat, ein durch und durch menschliches Unikat, und wenn ich jetzt sage, dass ich ihn hier in diesem Raum wahrnehmen kann, dann nicht deshalb, weil ich zur Geisterbeschwörung oder Esoterik neige. Wenn ich gelegentlich hier auf der Rosenaubühne saß, um in einer kleinen Show etwas vorzutragen, saß Heinz dort hinten links. Wenn er am Abend vom vielen Arbeiten noch nicht zu müde war, hob er kurz den Daumen. Dieses Bild wird bleiben. Und als ich neulich wieder im B-Block der Stuttgarter Kickers stand und kurz vor Schluss das Siegtor fiel, griff ich ganz automatisch nach meinem Taschentelefon, um Heinz wie gewünscht per SMS den Treffer zu melden. Dann fiel mir ein, dass er tot war. Noch ein Jahr zuvor hatte ich ihn nicht per Handy benachrichtigen müssen. Da stand er neben mir und sagte, dass es schwer werde mit dem Aufstieg. Zum Glück war er nicht fanatisch oder aufstiegssüchtig. Er wusste, dass auch im richtigen Leben nur die allerwenigsten in der Champions League spielen. Mit etwas Klassenbewusstsein ist auch die fünfte Liga keine Schande und jedes Spiel eine ernsthafte Sache,
Heinz und ich trafen uns über viele Jahre hinweg fast jeden Freitagabend um sechs im Brunnenwirt im Leonhardsviertel. Dieses rustikale Lokal mit seiner schillernden Vergangenheit bietet gute, reelle schwäbische Kost. Dort hatten wir unsere Ruhe, hier verkehren höchst selten Menschen aus der Kulturbetriebs-oder Halbpromi-Blase. Unseren Freitagstermin nannten wir „Krisensitzung“. Die wirklichen Krisen allerdings häuften sich im Lauf der Zeit. Die persönlichen, vor allem aber die politischen. Und Heinz konnte ganz schön zornig werden auf eine Sparte von Zeitgenossen, die er stets mit dem soziologischen Terminus Jodler bedachte: Er meinte damit jene Sorte von Managern, Politikern und Wichtigtuern, die eine Menge zu sagen haben, ohne etwas zu wissen.
Heinz war ein durchaus politischer Mensch. Regelmäßig ließ er sich über geplante Aktionen informieren, etwa über Demos gegen Rechte oder Kundgebungen für Geflüchtete. Er nahm daran teil und half auch mal aus, wenn Aktivisten das Kleingeld fehlte. Berührungsängste kannte er nicht. Vor allem beim Thema Rassismus konnte er fuchsteufelswild werden. Er hasste Vorurteile, Vorurteile von Menschen, die keine Ahnung haben von den Menschen, gegen die sie hetzen. Heinz war ein Gerechtigkeitsmensch, womöglich wäre er ein SPDler gewesen, wenn es in der SPD noch Sozialdemokraten gegeben hätte.
Unser Freitagsabendmahl mit paniertem Fisch und Kartoffelsalat dauerten nie lange. Meist musste Heinz noch in eine Vorstellung, ins Schauspielhaus, ins Opernhaus und selbstverständlich ständig ins Theaterhaus. Einen ganz entscheidenden Teil seines Lebens widmete er dem Theaterhaus. Seit Mitte der Neunziger war er regelmäßiger Gast in Wangen, später im neuen Haus auf der Prag. Von Beruf war er Unternehmer, er leitete die Firma Imak, spezialisiert auf Hydraulik. Hydraulik, hab ich gelesen, ist die Lehre vom Strömungsverhalten der Flüssigkeiten. In der Technik wird darunter die Verwendung von Flüssigkeit zur Signal-, Kraft- und Energieübertragung verstanden. Und dieses Ritual muss man sich symbolisch beim Einsatz von Heinz für das Theaterhaus vorstellen: Da gab es eine Menge Signal-, Kraft- und Energieübertragung. Die diversen Flüssigkeiten am Tisch 1 fürs Personal in der Theaterhaus-Gastro dagegen spielten eine eher untergeordnete Rolle. Heinz war ein Workaholic. Er hatte keine Zeit für Ausfälle. Er stand um fünf auf, um zu arbeiten. Tag für Tag. Ein Getriebener. Einer, der alles gab.
