Heute auf der Depeschenseite ein Kommentar von Thomas Ott, der im Stuttgarter Gerberviertel die sehr empfehlenswerte Buchhandlung Erlkönig leitet. Thomas gilt als Pionier der Stuttgarter Schwulen-Bewegung. Es handelt sich hier um seine Einordnung des Vorfalls bei der Stuttgarter CSD-Parade am vergangenen Wochenene, ausgelöst von Leuten, die ich auf Facebook als „sehr junge Trottel aus Reutlingen“ bezeichnet habe. Zuvor hatte ich die Stellungnahme des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (aabs) in meiner 2383. Depesche veröffentlicht und auf Facebook verlinkt. (Vorherige Depeschen erreicht man mit dem Pfeil oben links < auf dieser Seite)
Thomas Ott:
Worum geht es? Es geht um eine offensichtlich spontane, dämliche und dazu völlig misslungene Protestaktion von ein paar „sehr jungen Trotteln aus Reutlingen, die Antifa spielten“ (Danke, Joe). Im Laufe dieser Aktion kam es zu einem Gerangel, bei dem CSD-Sprecher Detlef Raasch einen Ellbogen ins Gesicht bekommen hat. Ich finde das nicht witzig. Ich finde, das war saublöd, unpassend und ärgerlich.
Geplant war eine kurze, symbolische Blockade eines CSD-Wagens, um die eigenen Positionen (Kritik an der Kommerzialisierung des CSD und Teilnahme konservativer Parteien wie der CDU) vorzubringen.
Wie gesagt: Ich finde, das war saublöd. Und „überflüssig wie ein Kropf!“
Dass da nicht nur die direkt Betroffenen (z. B. Detlef Raasch) sauer sind, ist nachvollziehbar. Und wenn es der Wahrheitsfindung dient, kann man sich auch gerne distanzieren von der Aktion und sie „aufs Schärfste verurteilen“. Man könnte es auch dabei bewenden lassen, zu sagen: „Glücklicherweise ist bei diesem Unfug nichts wirklich ERNSTHAFTES passiert“.
Was die Sache NICHT war, ist ziemlich eindeutig: Es war kein „Angriff von Linksextremisten der Antifa“ gegen den CSD oder „queere Menschen“, sondern ein dämlicher, sozusagen „mit Ansage“ aus dem Ruder gelaufener Versuch, eine „abweichende Meinung“ INNERHALB der „queeren community“ zu artikulieren. Auf untaugliche Art und mit untauglichen Mitteln, wie ich meine.
Etwas ganz und gar anderes ist, wie diese bescheuerte Aktion medial aufgenommen und verarbeitet wird:
Ich google mal „CSD Stuttgart“, und Google liefert diese „Schlagzeilen“:
„Antifa unter Verdacht: Kritik nach Angriff beim Stuttgarter CSD“ (Zdf heute)
„Antifa-Angriff auf Stuttgart Pride überschattet überwiegend friedlichen…“ (RegioTV)
„Stuttgart: Politiker kritisieren Angriff auf CSD-Parade in Stuttgart“ (Die ZEIT)
„Baden-Württemberg – Mutmaßliche Linksradikale stören CSD Stutttgart (Deutschlandfunk)
„Gewaltsamer Angriff auf Stuttgarter CSD sorgt für Bestürzung“ (web.de)
„Antifa-Gruppierung startete Angriff auf Stuttgarter CSD-Umzug (n-tv)
„Christopher Street Day in Stuttgart: Nopper verurteilt Attacke beim CSD“ (Stuttgarter Zeitung)
Medial wird der gesamte „CSD Stuttgart“ eingedampft auf die Schlagzeile, „die Antifa“ bzw. „Linksradikale“ hätten „einen gewaltsamen Angriff auf den CSD“ unternommen.
Diese vollkommen groteske mediale „Bearbeitung“ suggeriert unisono, dass es sich um „queerfeindliche Gewalttaten“ gehandelt habe, also in etwa vergleichbar mit der organisierten Gewalt, die Pride-Veranstaltungen in Osteuropa regelmäßig von Seiten rechtsradikaler oder fundamentalistisch christlicher Seite erfahren. Oder in etwa so, wie auch hier in Deutschland Rechtsradikale, namentlich große Teile der AfD, und fundamentalistische islamistische Strömungen ihren Hass gegen das, für das „queer“ steht, zum Ausdruck bringen, in Worten und Taten.
Und schon ist der lächerliche, wahrheitswidrige und von vielen selbstverständlich „gewollte“ Diskurs am Laufen, der da behauptet, die „Linken“ (bzw. die „Antifa“) seien für queere Menschen (und auch sonst so) mindestens genauso gefährlich wie die „Extremisten auf der anderen Seite“…
Und in der StZ darf dann der Stuttgarter CDU-Kreischef zum Fazit kommen: „Niemand ist offensichtlich vom Spirit des CSD so weit entfernt wie die Antifa“. Soweit sind wir, dass die CDU den „Spirit des CSD“ definieren will. Pfffffft!