DFB-POKAL, 18./19. Okt
Stuttgarter Kickers – Eintracht Frankfurt.
LIEBE SALON-GEMEINDE,
die nächste Kontext-Kolumne erscheint an diesem Mittwoch und handelt davon, warum Stuttgart Schuld hat am Karl-May-Getöse.
NOTIZEN
Sonntagnachmittag, Sitzbank im Kernerviertel. Ich komme gerade von einem kurzen Ausflug zurück. Mit der Straßenbahn ging’s am Neckar entlang, auf dem Rückweg Proviant-Stopp in einem mir zuvor unbekannten Café namens Tratsch in der Cannstatter Altstadt. Die meiste Zeit war ich dort im Freien mit der Abwehr hungriger, relativ träger Wespen beschäftigt, nahm aber dennoch im Café einiges zu mir, beispielsweise Pancakes mit Ahornsirup, beides ziemlich geschmacksneutral.
Auf Ausflügen, die man allein unternimmt, vor allem in sonntags eher verlassenen Straßenbahnen, lauert immer die Gefahr, etwas sentimental zu werden. Liegt an meiner Erinnerung, lange Zeit nicht allein herumgefahren zu sein. Bei Solo-Touren bleibt der Humor gern auf der Strecke. Man kann ja nicht dauernd über sich selbst lachen, bloß weil man nichts tut, außer in der leeren Straßenbahn herumzufahren.
In jüngster Zeit, die anscheinend doch nicht die letzte war, hatte ich oft einen Laptop in einem Turnbeutel oder Minirucksack bei mir. Irgendwo, auf einer Open-Air-Sitzbank, hole ich ihn raus und tippe was rein, das so bedeutungsvoll ist, wie mit der Straßenbahn herumzufahren. Die Tauben vor meiner Bank kommen mir so nahe, dass ich fürchte, sie könnten meine Schuhe anfressen. Hab ich Schnabelschuhe?
Auf der Hinfahrt, die kein Ziel hat, schaue ich aus dem Fenster, und auf der Rückfahrt lese ich in einem Buch, weil ich ja schon alles da draußen gesehen habe, wenn auch auf der anderen Seite. Manchmal weiß man nicht, auf welcher Seite man ist. Ich weiß auch nicht, ob man auf diese Art zu reisen etwas von der Welt erfährt. Die Welt aber ist mir nicht mehr so wichtig, seit ich immer öfter erfahre, dass sie bald untergeht. Das stimmt so vielleicht nicht, aber ich bin jetzt 68, und dann ist es egal, ob bald schon die Welt oder man selber untergeht.
Ach so, sagst du, das sei ein verantwortungsloser, ein egoistischer Gedanke. Das ist wahr, aber all die Superverantwortlichen tun auch nicht gerade viel, damit die Welt nicht untergeht. Ich habe heute übrigens keine Wespe erschlagen, weil ich vor einiger Zeit gehört habe, Wespen seien nützlich fürs Überleben der Welt. Im Zirkus hab ich mal einen Clown gesehen, der mit ausgebreiteten Armen in der Manege herumgehopst ist und eine Biene gespielt hat. Am Ende sagte er, „ich bin eine Vespa“, und alle haben gelacht.
Das Buch, in dem ich vor dieser Niederschrift gelesen hab, ist von Paul Mason und heißt „Faschismus. Und wie man ihn stoppt“. Habe es schon mal erwähnt. Auf Seite 314 steht: Reich und Fromm „waren die ersten Marxisten, die erklärten, was Gramsci nicht hatte erklären können: Sexualität, sexuelle Unterdrückung, Familie und Macht sind die ‚Elementarkräfte‘, die den Faschismus antreiben. Und der antifaschistische Kampf muss mit einer lebhaften Bildersprache, mit Emotionen und Instinkt geführt werden. Das wird immer ein Auswärtsspiel sein, aber es ist unvermeidlich.“
Erinnert mich daran, wie ich mich unbeliebt mache, wenn ich bei antifaschistischen Aktionen hin und wieder sage, ich könne die ewig gleichen Satzbausteine nicht mehr hören. Auch fände ich Konservenmusik falsch, weil sie emotional zu wenig bewirke. Lebhaft heißt live. Noch schlimmer ist, wenn Gewerkschaften bei Kundgebungen meinen, sie müssten zwischen ihre politischen Botschaften Interpreten alter, tausendmal gehörter und verhunzter Arbeiterlieder zwängen. Es ist falsch, Musik bei Aktionen nach ihren textlichen Inhalten auszuwählen. Aktionen brauchen Kontroverses. Das Laute und Leise, das Aufrüttelnde und Berührende. Sonst erzeugt man keine Emotionen. Richtig ist ein Zusammenspiel von Kopf und Bauch. Vielleicht aber habe ich die falschen Sensoren.
Die Frage, wie man faschistische Prozesse stoppen kann, ist angesichts der drohenden existenziellen Krisen die vermutlich wichtigste überhaupt. Rechtspopulisten, Nazis und Konservative tun sich zusammen – und nicht wenige Linke sind für deren Bildersprache und Emotionen anfällig. Keine Ahnung, wie groß (außerhalb der Antifa-Bündnisse) die Bereitschaft ist, gegen die Rechten etwas in der Praxis zu tun. Mit einem Laptop auf einer Bank zu sitzen, um ein paar Gedanken loszuwerden, ist auch keine Praxis. Also stelle ich den Text jetzt auf meine Homepage, klappe das Ding zu und rufe jemanden an, ob es was zu tun gibt. Das ist das Schwierigste: Herauszufinden, was man wie tun kann.
