RETTET DAS METROPOL!
Eine Chronik
Am Donnerstag, 19. Januar 2023, wurde offiziell bekanntgegeben, dass die Union Investement das historische Stuttgarter Metropol-Gebäude an die Filmtheaterbetriebe Lochmann vermietet hat. Der Kino-Unternehmer Heinz Lochmann betreibt bereits viele Lichtspieltheater, nicht nur im Großraum Stuttgarter, zu seinen Häusern zählen u. a. das Passage-Kino in Hamburg und das legendäre Kant-Kino in Berlin-Charlottenburg.
Der Unternehmer aus Rudersberg, gelernter Bäckermeister, wurde schon als Jugendlicher von der großen Leinwand infiziert, weil seine Tante ein kleines Kino hatte. Er ist ein Abenteurer mit großer Liebe für das Filmtheater. Im Herbst 2022 habe ich mich mal mehrere Stunden mit ihm in einem italienischen Restaurant geplaudert; es war ein sehr unterhaltsamer Abend mit originellen Ansichten eines schwäbischen Mannes, der das Risiko sucht. Und dank „Spiel mir das Lied vom Tod“ gelernt hat, warum du zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein musst.
Als jetzt nach langen Verhandlungen sein Vertrag mit der Union Investment unterzeichnet war, meldete den Abschluss nicht etwa Heinz Lochmann, sondern das Finanz-Unternehmen: Sie wollte mit der guten Botschaft unbedingt vor dem neuen Mieter ins Rampenlicht. Der hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Vertrag noch nicht in der Hand, er war noch auf dem Postweg. „Ich mach keine dicken Backen, solange mir die Unterschrift nicht vorliegt“, sagte er mir am Telefon.
Die Nachricht über die Zukunft des Metropols war noch nicht öffentlich, da meldete sich der Mann, der sich als wahrer Retter des traditionsreichen Kino- und Showbühnen-Gebäudes darstellt: Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper. Sein „Kommunikationsteam der Landeshauptstadt“ verlautbarte auf Noppers Facebook-Seite: „Die Gespräche des Oberbürgermeisters haben entscheidend zu der jetzt gefundenen Lösung beigetragen.“ Umgehend verbreitete die CDU Stuttgart-Mitte eine weitere Helden-Version auf der FB-Seite „Stuttgart – meine Stadt“: „Super Geschichte! Klasse, dass OB Nopper hier eine so gute Lösung vermitteln konnte.“ Dieser OB hat den Drang, alles, was die Stadt positiv zu vermelden hat, postwendend zu vereinnahmen. Er spielt den local hero, was ganz unterhaltsam ist, seit sich nicht nur im Rathaus herumgesprochen hat, dass er öfter mal Probleme hat, selbst einfache politische Abläufe in der Stadt zu verstehen. Aber Eigenlob stinkt nicht in den Nase derer, die sie hoch tragen. Als beispielsweise im Januar – bundesweit – entschieden wurde, die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln abzuschaffen, wählte Noppers „Kommunikationsteamder Landeshauptstadt“ bei der Verbreitung der Nachricht die lustige Einstiegsformulierung: „Wie von mir bereits seit Wochen gefordert …“ (Die Bundesländer von Bayern bis Schleswig-Holstein waren beeindruckt.)
Im November 2020, mitten in der ersten Corona-Welle, wurde publik, dass die langjährigen Mieter des Metropol-Gebäudes in der Bolzstraße, die EM-Filmtheaterbetriebe Mertz, ihren Vertrag nicht über das Jahr hinaus verlängern würden. Zu teuer. Das schreckte in der Kulturszene nicht nur Kino-Liebhaber auf. Der Filmemacher Goggo Gensch, als Ex-Leiter des SWR-Doku-Festivals mit dem Haus verbunden, verfasste umgehend einen offenen Brief an den noch amtierenden OB Fritz Kuhn. Hunderte Stuttgarter*innen unterzeichneten das Schreiben. Kuhn antwortete, er habe das Problem an den Bürgermeister Fabian Mayer weitergeleitet; der CDU-Politiker ist u. a. für die Kultur der Stadt zuständig. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, was die Union Investment mit dem Gebäude vorhatte.