Gudrun und Werner Schretzmeier, ohne die es in Stuttgart kein Theaterhaus gäbe, haben mir dankenswerterweise einige Erinnerungen aufgeschrieben . Beispielsweise die: „Am Tisch eins, der auch scherzhaft Tisch Heinz hieß, tauchte Heinz fast täglich abends auf. Und es gab viele Besuche bei anderen Theatern. Dort erlebten wir zusammen Theater, Tanz, Musik, Circus. Viele dieser Strecken fuhren wir mit seinem Auto. Nach Frankfurt in den Mouson-Turm und in die Alte Oper. Nach München ins Gasteig, in die Schauburg oder zum Tollwut-Festival. Nach Zürich zum Theaterspektakel, und immer hinterher zurück nach Stuttgart, mit manchen Blitzer-Protokollen, die Wochen später in seinem Briefkasten lagen.“
Werner und Heinz waren Manegenbrüder, und das zunächst ganz ohne Theater. Heinz hatte einst bei den Kickers Fußball und in Obertürkheim Handball gespielt. Und Werner in Schorndorf ebenfalls Handball und Fußball. Vor diesem Hochleistungs-Hintergrund begann eine Männerfreundschaft, es lief ein langer Buddy-Film unter dem Titel: Zwei glorreiche Halunken.
Heinz war ein Bühnen-Junkie, am Tisch 1 schloss er viele Freundschaften mit Künstlern und Künstlerinnen. Er brauchte als Geschäftsmann diesen Gegenpol, er wollte etwas Sinnvolles tun. Künstlerische, kulturelle Arbeit, das bedeutet: Aufklärung, Bildung, Internationalität, Widerborstigkeit. Raus aus dem provinziellen Mief. Kunst stellt Fragen, attackiert soziale Verhältnisse, stört kleingeistige Selbstgerechtigkeiten. Kunst schafft Freude, Vergnügen – und reichlich Ärger. Gute Kunst ist niemals langweilig.
Ob Schauspiel, Oper, Jazz, Kabarett – Heinz war überall. Und so war es ein verdammt harter Schlag für ihn, als 2020 sein bester Freund unerwartet mit 80 Jahren starb: Manfred Wursthorn, genannt Knacke, Stuttgarts engagiertester Theaterbesucher, ein großer Theaterhaus-Unterstützer – und ständig gemeinsam mit Heinz in der Bühnenwelt unterwegs. Es gab ein geflügeltes Wort unter Intendanten: „Herr Wursthorn ist eingetroffen, die Premiere kann beginnen.“
Im Theaterhaus, wo der Humor eine tragende Rolle spielt, muss viel ernsthafte, harte Arbeit geleistet werden. Heinz unterstützte das Theaterhaus viele Jahre finanziell – und genauso mit der Hand am Arm, wie man in Obertürkheim sagt. Er war ein Macher, ein Schaffer. Unersetzlich wie etwas beim Bau der existenziell wichtigen Theaterhaus-Probebühnen, die Heinz zusammen mit seinem Freund Django installierte.
Auch mir selber half er gelegentlich, nicht nur beim spontanen Start unserer Künstler:innensoforthilfe zu Beginn der Corona-Pandemie, sondern auch beim Flaneursalon am Fluss, unseren kleinen Shows im Stuttgarter Hafen, die er sehr mochte. Wenn Heinz mit seinem Lastwagen Stühle vom Theaterhaus für uns ans Neckarufer karren ließ, war es Ehrensache, dass Waldemar Cimander am Steuer saß. Waldemar war in den Achtzigern ein ganz hervorragender Torhüter bei den Kickers in der zweiten Liga, wir nannten ihn Panther Cimander – und nach seiner Keeper-Karriere arbeitete er bis über die Rente hinaus bei Heinz. So kommen Dinge zusammen.
Als Heinz krank wurde, als sein Herz im vergangenen Jahr den unermüdlichen körperlichen und geistigen Belastungen nicht mehr gewachsen war, verlegten wir unseren Freitagsabendmahl bei gutem Wetter ins Waldheim Gaisburg, auch als Kommunisten-Waldheim bekannt. Wir saßen hoch über der Stadt im Freien und schauten hinunter ins Tal. Heinz war angeschlagen, und er sagte immer wieder, er habe nur noch einen oder zwei Sommer zu leben. Ich wollte das nicht glauben. Die Wahrheit war bitter. Es gab keinen weiteren Sommer mehr für ihn. Vor drei Wochen ist er im Robert-Bosch-Krankenhaus verstorben. Er bleibt uns gegenwärtig: als liebenswürdiger, kein einfacher Mensch, er war ein kantiger, auch mal leicht verschlurfter Charakter mit Widersprüchen und gewaltiger hydraulischer Energie.
