Liebe Freundinnen und Freunde des Flaneursalons,
für einige Tage habe ich mich aus dem Kesselstaub gemacht, bin in die teelastige Weite Ostfrieslands geflüchtet. Devise: Das Nichts ist besser als nichts. Gute Luft, heftiger Wind. Tatsächlich war es seit meiner Ankunft vor acht Tagen meist kühl, was mich nicht störte. Jetzt, zu Pfingsten, ist der Frühsommer ausgebrochen – und sofort wieder verschwunden. Ich ziehe täglich ein wenig durch die Gegend, zu Fuß, mit der Bahn. Mein sogenannter Standort ist die kleine Stadt Norden am äußersten Zipfel der Republik, wo lange Doornkaat produziert wurde. Eine nachgebaute Riesenflasche im Grünen erinnert an den Korn, der einst vielen Arbeit und Ohnmacht gab.
Die Nordsee ist nicht weit weg, in einer Dreiviertelstunde auch zu Fuß zu erreichen. Am Samstag habe ich Emden heimgesucht, die Hafenstadt, der Otto Waalkes entsprungen ist. Dem Komiker hat man dort „Dat Otto Huss“ gewidmet – samt einer entsprechenden Figur im grünen Fußgänger-Ampellicht am Zebrastreifen. Sicher weniger doof als das „Äffle & Pferdle“-Getue in Stuttgart. Man nennt Ortschaften wie Emden, das bis 1997 Marine-Stützpunkt war, in aller Regel „malerisch“. Aber ich kann und will dazu nich viel sagen, bin nur abhängender Tourist ohne Wissensehrgeiz.
In Emden hat der frühere „Stern“-Herausgeber Henri Nannen in den Achtzigern seine Kunsthalle Emden bauen lassen. Als sein Magazin seinerzeit Konrad Kujaus „Hitler-Tagebücher“ veröffentlichte, hat ihn das nicht mehr so richtig interessiert, obwohl er als einstiger antisemitischer Propaganda-Hetzer der Nazis genau gewusst haben muss, dass die Niederschriften des Stuttgarter Fälschers reine Lügengeschichten waren. Laut Kujau war Hitler nicht mal über den Holocaust informiert. Als im vergangenen Jahr über Nannens Nazi-Vergangenheit berichtet wurde – nicht lange, bevor der Fall Kujau neu aufgerollt wurde –, hat man den Namen Henri Nannen aus der nach ihm benannten Journalistenschule gestrichen und den Henri-Nannen-Journalistenpreis in „Stern-Preis“ umbenannt (siehe Kolumne BRAUN GERÖSTET). Immerhin aber ist ihm heute neben der Emdener Kunsthalle das Café Henri’s im Erdgeschoss der benachbarten Mahlschule gewidmet.
Und damit zurück nach Stuttgart. Immer noch gibt es Karten für den Flaneursalon am Freitag, 9. Juni, im Garten der RATZE am Raichberg, ganz in der Nähe des Waldheims Gaisburg (Friedrich-Westmeyer-Haus). Nach einem Mittagessen in der Ratze im vergangenen Sommer habe ich der Wirtin Tanja O’Kelly den Tipp gegeben, die kleine, völlig unbeachtete Bühne auf ihrem Gelände in der Kleingartenanlage Raichberg neu zu beleben. Die lag unsinnigerweise brach. Und so gab es im Sommer 2022, nach den vielen vorherigen Pandemie-Auflagen, gleich zwei Flaneursalon-Shows, beide restlos ausverkauft. Etwa 170 Leute haben dort Platz. Diesmal fehlen anscheinend der Reiz des Neuen und der Drang der Menschen, sich nach Corona endlich wieder halbwegs unbeschwert treffen zu können. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass es voll wird.
Unser Bühnengast Thabilé ist übrigens gerade beim größten afrikanischen Musikfestival Europas in Würzburg mit dem Africa Festival Artist Award 2023 ausgezeichnet worden. Meinen herzlichen Glückwunsch! Als die südafrikanische Sängerin vor einigen Jahren als Studentin nach Stuttgart kam, habe ich sie über den Musiker Steve Bimamisa kennengelernt. Steve hatte damals schon einige Male im Flaneursalon gespielt. Und so machte auch Thabilé im Flaneursalon ihre ersten Auftritte in ihrer neuen Umgebung.
2001 habe ich zufällig den Kanadier Eric Gauthier kennengelernt. Damals war er ein junger, unbekannter Tänzer im Stuttgarter Ballett – und Nebenberufsmusiker/sänger. Ich lud ihn zu meiner ersten Nacht der Lieder ein, damals im Kino Metropol. Einige Jahre später überredete ich ihn, diese Benefiz-Show zu moderieren. Er wollte erst nicht. Ich sagte ihm: Du kannst tanzen und singen und eine Showtreppe hinuntergehen wie kein Zweiter weit und breit, und das bisschen Reden, in welcher Sprache auch immer, ergibt sich … 2006, damals im Schauspielhaus, war es dann so weit. Wir machen also schon ziemlich lange regelmäßig zusammen Sachen. Eric hat großen Spaß daran. Es ist deshalb Unsinn, immer wieder zu behaupten, ich würde ihn wegen seines Namens in den Flaneursalon einladen. Hat sich eben so ergeben, vor 22 Jahren. In diesem Jahr findet Die Nacht der Lieder am 5. und 6. Dezember im THEATERHAUS statt. Und wie so oft bitte ich darum, diese Benefiz-Sache, die ich immer noch rein ehrenamtlich im Namen der StN organisiere, zu unterstützen.
Und dann haben wir in der Ratze noch den Reiseschriftsteller und Satiriker Oliver Maria Schmitt als Spezialgast. Er war u. a. mal einige Jahre Chefredakteur der Titanic und gehört zu ersten Liga der berüchtigten Frankfurter Humorszene. Bis heute ist er mit Martin Sonneborn und Thomas Gsella in der Titanic BoyGroup auf Tour. Ursprünglich stammt er aus Heilbronn, einer der weltweit wichtigsten Hafenstädte neben Emden. Ein famoser Autor und Vorleser.
Und hier kann ich’s ja verraten: Auch der genialische Freestyle-Rapper Toba Borke und einer seiner Beat-Partner werden im Ratze-Garten mitmachen. Für ein Eintrittsgeld von 20 Euro ist das alles zusammen ein finanziell völlig überdimensioniertes Aufgebot, vor allem, weil auch noch satte Kosten für Technik und Techniker hinzukommen. Ich selber verdiene bei einer solchen Veranstaltung keinen Cent, muss diesmal froh sein, wenn ich nicht draufzahle. Warum ich es dann mache? Weil mir diese Art Show gefällt, dieses Aufeinanderprallen von Verschiedenem, das sich ergänzt. Im Übrigen bin ich als einziger Teilnehmer kein Berufskünstler, und Hobbys kosten bekanntlich Geld. Karten gibt es hier: ratzsestr@gmail.com – und am Tresen im sehr schönen Wirtshaus SCHLESINGER. Essen wird am Flaneursalon-Tag in der Ratze von 16.30 Uhr bis 18 Uhr serviert.