Im Dezember lud mich das Organisationsteam der Montagsdemos gegen Stuttgart 21 ein, zum Abschluss des Demozugs vor dem Metropol über die Historie dieses geschichtsträchtigen Ortes zu sprechen. Hier hatte bis zu seinem Abriss Stuttgarts erster Bahnhof gestanden (nur wenige Teile hat man in den heutigen Gebäuden erhalten). Tatsächlich hatte ich mich immer wieder mit dieser Ecke der Stadt beschäftigt. Nicht nur mit dem Kino, sondern auch mit dem einst benachbarten Hotel Marquardt, einem zu seinen Hochzeiten international bekannten Haus erster Klasse, in dem illustre Persönlichkeiten verkehrten. Die Liste der Namen reicht von Richard Wagner über Karl May bis Max Schmeling. Auch das Metropol selbst lag mir am Herzen; im großen Saal der Filmtheater habe ich 2001 die Benefiz-Showreihe Die Nacht der Lieder gestartet und schon ein Jahr zuvor zusammen mit dem Entertainer Michael Gaedt das Live-Programm für die Neueröffnung des renovierten Metropols arrangiert.
Um der Brisanz der aktuellen Entwicklung rund ums Metropol gerecht zu werden, bat ich den alten Weggefährten Goggo Gensch, bei der S-21-Aktion meine Betrachtungen mit einem Bericht zum Stand der Dinge zu ergänzen. Die ständig als „ewig gestrig“ verspottete Montagsdemo greift regelmäßig aktuelle Themen auf, die auf den ersten Blick nicht direkt mit Stuttgart 21 zu tun haben, für eine Protestbewegung aber durchaus relevant sind. Heute kann ich sagen, dass uns die Beiträge in der nächtlichen Atmosphäre am 8. Dezember vor dem Metropol schnell zu weiteren Aktionen motiviert haben (bei der Organisation von Veranstaltungen und Straßenaktionen bin ich zum Glück nicht ganz ungebübt).
Bald kam heraus, dass die Union Investment mit feinem Gespür für die Stadtgeschichte vorhatte, das Gebäude als Kletterhalle an ein Boulder-Unternehmen zu vermieten. Die Pläne dazu stellte die Firma (sie wusste vom historischen Hintergrund des Gebäudes nichts) am 1. Februar 2021 im Bezirksbeirat Mitte im Rathaus vor. Diesen Termin in den Abendstunden nutzten wir zu einer zeitlich parallelen Aktion unter dem Motto „Rettet das Metropol!“. Trotz miesen Wetters war die Kundgebung am Rathaus-Hintereingang überraschend gut besucht. Um die Kletterpläne mit dem richtigen Soundtrack zu untermalen, unterstützte uns der Berufsmusiker Marcel Engler (Loisach Marci) mit dem Alphorn.
Im Februar trat Nopper, der Ex-OB aus Backnang, sein neues Amt an, wegen eines juristischen Einspruchs zunächst als sogenannter Amtsverweser. Eine Berufsbezeichnung, die sich bald als passend erweisen sollte. Aus konservativen Kreisen im Gemeinderat war bereits mit der üblichen Überheblichkeit der Unwissenden zu hören, vom Metropol-Gebäude werde schon bald kein Mensch mehr sprechen, das Kino an sich sei tot. Für Goggo Gensch und mich ein Ansporn, so schnell wie möglich weitere Aktionen zu starten. So gab es noch im Februar zwei weitere Kundgebungen unter dem Motto „Rettet das Metropol!“, diesmal vor dem alten Kino-Eingang. Redner*innen aus der Kulturszene, darunter versierte Filmleute, aber auch Vertreter*innen stadtpolitischer Initiativen, beteiligten sich, Musiker*innen begleiteten die Aktionen. Goggo Gensch formulierte eine Netz-Petition, die bis heute fast 5000 Unterschriften brachte. So gesehen entspricht es parteitypischer intelligenz, wenn ein CDU-ler namens Joerg Willburger auf der Facebook-Seite „Stuttgart – meine Stadt“ zum Thema „Metropol“ höhnt: „Demos gibt es hier in Stuttgart wie Sand am Meer, das nimmt eh keiner mehr wahr.“
Bald nutzten wir unsere Metropol-Aktionen, um neue Themen zu platzieren. Wir sprachen uns nicht nur für den Erhalt des Kinos aus, sondern plädierten auch für einen Ort der Begegnung im Zeichen internationaler, interdisziplinärer Kunst. Wir sprachen über neue, zeitgemäße Präsentationsformen. Entsprechend international waren die Redner:innen und Künstler:innen auf der Straße. Nie allerdings waren wir so naiv, an die Realisierung eines Hauses der Kulturen zu glauben. Vielmehr ging es uns darum zu zeigen, dass Kundgebungen nicht nur dem Protest, sondern der Information, der Aufklärung und dem Diskurs dienen. In Stuttgart, einer Stadt mit großem Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, fehlen offene, freie Räume. Die Probleme, die deshalb entstehen, löst man nicht mit Polizeigewalt, Video-Überwachung und Messerverbotszonen.
