Bauers Depeschen


Freitag, 06. Dezember 2019, 2156. Depesche



 



DEMO GEGEN KRIEG AN DIESEM SAMSTAG

Stuttgarter Kundgebung/Demo am Samstag, 7. Dezember, mit dem Titel „Für eine Welt, in der niemand fliehen muss“. Einer der RednerInnen ist der Frankfurter Arzt und Aktivist Dr. Michael Wilk, der erst neulich wieder Kriegsopfer in Rojova behandelt hat. Musik machen No Sports. Die Aktion gegen Krieg und Militarisierung und für einen menschlichen Umgang mit Flüchtenden beginnt um 14 Uhr in der Lautenschlagerstraße, Nähe Bahnhof.



Bei der NACHT DER LIEDER

am Dienstag und Mittwoch dieser Woche mit 55 Mitwirkenden auf der Bühne und 2000 BesucherInnen im Theaterhaus habe ich diesen Text vorgetragen:



LIEBE GÄSTE,

heute Abend machen wir schon die 19. Nacht der Lieder - und der Vorverkauf für die 20. Show, die Jubiläumsgala, ist bereits eröffnet. Als ich diese Sache angefangen habe, bin ich nicht davon ausgegangen, überhaupt noch 20 Jahre zu leben.

Das Metier Unterhaltung ist eine Gratwanderung, und nach meinem Empfinden sind wir heute in einer Phase, die an Brechts berühmtes Exil-Gedicht mit dem Titel „An die Nachgeborenen“ erinnert. Darin heißt es: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Heute Abend will ich nicht weiter eingehen auf die „vielen Untaten“, auf den Hass der Rassisten, die Angriffe der Faschisten auf unsere Kultur, die sie zersetzen wollen, um den Boden für ihre nationalistische, menschenverachtende Politik zu bereiten. Auch nicht auf die verheerende Wohnpolitik bei uns, auf die vielen Ungerechtigkeiten wie die Tatsache, dass Hunderttausenden in diesem Land im Winter der Strom abgestellt wird. Für heute Abend habe ich eine Geschichte ausgesucht, die eigentlich nichts mit Weihnachten zu tun hat, mich aber an eine Weihnachtsgeschichte erinnert. Sie heißt

LUMP

In Stuttgart gibt es seit jeher viele Dackel. Einige von ihnen sind bekannt und gelten als wichtig. Aus juristischen Gründen verzichte darauf, Namen zu nennen. Wahr ist: Nur ein einziger Stuttgarter Dackel hat sich im Glanz der Genialität bewegt und Größe gezeigt, als er im Angesicht des Ruhms seines Herren gelassen das Bein hob. Davon handelt meine Geschichte, die Geschichte vom Dackel Lump.

Während der spanischen Franco-Diktatur lebt das Künstlergenie Pablo Picasso in Südfrankreich. Eines Tages anno 1957 besucht ihn in seiner Villa La California bei Cannes der Fotograf David Douglas Duncan. Der Amerikaner, ein berühmter Kriegsreporter, kommt in Begleitung eines Freundes, eines einjährigen Dachshundes.

Vermutlich hieß dieser Dackel ursprünglich Lumpi. Verbürgt ist, dass Duncan den Dachshund 1956 bei einer Familie in Stuttgart gekauft hat; leider wurde der Name dieser Leute nie genannt.

Mr. Duncan ist ein großer Hundefreund, dennoch fühlt sich Lump, wie der Hund nun heißt, bei ihm nicht wohl. Erstens missfällt ihm das unstete Leben des Kriegsreporters, zweitens hat sein Herrchen noch einen anderen Freund, einen vierbeinigen Afghanen.

Der ist nicht nur wesentlich größer als Lump, sondern auch eifersüchtig – was nicht gut ist im Leben einer Patchwork-Familie.

Es konnte später nie geklärt werden, ob Duncan seinen Freund Picasso gebeten hat, Lump in Obhut zu nehmen. Oder ob Lump ungefragt mit fliegenden Ohren zu Picasso überlief. Die Historiker wissen nur von Picassos magischer Anziehungskraft auf Damen. Lump war keine Dame. Vermutlich also flog Picasso auf Lump. Der Hund war übrigens nicht seine einzige Beziehung zu Stuttgart: Sein legendärer Galerist Henry-Daniel Kahnweiler, 1884 in Mannheim geboren, wuchs von 1900 bis 1912 in Stuttgart auf und besuchte das Dillmann-Gymnasium.

