Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
es geht mitten hinein ins Jahresfinale.
In einem kleinen Team sind wir weiterhin dabei, unsere Aktion „Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie“ voranzubringen. Aus meiner Sicht wird die Bedrohung von Faschistischen, Völkischen, Nazis usw. nach wie vor sträflich unterschätzt, vor allem in vermeintlich ruhigen Gegenden wie bei uns in Baden-Württemberg (Umfrage: 20 Prozent der Wähler:innen für die AfD). Zurzeit sind wir dabei, Informations- und Duskussionsveranstaltungen zu planen (wenn’s geht, soll noch dieses Jahr eine stattfinden). Fest steht bis jetzt ein Termin: Am 6. Februar 2024 gibt es in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung im Kulturzentrum Merlin diesen Abend: „Die extreme Rechte: Ideologie – Akteure & Aktionsfelder – Gegenstrategien“. Es ist in Stuttgarts seit jeher nicht einfach, passende Räume zu finden – großen Dank an das Merlin. Näheres dazu demnächst.
Geplant ist weiterhin eine Veranstaltung zur Frage „AfD verbieten?“. Darum kümmert sich zurzeit Dietrich Krauß, der hauptamtliche Autor der Anstalt im ZDF. In der jüngsten Folge dieser Kabarett-Reihe ging es um das Thema „AfD-Verbot“, und wir hatten bereits vor der Sendung über einen Stuttgarter Nachzieher gesprochen. Die Anstalt-Show vom 10. Oktober ist in der ZDF-Mediathek zu finden. – Nach wir vor kümmern wir uns auch um einen Abend in Kooperation mit den Fanprojekten von VfB und Kickers über Fußball und rechte Einflüsse, der im Cannstatter Jugendhaus Cann stattfinden könnte. Es geht uns darum, mit der Aktion gegen rechts ganz verschiedene Orte zu erreichen. Wer an unserer Arbeit interessiert ist, kann sich in den NEWSLETTER eintragen: NETZWERK GEGEN RECHTS.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Demo an diesem Freitag, 27. Oktober, hinweisen: Stuttgart gegen Rechts ruft zum Protest gegen den sogenannten Bürgerdialog der AfD im Cannstatter Kursaal auf. Treffpunkt: Freitag, 17 Uhr, Cannstatter Wilhelmsplatz.
Es ist etwas anstrengend, sich in Zeiten wie diesen um lokale politische Dinge zu kümmern. Nach der Hamas-Attacke auf Israel, angesichts des andauernden Kriegs in der Ukraine und den sozialen Problemen im eigenen Land ist das gesellschaftliche Klima extrem aufgeheizt. Überall irrsinnige Schuldzuweisungen: Sündenbock-Denken. Halbwegs vernünftige Auseinandersetzungen und Debatten werden immer schwieriger. Und davon profitieren die Hetzer von rechts mit ihrer Desinformations-Propaganda.
Da erscheint es mir hin und wieder fast etwas absurd, mich um die alltäglichen Dinge zu kümmern. Trotzdem: Im Theaterhaus steht am Dienstag, 21. November, das Flaneursalon-Jubiläum zum 25-jährigen Bestehen meiner Lieder- und Geschichtenshow auf dem Programm. Und es wäre schön, ich könnte noch einige Leute mobilisieren … und nicht vergessen: Ohne etwas Spaß funktioniert auch keine politische Aktion. KARTEN für den Flaneursalon: THEATERHAUS – Telefonisch: 0711/4020720 – und täglich an der TH-Kasse.
Schon am Freitag, 17. November, findet die Buchvorstellung von Heinrich Steinfests Roman „Gemälde eines Mordes“ im Laboratorium statt. Nach der üblen, sehr kurzfristigen Absage (wegen angeblich mangelnden Publikumsinteresses) dieser ursprünglich bei Wittwer/Thalia geplanten Veranstaltung hoffe ich jetzt auf einen schönen Abend in Stuttgarts ältestem Live-Club. Meike Boltersdorf wird die Sache mit ihren Songs bereichern (unsereiner moderiert). Karten: LABORATORIUM – und an der Abendkasse.