Obwohl es uns ständig um die Vermittlung kulturpolitischer Inhalte aus unterschiedlichen Perspektiven ging, kommentierte jetzt Noppers „Kommunikationsteam“ auf Facebook: „… es ging hier um Kundgebungen gegen einen privaten Investor …“ Diese Propaganda-Amateure hätten in ihrer provinziellen Engstirnigkeit beim Blick auf die Protestkultur vermutlich auch dann nichts verstanden, wenn sie mal zugehört hätten. Nebenbei, noch nie habe ich eine Straßenaktion gemacht in der Blauäuigkeit: Wenn du gegen eine Diktatur demonstrierst, schaffst du die Diktatur ab, oder wenn du gegen Nazis demonstrierst, gibt es weniger Nazis. Entscheidend ist das Tun. Auch Kundgebungen schaffen Orte der Begegnung.
Unsere insgesamt acht Aktionen fanden im Übrigen überraschend gute Resonanz: Zeitungen, Radio und Fernsehen berichteten regelmäßig. Durch unsere Aktivität und Goggo Genschs Vernetzung wurde auch öffentlich, dass der Kino-Unternehmer Heinz Lochmann schon lange vor den Boulder-Plänen bei der Union Investment sein Interesse an dem Haus angemeldet hatte – aber ignoriert wurde. Das Finanzunternehmen bestritt sogar wider besseres Wissen, dass sich ein Bewerber aus der Kinobranche gemeldet habe. Jetzt behauptet Nopper, seine Gespräche „mit dem neuen Kinobetreiber“ hätten „mitgeholfen, dass sich die Angelegenheit in die richtige Richtung bewegt hat“. Noch mal: Lochmann hatte sich aufgrund von Insider-Kenntnissen schon für das Metropol interessiert, bevor öffentlich wurde, dass die Mertz-Betriebe gekündigt hatten. Also viele Monate, bevor Nopper nach Stuttgart kam. Da ich mit Lochmann privat gesprochen habe, verzichte ich darauf, ihn hier zu zitieren.
Einen Beitrag zur Verhinderung der Kletterhalle leisteten dann nicht nur das Denkmalamt und das Baurechtsamt, sondern ganz sicher auch die Corona-Maßnahmen: Das Boulder-Unternehmen verlor zusehends das Interesse an seinem Projekt. Die Pandemie war für das Kletter-Hobby so wenig gut wie unser Protest vor der Haustür für das Firmenimage.
Es wäre jetzt läppisch, darüber zu streiten, wer letztendlich „entscheidend“ dazu beigetragen hat, das Metropol vor der kulturellen Barbarei zu retten. Sich die billigen Orden des Eigenlobs umzuhängen überlassen wir den selbsternannten Machern dieser Stadt. Sie sind großes Dorfkino. Sicher ist, dass unsere Aktionen viele Menschen über ein wichtiges, auch hochpolitisches Kapitel Stadtgeschichte und den Umgang mit kultureller/künstlerischer Arbeit aufgeklärt haben. Gezeigt haben wir auch, dass es wichtig ist, politisch etwas zu tun – ohne Rücksicht auf die Erfolgschancen. Und mithilfe unserer Künstler*innensoforthilfe, die wir im März 2020 gestartet haben, konnten wir im Rahmen der Metropol-Aktionen Leute aus Musik, Tanz und Technik unterstützen: Mitten im Lockdown waren Auftritte möglich. Die Straße war eine gute Bühne, und die Straße bleibt unser Platz für politisches Handeln.
Großen Dank allen, die dabei waren.
Schreiben kann man mir unter flaneursalon@joebauer.de