Am Ende will ich noch einmal Gudrun und Werner zitieren, mit schönen Sätzen, die uns trösten: „Wenn wir mit Heinz in irgendeiner Theatervorstellung saßen und er nach wenigen Minuten schlafend in sich ruhte, war in der Regel sein Kommentar: Mit meinem Schlaf mache ich dem Regisseur und den Schauspielern das größte Kompliment, ich vertraue ihnen voll und ganz. Ich kann meine Augen zumachen.“
Heinz, du hast deine Augen zugemacht. Aber eins müssen wir dir noch mit auf den Weg geben, einen Satz von Bert Brecht, den ich zufällig ein paar Tage nach deinem Abschied gelesen habe: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“
Und diese Gefahr, Heinz, die kannst du getrost vergessen.
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FLANEURSALON LIVE
Für den Flaneursalon am Mittwoch, 12. Juni, in der Rosenau hat der Vorverkauf begonnen. Eric Gauthier ist dabei, erstmals die junge Sängerin Cemre Yilmaz, der Freestyle-Rapper Toba Borke – und der Satiriker Cornelius W. M. Oettle. Hier gibt es KARTEN
ZU UNSEREM NETZWERK – Geplante Aktionen:
Eine Veranstaltung zur bevorstehenden Kommunalwahl:
RECHTSRUTSCH AUCH IM STUTTGARTER RATHAUS?
Podiumsdiskussion mit Betroffenen des Gemeinderats
Mittwoch, 24. April 2024: Club White Noise – Glasbau, Eberhardstraße, U-Bahnunterführung Rathaus. Beginn: 19 Uhr
Alle reden von der „Brandmauer“, die zwischen demokratischen Parteien und der AfD bei Entscheidungen in Parlamenten und auch im gesellschaftlichen Umgang mit demokratiefeindlichen Politiker*innen stehen soll. Doch die Situation ist kompliziert: Wie können sich Politiker:innen bei Abstimmungen gegenüber der AfD so verhalten, dass ihre Arbeit sinnvoll bleibt? Die Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 könnten die Vorherrschaft in Stuttgart grundlegend verändern. Bis jetzt hat das ökosoziale Lager mit Grünen, SPD, Linken, SÖS, Stadtisten etc. die Mehrheit. Nach den Wahlen aber könnten Konservative und Rechte dominieren – und die Brandmauer endgültig fallen. Deshalb fragen wir: „Rechtsrutsch im Stuttgarter Gemeinderat?“ Es informieren und diskutieren betroffene Rät*innen: Petra Rühle (Grüne), Jasmin Meergans (SPD), Luigi Pantisano (Die Linke), Hannes Rockenbauch (SÖS), Thorsten Puttenat (Stadtisten). – Moderation: Tom Adler (Netzwerk). – Anmeldungen per Mail sind für uns hilfreich: kontakt@netzwerk-gegen-rechts.info
Alles klar für Das Fest gegen rechts. Für eine bessere Demokratie: Große Kundgebung auf dem Schlossplatz, anschließend Aktionen in der Umgebung: informativ, kämpferisch, spielerisch. Die Kooperation von Kunst und politischem Engagement.
Kundgebung mit dem Singer-Songwrite, Rapper und Musikproduzenten Max Herre, einer Größe der deutschen Popszene mit Stuttgarter Wurzeln. Mit dem Münchner Kabarettisten Max Uthoff („Die Anstalt“), dem Schauspieler Walter Sittler, einem Team des Theaters Rampe.
Mit der Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas (Uni Tübingen), dem Politikwissenschaftler Klaus Dörre (Uni Jena), mit Stuttgart gegen rechts – und Serkan Eren, dem Initiator und Leiter der Hilfsorganisation STELP. Moderation: Maike Schollenberger (Verdi) & Joe Bauer (Netzwerk).
Anschließend künstlerische Auftritte im Schlossgarten, u. a. mit der Salamaleque Dance Company (Dancers across Borders), der Musikerin Martl Jäckel, dem Tanzorchester Urbanstraße. Das Theaterhaus Stuttgart wird den Württembergischen Kunstverein mit seiner Außenbühne bespielen. Eine weitere kleine Bühne wird voraussichtlich vor den Staatstheatern stehen. Motto: Politische Aktivitäten müssen auch Freude machen … gemeinsam gegen rechts!