Und dann noch Die Nacht der Lieder: Obwohl diese Benefiz-Show nach wie vor höchst offiziell von den Stuttgarter Nachrichten präsentiert wird, wie man auf der Theaterhaus-Homepage mehr als deutlich sehen kann, kümmert sich das Pressehaus nur halbherzig um die Werbung für die beiden Abende am 5. und 6. Dezember. Ärgerlich ist das für mich vor allem deshalb, weil ich wirklich alles getan habe, um den einstigen Selbstläufer über die Corona-Pandemie zu retten. Der Vorverkauf in diesem Jahr läuft zwar nicht schlecht, dennoch muss man sich mit Blick auf das veränderte Publikumsverhalten im Kulturbetrieb einfach mehr engagieren. Ich tue, was ich kann, lasse mangels der medialen Möglichkeiten eines Medienkonzerns inzwischen Plakate und Flyer selber fertigen. Also: Es gibt noch Karten für Die 22. Nacht der Lieder – nicht mehr für die vorderen Reihen, aber dieser kontrastreiche Bühnen-Mix wirkt auch noch in den hinteren Rängen. Vorverkauf: THEATERHAUS – Telefon: 0711/4020720
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Zurzeit sichte ich hin und wieder Kolumnen aus meinen Beständen, um ein Buch daraus zu machen. Es soll im Herbst 2024 in der Edition Tiama, Berlin, erscheinen. Dabei habe ich diesen Text von 2018 gefunden, er gefällt mir:
DER SCHWANZ HAT SCHULD
In der Stadt herrscht die Rattenplage, was erst auffiel, als die niedlichen Nager den akademischen Korpus des Kessels angriffen: Sie fraßen und zerstörten im Stadtgarten Archivbestände der Universität im Wert von 200 000 Euro. Wohl bekomm’s! Bisher wissen wir nichts über das Motiv dieser Attacke. Die Ratten hätten allen Grund, sich für ihre unqualifizierte Darstellung in literarischen und anderen intellektuellen Absonderungen ihres Erdenmitbewohners namens Mensch zu rächen. Die meisten charakterlichen Deutungen sind gespickt mit verlogenen Klischees: Ratten sind angeblich hinterhältig, feige und verseucht.
Wenn in Stuttgart jetzt die Ratten tanzen, sollte die Stadt stolz sein, endlich mal mit großstädtischer Power zu punkten. In Berlin beispielsweise war schon immer Rattenalarm. Ich erinnere mich an Zeiten, als meine Freunde in der Frontstadt ihre Klodeckel mit Telefonbüchern beschweren mussten, damit die Tierchen nicht übers Toilettenrohr in ihre Bude eindrangen, um mit ihnen die Matratze zu teilen.
Heute hat fast niemand mehr ein Telefonbuch im Haus. Womöglich muss ich damit rechnen, dass mich ein Nager neckisch ins Gemächt beißt, während ich gerade, beim Studium der Weltnachrichten via Mobiltelefon, mein Geschäft verrichte. Exakt in dieser Position brach ich im vergangenen August in Panik aus, als ich auf dem Handy über der heruntergelassenen Hose die Schlagzeile einer Hauptstadtzeitung las: „Dieses nagende Gefühl: Übernehmen die Ratten Berlin?“ Verdammt, dachte ich, es ist wieder so weit: Uns droht die feindliche Machtübernahme. Braune Rattenfänger erobern den Reichstag.
Rasch erhob ich mich, bewaffnete mich mit meiner stets ungesicherten Klobürste und forderte brüllend zum Kampf auf: Nur Ratten verlassen das sinkende Schiff!
