Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
in den vergangenen Wochen und Tagen war einiges zu tun. Das ging gelegentlich an die Grenzen meiner (gar nicht so schlecht trainierten) Rentnerkräfte. Aber so etwas merkt man ja immer erst hinterher – beispielsweise, wenn man seine Fehler entdeckt.
Auch bei der von Stuttgart gegen Rechts organisierten Kundgebung „Alle zusammen gegen die AfD“, deren Resonanz am Samstag, 20. Januar, alle Erwartungen bei Weitem übertraf, habe ich mitgeholfen (und auch eine kleine Rede vorgetragen). Meine jahrzehntelangen Veranstaltungserfahrungen sind im politischen Bereich ganz nützlich: etwa wenn’s drum geht, auf die Schnelle Technik und Live-Musik zu besorgen. So gesehen stellt der kleines Flaneursalon ein hilfreiches Netzwerk für allerlei praktische und inhaltliche Dinge her.
Stuttgart gegen Rechts fühle ich mich im Übrigen seit Jahren verbunden; mit einigen Aktivist:innen treffe ich mich regelmäßig, um Themen zu besprechen und zu tratschen. Der Altersunterschied spielt keine große Rolle – auch ein alter weißer Mann genießt eine gewisse Daseinsberechtigung.
Bemerkenswert bei der Veranstaltung auf dem Schlossgarten-Gelände war, dass die jungen Linken des historisch-antifaschistisch geprägten Aktionsbündnisses Stuttgart gegen Rechts (es besteht aus diversen Initiativen und Organisationen) alles aus eigener Kraft und mit eigenen – sehr bescheidenen – Mitteln stemmten. Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten waren bei der Mobilisierung in Stuttgart keinerlei lokale Politikgrößen oder Promis aus der sog. Kulturszene beteiligt. Keine Frage, dass die Aktion aufgrund des enormen Zulaufs hinterher auch dem einen oder anderen zuvor streng distanzierten Neoliberalen als hip tauglich erschien. Der Event-Charakter des Rummels unter freiem Himmel hatte durchaus einen gewissen Wir-müsssen-dabei-sein-Effekt. „Gegen die AfD“ ist inziwschen auch mal cool fürs Marketing. Sei’s drum, wenn’s der Sache dient.
Unterdessen geht auch die Arbeit unseres Netzwerks Gemeinsam gegen rechts (für eine bessere Demokratie) weiter. Am 17. Januar hatten wir eine gute Veranstaltung im überfüllten Jugendhaus Cann in Cannnstatt. Am 6. Februar folgt die nächste im Merlin Kulturzentrum (leider schon ausgebucht). Diese Netz-Initiative haben ein paar Freund:innen und ich im vergangenen Sommer gestartet, um mitzuhelfen, den antifaschistischen Gedanken aus dem Spektrum von Stuttgart gegen Rechts in andere gesellschaftliche Kreise hineinzutragen. Wir sind also alles andere als eine Konkurrenz.
Wichtig ist jetzt, dass die große Protestversammlung vom Samstag vor dem Neuen Schloss mit einer Besucher:innenzahl im fünfstelligen Bereich nicht als ein Ereignis gesehen wird, auf dem man sich eine Weile ausruhen kann. Was zählt, ist die kontinuierliche Arbeit gegen die extreme Rechte. Überall müssen Aktionen stattfinden, im Großen wie im Kleinen.
Und an diesem Sonntag gehe ich zur der Stuttgarter Kundgebung “Demokratie, Vielfalt, Freiheit verteidigen!“, die die Jüdische Studierendenunion Württemberg (JSUW) initiierte. Das ist im Vergleich zu Samstag die staatstragende Veranstaltung. Aber die politische Funktion eines Menschen verhindert ja nicht grundsätzlich eine Freundschaft. Sonntag, 21. Januar, Stuttgarter Marktplatz, 15 Uhr.
Und hier mein kurzer REDEBEITRAG vom Samstag auf dem Schlossplatz:
Schönen guten Tag,
hier an dem Ort, wo sich neulich noch das Riesenrad drehte. Heute müssen wir diesen Platz nicht von oben betrachten, um zu sehen, dass hier etwas Gutes passiert: Was für ein Anblick, dieser Riesen-Rummelplatz der Aufrechten.
Auch wir in Stuttgart drehen heute am Rad, womöglich an einem großen Rad gegen die Rassisten, gegen die Faschisten, gegen die AfD. Das Ganze dürfen wir nicht zu eng sehen: Die AfD firmiert zwar als Partei, in Wahrheit aber ist sie der parlamentarische Arm für den ganzen braunen Sumpf, der sich bei uns ausgebreitet hat.
