Bauers DepeschenDienstag, 04. Mai 2021, 2268. DepescheLIEBE LESER*INNEN, an diesem Dienstag um Mitternacht, genaugenommen also am Mittwoch, erscheint meine neue Kolumne in der Kontext:Wochenzeitung. Eine meiner typischen Spaziergänger-Geschichten, die diesmal mit meiner neuen Bleibe in der Stadt, mit der Justiz und Rindviechern zu tun hat. Sie heißt "Die Story vom Pferd". Hier geht's zum Text: AKTUELLE KONTEXT-KOLUMNE BETR.: GERDA TARO Am 29. April, wenige Woche nach einer Attacke mit antisemitischen Hakenkreuz-Schmierereien am Gerda-Taro-Platz, haben wir an diesem Ort eine kleine, gut besuchte Aktion gegen Rassismus und Faschismus gemacht. Eine atmosphärisch schöne Veranstaltung mit der Musik eines eigens für diesen Anlass zusammengestellten Song-Ensembles mit sechs Mitwirkenden aus fünf Nationen. Hier mein kurzer Beitrag: GUTEN ABEND auf dem Gerda-Taro-Platz, auch heute, an diesem Apriltag, ist sie wieder recht schön: diese Kulisse hier vor unseren Augen. Vielen Dank, dass ihr da seid. Zunächst ein paar Sätze, warum ich heute hier bin. Nicht unbedingt deshalb, weil es halt mal wieder Zeit wäre, irgendwo irgendwas zu sagen. Zum Thema Gerda Taro, zu der Geschichte dieser Frau aus Stuttgart, habe ich ein besonderes Verhältnis. Im Sommer 2007 besuchte ich in New York eine Ausstellung, die laut Ankündigung eigentlich nur Bilder des legendären Kriegsreporters Frank Cappa zeigen sollte. Kaum im Museum angekommen, stand ich dann in einem exponierten Raum mit großartigen Bildern einer Frau, die damals noch nicht so bekannt war. Auf einer Tafel las ich: Gerda Taro, born in Stuttgart. In dieser Schau im International Center of Photography gab es ein Buch in deutscher Sprache zu kaufen, geschrieben von Irme Schaber aus Schorndorf. Und weil gutes Wetter war, setzte ich mich später auf eine Bank am Hudson River und begann zu lesen. Ich las ein Stuttgarter Geschichtsbuch. Wieder zu Hause, schrieb ich ein paar Zeitungsartikel über Gerda Taro aus Stuttgart, über ihr Leben und die Retrospektive in New York, die international große Beachtung fand: in den USA und in Europa – nur nicht nicht in Stuttgart, wo sie geboren wurde und den größten Teil ihres Lebens verbrachte. Die Zeitungsartikel fanden keine Resonanz, also besuchte ich Gerda Taros Biografin Irme Schaber – mit dem Plan, etwas zu unternehmen. In der folgenden Zeit gingen wir beide in Stuttgart regelrecht hausieren, um für das kurze Leben einer jungen jüdischen Frau Interesse in ihrer Heimatstadt zu wecken. Es ging uns auch darum, die New Yorker Taro-Schau nach Stuttgart zu holen, da sie ohnehin als Wanderausstellung konzipiert worden war und Irme Schaber daran mitgearbeitet hatte. Der Rest ist bekannt. 2008 beantragte der Stadtrat Michael Kienzle, Gerda Taro einen Platz zu widmen. Da hatten wir bereits mit der damaligen Leiterin des Kunstmuseums, Marion Ackermann, Kontakt aufgenommen. Sie prüfte die Sache und sagte: Es gebe für sie keinen Zweifel, diese Ausstellung müsse nach Stuttgart. 2010 war es soweit. Zum 100. Geburtstag Gerda Taros wurde die Schau im Kunstmuseum am Schlossplatz gezeigt, übrigens mit großem Erfolg. Bei der Vernissage sprach unter anderem Stuttgarts Kulturbürgermeisterin. Einige Zeit zuvor hatte uns dieselbe Politikerin, die unlängst Ministerpräsidentin werden wollte, ausrichten lassen, dass sie keine Zeit für solchen Kram wie diese Fotografin habe. Im Fall Taro lernte ich – mal wieder – einiges über den Umgang mit Stadtgeschichte. Über eine heuchlerische Erinnerungskultur, die Zusammenhänge von Geschichte und Gegenwart ausblendet. Die uns nicht sagt, warum Geschichte nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart ist, wie James Baldwin gesagt hat. Ersatzweise erinnert uns die Politik mit Gedenktafel-Floskeln über das sogenannte Dritte Reich, ohne darauf hinzuweisen, dass in Deutschland längst neue Nazis in den Parlamenten sitzen und faschistischen Terror-Organisationen zuarbeiten. Wenn wir heute etwas gegen den Rassismus, den Antisemitismus und die faschistischen Machenschaften im Alltag tun wollen, reicht es nicht, Plakate mit niedlichen Regenbogen-Motiven zu hängen. Wir brauchen den täglichen Einsatz vor unserer Haustür, wir brauchen ein politisches Bewusstsein gegen den Kulturkampf von rechts mit seinen völkischen Inhalten und neurechten Methoden. Dafür fehlen uns bis heute beispielsweise Orte der Begegnung. Orte, an denen sich Menschen aus verschiedenen Kulturen treffen. Wo Dialoge geführt und in Unterschieden das Gemeinsame entdeckt wird. Wir müssen endlich der Alltagsrealität der Stadt gerecht werden – und zwar nicht mit Überwachungskameras. Das ehemalige Kino Metropol beispielsweise wäre ein solcher Ort der Begegnung. Ich erwähne diese Haus als Möglichkeit für Aufklärungsarbeit mit kulturellen Mitteln. Und nun zum herrschenden Rassismus. Der französische Autor Édouard Louis hat sein 2020 bei Fischer erschienenes Buch „Wer hat meinen Vater umgebracht“ mit diesen Sätzen eröffnet: „Danach befragt, wofür in ihren Augen der Begriff 'Rassismus' steht, antwortet die amerikanische Intellektuelle Ruth Gilmore, er bedeute für bestimmte Teile der Bevölkerung das Risiko eines verfrühten Todes. Diese Definition gilt ebenso für männliche Vorherrschaft, für Homophobie, Transphobie, Herrschaft einer Klasse über eine andere, für alle Phänomene sozialer oder politischer Unterdrückung.“ Vielen Dank. WIR GEDENKEN DER CORONA-TOTEN Wie in vielen Städten der Republik gibt es auch in Stuttgart die Aktion #Corona-Tote-sichtbar-machen. Brennende Kerzen als kleines, stilles Zeichen: Menschen sind keine statische Zahlen. Wir treffen uns immer sonntags ab 19 Uhr vor dem Gustav-Siegle-Haus im Leonhardsviertel. Bei uns wird live musiziert. Klingt schöner als schwurbeln. BITTE WEITERSAGEN Unsere Initiative zur Unterstützung der Kunst- und Kulturarbeit ist weiterhin TÄGLICH aktiv. Inzwischen haben wir mehr als eine Million Euro Spenden erhalten. Zurzeit engagieren wir uns dafür, die bedrohte freie Szene am Nordbahnhof zu retten. Allen, die helfen, ganz herzlichen Dank! Hier geht es zu den Infos: KÜNSTLER*INNENSOFORTHILFE STUTTGART |
Auswahl |