Zum Glück stellte sich bei weiterer Online-Lektüre der „Berliner Zeitung“ heraus, dass „in der braunen Brühe“ des anhaltenden Starkstromregens in der Hauptstadt vorzugsweise vierbeinige Ratten oben schwammen, „die spitze Schnauze nach oben gereckt“. Auch Ratten wissen: Mit der Nase im Wind hast du auf diesem Planeten bessere Überlebenschancen. Dies gilt sogar, wenn du deinen Zinken in die abgasverseuchte Luft der neuen Rattenmetropole Stuttgart hältst. Und du musst dich wehren, wenn die Investoren deinen vertrauten Unterschlupf abreißen und die halbe Stadt umgraben.
Andererseits, so haben meine Forschungen ergeben, wird die Intelligenz der mehr als 60 Arten zählenden Gattung Rattus vom Menschen überschätzt. Die unterirdischen Biester sind grundsätzlich nicht schlauer als etwa Eichhörnchen – nur viel vorsichtiger. So üben sie sich beim Fressen in vornehmer Zurückhaltung, sobald ihnen etwas Ungewohntes begegnet. Maultaschenabfall war ihnen deshalb viel früher vertraut als unverdautes Sushi, was die allzu schwäbischen Züge der Ratte verrät: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.
Die ebenfalls menschliche Strategie der Ratte, ihre Beute zu hamstern, erklärt ihr Leben in Diskretion. Sie braucht Verstecke, egal ob im weichen Boden schöner Gärten oder in dunklen Nischen verwitterter Gemäuer. Sie liebt, wie alle anständigen Kreaturen, Altbauten mit Gerümpel im Keller und Höfe mit vollen Mülleimern. Deshalb taucht die Ratte weniger in den aseptischen Killesbergvierteln auf als in den angefressenen Niederungen der Stadt.
In Gerhart Hauptmanns Tragikomödie „Die Ratten“ symbolisiert unser Tierchen nicht nur die moralischen Schweinereien hinterhältiger Menschen, sondern auch die hygienischen Zustände in den Mietshäusern. „Wejen der Ratten“, wie es heißt, lernen wir eine Menge über die politischen Verhältnisse Ende des 19. Jahrhunderts. Die Ähnlichkeiten mit heute sind bekannt.
Warum die Ratte so verhasst ist, mag auch an der oft falschen Interpretation ihrer Geschichte liegen. Im Mittelalter verbreitete sie angeblich die Pest. Die wahren Seuchenerreger aber waren ihre Flöhe, für die sie so wenig konnte wie wir für Fußpilz. Auch haben die Ressentiments gegenüber dem Nager mit der Spießigkeit und Verklemmtheit der Menschen zu tun: Hätte die Ratte einen lustig-buschigen Schwanz wie das Eichhorn und nicht einen scheinbar nackten, zöge sie nicht einen Rattenschwanz von Vorurteilen hinter sich her. Ihr Schwanz erinnert an eine kurze Peitschenschnur, ist in Wirklichkeit aber ein hochsensibles, feinhäutiges Instrument zur Steuerung der Balance. Nicht jedes andere Lebewesen in unserer neoliberalen Wegwerfgesellschaft kann das von seinem meist überschätzten Anhängsel behaupten.
Schon gar nicht in Martin Scorseses grandiosem Film „The Departed“. Eine wahre Ratte in diesem Mafiaepos mit seinen Machoritualen ist Detective Colin Sullivan (Matt Damon), ein Spitzel des Mobs in den Reihen der Bullen. Wer den Film gesehen hat, wird sich für immer an den pointierten Schlusspunkt erinnern: Eine echte Ratte huscht durchs Bild.
Zur Rettung des Rattenrufs gingen in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts rebellische junge Damen und Herren mit bunten Frisuren und zerfledderten Klamotten in Stellung. Auf den Schultern tragend, kürten unsere Punks den Outlaw aus den Löchern und Kanälen des proletarischen Lebens zum Freund. Mehr Respekt vor der Ratte hatten nur Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr., Peter Lawford, Joey Bishop und Shirley MacLaine, als sie sich Ende der fünfziger Jahre Rat Pack nannten.
So verbleibe ich angesichts nagender Gefühle grübelnder Rathauspolitiker im Sumpf ihrer selbst verschuldeten Stadtplage: Ein Hoch auf das Rattenpack!