TERMINE:
> Am Mittwoch, 19. September, stellt Heinrich Steinfest im Stuttgarter Literaturhaus seinen neuen Roman „Der betrunkene Berg“ vor (unsereiner moderiert). KARTEN, INFOS: LITERATURHAUS
> Am Donnerstag, 20.Oktober, ist der Flaneursalon im Bürgerhaus Möhringen. Gäste: Eva Leticia Padilla, Loisach Marci und Timo Brunke.
> Am Samstag, 29. Oktober, tritt der Flaneursalon auf Einladung zum 50. Geburstag im Laboratorium auf. Mit Katalin Horvath, Eva Leticia Padilla, Jess Jochimsen.
> Am 20./21. Dezember gibt es wieder Die Nacht der Lieder, die große Benefiz-Show im Theaterhaus. Karten online: THEATERHAUS – und telefonisch: 0711/4020720
ALLES ÜBER
DIE 21. NACHT DER LIEDER IM THEATERHAUS
Die Nacht der Lieder, die große Benefiz-Show zugunsten der Aktion Weihnachten, wird in diesem Jahr erstmals von einem Duo moderiert: Die furiose Comedian Patrizia Moresco und der reimende Komiker und Zauberer Helge Thun versprechen gewitztes Entertainment der Extraklasse.
Der Vorverkauf für die bereits 21. Folge der Nacht der Lieder am Dienstag, 20. und Mittwoch, 21. Dezember im Theaterhaus läuft bereits. Es ist zuletzt sehr schwierig geworden, Veranstaltungen jenseits des großen Star-Geschäfts mit Leben zu füllen. Alle Beteiligten hoffen diesmal trotz Pandemie auf reguläre Bedingungen. Im vergangenen Jahr musste die Raumauslastung aufgrund der Corona-Maßnahmen kurzfristig um 50 Prozent reduziert werden. Dennoch gelang es, zwei erfolgreiche Abende durchzuziehen. Programm und Atmosphäre sorgten nicht nur beim Publikum für Freude. Am Ende wurde trotz aller Handicaps eine stattliche fünfstellige Summe für den guten Zweck eingespielt – auch dank großzügiger Gönner und Förderer. So konnte den vielen Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne, aber auch zahlreichen anderen Pandemie-Betroffenen in der Kulturarbeit geholfen werden.
In diesem Herbst und Winter werden sich viele Menschen in der Region mit Blick auf die steigenden Kosten in allen Bereichen Sorgen machen. Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Inflation erfordern neben politischen Maßnahmen auch gesellschaftliches Engagement und solidarischen Zusammenhalt. Kulturelle Events schaffen in dieser Situation wichtige Orte der Begegnung. Räume, in denen auch die Verteidigung demokratischer Errungenschaften eine Rolle spielt. Kunst und Kultur sind gerade in Krisen unverzichtbar.
Die Nacht der Lieder bietet wie immer einen internationalen Mix kontroverser musikalischer Stile. Motto: Im Unterschiedlichen erkennen wir das Gemeinsame, und die Dinge ergänzen sich. Freuen wir uns auf unser Doppel, das durch den Abend führt. Patrizia Moresco ist eine energiegeladene Comedian, eine erfolgreiche Power-Frau mit schrägem Humor, die schon vergangenes Jahr moderierte. Ihr Partner Helge Thun hat sich als eleganter Entertainer einen Reim auf die Welt gemacht. Mit seinen lyrischen Ausflügen in Verbindung mit seinen magischen Tricks ist er eine feste Größe in der deutschen Kleinkunstszene.
Nach den großartigen Auftritten Eric Gauthiers, der jahrelang die Show präsentierte, war die Neubesetzung aufgrund der vielen Terminprobleme seit Corona unvermeidlich. Irgendwann aber erscheint auch Eric wieder in irgendeiner Form auf unserer Bühne …
Erstmals dabei ist in diesem Jahr das internationale Ensemble 8Celli – es wird uns zeigen, warum das Cello eine besonders liebenswerte Rolle in der Musik spielt. Ihre Premiere bei der Nacht der Lieder feiert auch Yeama, eine junge Popsängerin mit betörender Stimme. Eine weitere Sängerin im Programm ist Meike Boltersdorf, gleichzeitig eine virtuose Keyboard-Artistin. Eigentlich im zeitgenössischen Elektro-Pop zu Hause, wird sie diesmal ihre Experimentierfreude beweisen: Ihr Bühnenpartner ist Ekkehard Rössle, ein großartiger Stuttgart Saxophonist, der zwischen Jazz und Klassik pendelt.
Georgische Folklore und elektronische Sounds treffen im Duo Russo & Putte aufeinander; die Musik der georgischen Sängerin und Pianistin Russudan bekommt durch die elektronischen Einflüsse des Musikers Putte eine ganz besondere Färbung. Weltmusik präsentiert uns der syrische Sänger und Gitarrist Mazen Mohsen. Und wie seit vielen Jahren beehrt uns als feste Konstante im Zirkus der Kontraste die A-cappella-Band Die Füenf. Keine Frage, dass unser Nacht- und Nebelorchester als Showband unter der Leitung von Jens-Peter Abele wieder den Soundtrack des Abends liefert.
Sicher ist bereits, dass die Staatsoper Oper Stuttgart auch diesmal Die Nacht der Lieder mit einem Beitrag aus ihrem großartigen Haus unterstützen wird. Fehlt nur noch ein Tanz-Act, der den Reigen schließen wird. Und auch der ist bereits im Anflug …
Karten für Die Nacht der Lieder gibt es online: THEATERHAUS – und telefonisch: 0711/4020720