Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
diese Zeilen hiere tippe ich im Zug. Diese Woche habe ich mir einen kurzen Ausflug gegönnt, mit meinem alten Freund Goggo Gensch fuhr ich nach Bonn. Eine relativ spontane Sache, wir wollten kurz vor Schluss Volker Löschs Inszenierung von „Recht auf Jugend“ am Bonner Theater sehen, ein Stück über und mit Klima-Aktivist:innen, die im Ensemble spielten. Die Vergangenheitsform, die ich gerade gewählt habe, ist berechtigt, wir besuchten die letzte Vorstellung der Saison; in der nächsten Spielzeit wird das Stück nicht mehr auf dem Spielplan stehen. In den Theatern ist man anscheinend immer öfter bestrebt, die Produktionszahlen wie auf anderen Märkten zu steigern.
Das Finale war sehr gut besucht, der Saal fast voll. Ich muss nicht erwähnen, dass Volker Löschs Agitationstheater, das wir noch aus Stuttgart kennen, von Teilen der Kritik abgelehnt wird. In der Regel lautet das Urteil „mangelnde Kunst“, Rezensenten ärgern sich z. B. über den typischen „Lösch-Sound“ – den skandierenden Ensemble-Chor. Angeblich „ermüdend“. Solche Einwürfe interessieren mich nicht. Der energiegeladene, motivierende Sprechrhythmus, die kontrastreiche Durchleuchtung komplexer politischer Stoffe mit großer emotionaler Energie, ein durchaus guter Humor bei der Karikierung der herrschenden Politik und der hohe Informationswert der Texte haben für mich sehr wohl künstlerische Qualität. Da passiert etwas sehr Eigenes, während sich, wie in unserem Fall, die in Weiß getauchte Bühne langsam in einen schwarzgrau verschmierten Kasten verwandelt. Alles zusammen öffnet einem die Augen für ein gesellschaftliches Klima, in dem Aktivst:innen wie Kriminelle behandelt werden.
Löschs Bühnenarbeit erzielt sichtbar und hörbar Wirkung bei einem Theaterpublikum, das die „Kunst“-Fraktion einiger Medien mit einer gewissen Überheblichkeit abtut, nach dem Motto: Euer Kram interessiert uns nicht, wissen wir doch eh schon alles (und tun nichts dagegen). Gerade so, als hätte nur irgendeine Elite, die dem Privatgeschmack des Medienpersonals entspricht, ein Recht auf subventioniertes Theaters.
Sei’s drum. Am Ende gab es in Bonn stehenden Applaus, vor allem von den sehr vielen jungen Leuten im Publikum. Der Regisseur und Aktivist Volker Lösch macht sein Ding, und er macht es gut, effektiv. Ein krasser Mangel des Kunstbetriebs ist es, nicht mehr Leuten seines Schlags Räume zu gewähren. Und Kunst auch als politisches Mittel zur Verteidigung einer demokratischen Kultur zu begreifen.
Unser Bonn-Trip wurde im Übrigen gut ergänzt vom Besuch zweier Ausstellungen in der Bundeskunsthalle: eine Schau über die Tänzerin/Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin Josephine Baker, eine andere über die 1920-er in Deutschland. Es fällt nicht schwer, unsere drei Stationen am Rhein in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts miteinander zu verknüpfen.
Eine kurze Reise ist weiß Gott keine Aktion, aber womöglich nicht ganz unwichtig, um wenigstens halbwegs wachsam und in Bewegung zu bleiben – und die Birne für Aktionen zu motivieren in den Tagen, da die AfD laut Umfragen auf 20 Prozent kommt und damit in der Wähler:innengunst zweitstärkste Partei hinter der CDU ist. Hinter einer CDU, die mit ihrer gefährlichen Rechtslastigkeit die Rechten und Nazis befeuert. Von der FDP zu schweigen.
Wir brauchen dringend mehr skandierende Chöre. Nicht nur auf Bühnen.
PS: Warum sich Herr Gensch und unereiner zuerst zum falschen Theater ans Bonner Rheinufer aufmachten und erst kurz vor Beginn bemerkten, dass wir schleunigst mit einem klimafeindlichen Verbrenner-Taxi zum richtigen Haus nach Bad Godesberg rasen müssen, steht auf einem anderen Blatt … wir haben es, Helden, die wir sind, gerade noch rechtzeitig geschafft.
FLANEURSALON LIVE
Die Lieder- und Geschichtenshow ist zum zweiten Mal in diesem Sommer im schönen Garten der Ratze. Am Freitag, 28. August, 19 Uhr. Buchungen ab sofort via Mail: ratzestr@gmail.com – und wie immer am TRESEN im famosen Schlesinger, Schloßstraße 28.
WAGNER
Der heutige Tag zeigt vor allem eins: All diese Expert:innen in Medien und Politik haben nichts zu bieten außer Mutmaßungen. Es gibt keine verlässlichen Fakten über den Krieg und seine Entwicklung. Prognosen und Thesen sind Humbug – auch wenn die eine oder andere mal aus Zufall oder Glück hinhaut. Interessant in diesem Zusammenhang finde ich diesen Taz-Artikel vom März 23: FRAG CLAUSEWITZ
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