Vielen Mensche erkennen die Machenschaften der AfD schon lange, spüren das Klima von Hass und Hetze, Verachtung und Ausgrenzung. Tatsächlich wurde die Bedrohung von rechts von der sogenannten Mitte jahrzehntelang ignoriert und verharmlost. Jetzt hat ein weiterer widerlicher Anlass viele aufgeweckt. Dieser Anlass war das sogenannte Geheimtreffen in Brandenburg. Aber selbst diese menschenverachtende Zusammenrottung der AfD mit Rechtsextremen und ihren Geldgebern könnte ihrer Propaganda nützen. Und einen ekelhaft vereinnahmten Begriff wie „Remigration“, ein anderes Wort für Deportation, populär machen. Für uns heißt das: Wir müssen hellwach auf ihre Sprache achten, es ist die Sprache des Unmenschen, sie darf sich nicht weiter einschleichen und salonfähig werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, unsere entscheidende Aufgabe ist es, den gemeinsamen Feind zu erkennen – und gemeinsam gegen diese Sippschaft vorzugehen. Dabei müssen wir, auch wenn wir das vielleicht nicht so gern hören, Scheuklappen ablegen, auch mal über unseren Schatten springen – und uns mit denen gemein machen, die eine klare antifaschistische Haltung zeigen.
Keine Frage. Es gibt Parteien, die wir vielleicht nicht mögen, es gibt Parteisoldatentum, es gibt Parteigehorsam. Aber in Parteien, auch bei den herrschenden, finden wir Menschen mit Anstand und Charakter. Menschen, die bereit sind, für die demokratische Sache zu kämpfen – und nicht nur um die Macht. Auch mit ihnen müssen wir uns verbinden. Wir müssen raus aus unseren Blasen, damit die Rechten von allen Seiten Gegenwind bekommen. Wir müssen Brücken bauen, die so stabil sind, dass sie auch dann nicht einstürzen, wenn gewichtige Antifanten und Anfinantinnen drübermarschieren, um mit anderen Kräften zu kooperieren.
Und das ist mein Appell: Wir müssen uns zusammentun. Uns vernetzen. Vergessen wir die Vereinsmeierei, das Konkurrenzdenken. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Faschismus siegt, wenn sich Antifaschist:innen nicht einig sind. Schaut auf die Menschen, nicht auf Parteien.
Und wenn jetzt überall floskelhaft gesagt wird, wir müssten die Demokratie schützen, dann heißt das ja nicht, die herrschenden Zustände schweigend zu tolerieren. Selbstverständlich müssen wir den sozialen Nährboden für die Rechten und die dafür Verantwortlichen im Auge haben – und uns wehren. Wir wollen mehr Gerechtigkeit, eine andere Wohnungspolitik, bessere Bezahlung – und endlich Umverteilung. Und zwar von oben nach unten. Nicht umgekehrt.
Gleichzeitig müssen wir alles tun, um die bestehenden demokratischen Rechte zu verteidigen. Freiheiten, die in der Vergangenheit hart erkämpft wurden. Um politisch handeln zu können, müssen wir die bedrohte Versammlungsfreiheit verteidigen. Die Presse- und die Kunstfreiheit. Kein Zufall, dass jetzt einer wie Söder daherkommt und Satire-Nischen im Fernsehen abschaffen will. Solche autoritären Eingriffe dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Die Mächtigen fürchten naturgemäß guten Humor, er dient der Aufklärung. Wer schon lässt sich gern als bayerischer Problembär enttarnen. Oder als Maulwurf der Demokratie.
Liebe Freundinnen und Freunde, es ist Januar, die Zeit der Gedenkfeiern für die Opfer des Faschismus. Lasst euch in diesen Tagen nicht einlullen von jener heuchlerischen Erinnerungskultur, die das Vergangene als vergangen abhaken will, um die Gegenwart zu beschönigen. Vergangenheit vergeht nicht. Sie ist gegenwärtig. Ich schließe mit einem Satz von Max Czollek: “Wie es war, darf es nicht mehr werden. Und wie es ist, darf es nicht bleiben.”
In diesem Sinne: Großen Dank, dass ihr heute da seid. Drehen wir weiter gemeinsam am richtigen Rad. Gegen rechts. Gegen die AfD.
Die rechte Welle brechen.
Für Samstag, 24. Februar (14.30 Uhr), plant Stuttgart gegen Rechts in Zusammenarbeit mit vielen Initiativen und Organisatoren eine weitere große Aktion mit Kundgebung und Demozug: „Die rechte Welle brechen“. Der genaue Ort wird rechtzeitig bekannt gegeben.
Flaneursalon live.
Und dann läuft ja bereits der Vorverkauf für den ersten Flaneursalon des Jahres. Am Dienstag, 20. Februar, sind wir wieder mal im schönen WIRTSHAUS SCHLESINGER: die Sängerin Barbora Soares (mit Michael Strobel an der Gitarre), Stefan Hiss und Toba Borke (mit Julian Feuchter am Schlagzeug). Ich mach auch mit. Achtung: Einlass: 18 Uhr. Essen: 18 Uhr bis 19.30 Uhr. Showbeginn: 20 Uhr. Es gibt genau 100 Plätze. Und Karten nur am Schlesinger-Tresen.