Und da gibt es eine weitere Stuttgarter Verstrickung. David Douglas Duncan wäre Pablo Picasso wohl nie begegnet, hätte ihn nicht sein Freund Robert Capa dem spanischen Künstler vorgestellt.

Capa, selbst in großer Fotograf, hatte früher mit einer jungen Frau namens Gerda Taro zusammengelebt, der Tochter einer jüdischen Familie aus Stuttgart, und hätte Capa Gerda nicht zufällig in seinem Pariser Exil getroffen, wäre er nie weltberühmt geworden. Er kam aus Ungarn, schlug sich zunächst als Fotograf unter seinem Namen André Friedmann durch, bevor ihn seine Geliebte zum Superstar unter den Kriegsreportern aufbaute. Gerda Taro, 1910 in Stuttgart geboren und neunzehn Jahre lang in der Alexanderstraße zu Hause, erfand nicht nur Capas Künstlernamen und Image. Sie machte auch selbst großartige Bilder. 1937 fiel sie im Spanischen Bürgerkrieg während eines Luftangriffs von Hitlers Legion Condor. In Stuttgart wurde ihre bewegende Geschichte, ihr mutiger antifaschistischer Kampf bis vor wenigen Jahren ignoriert.

Lump wiederum haben berühmte Namen nie beeindruckt. Er schaffte es selbst, in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Allein im Sommer 1957 verewigt Picasso den Dackel fünfzehn Mal in den 44 Skizzen seiner Serie "Las Meninas". Sollte Lump in diesen Bildern den Banausen etwas mickrig vorkommen, so ist er zweifellos eine Ikone. Vielleicht Picassos bedeutendstes Tier neben der Friedenstaube.

Picasso besaß neben Lump noch andere Hunde. Keinen aber liebte er so sehr wie seinen Kurzhaardackel aus Stuttgart. Lump ist das einzige Tier, das der Künstler in die Arme nimmt. Picassos zweite Ehefrau Jacqueline Roque, erzählen sich Freunde, ist deshalb eifersüchtig.

"Lump ist kein Hund", sagt Picasso. "Lump ist auch kein kleiner Mensch. Er ist etwas anderes. Er trägt unsere besten und schlechtesten Eigenschaften in sich." Wir lernen daraus: In uns allen ruht ein Dackel, in schwäbischen Seelen oft sogar ein Halbdackel.

1963, nach sechs Jahren mit Picasso, erkrankt Lump an der Wirbelsäule. Seine Hinterläufe funktionieren nicht mehr. Als Duncan seinen Künstlerfreund in der Villa La California besucht, sieht er den kranken Hund und bringt ihn zum nächsten Tierarzt. Der Veterinär behauptet, Lump sei unheilbar gelähmt. Man müsse ihn töten.

Der Fotograf nennt den Tierarzt auf Amerikanisch einen verdammten Motherfucker, zu deutsch einen Granaten-Grasdackel. Dann setzt er Lump auf den Rücksitz seines Mercedes SL 300 Gullwing und fährt noch in der Nacht nonstop nach Stuttgart. Unterwegs füttert er Lump über die Schulter hinweg mit Erdnussbutter-Keksen.

In Stuttgart, notiert er später in seinen Erinnerungen, "gab es einen berühmten Tierarzt, und als er Lumps Pfoten berührte, wusste er sofort, dass Lump nicht gelähmt war." Nach einigen Monaten Behandlung bringt Duncan den Hund in sein Haus nach Rom. "Er lief herum wie ein betrunkener Seemann“, schreibt er, „aber er hatte noch zehn Jahre lang ein gutes Leben."

Über die Geschichte des Stuttgarter Dackels hat Duncan, der einst regelmäßig für Mercedes arbeitete, 2006 einen Bildband veröffentlicht, das Buch heißt: "Lump the Dog who ate a Picasso".

Hinter dem Titel verbirgt sich eine wahre Begebenheit. Einmal zeichnet Picasso ein Kaninchen auf einen Karton. Als Lump den Hasen sieht, erwacht sein Dachshund-Instinkt. Er verschlingt das Karnickel samt Karton. Seitdem ist er berühmt als "der Hund, der einen Picasso fraß".

Lump pflegte auch eine spezielle Gewohnheit, seine Unzufriedenheit mit Picassos Skulpturen auszudrücken – mehrfach pisste er die Werke an. Picasso akzeptierte diese Kritik, Lump bezog nie Prügel. Vielleicht erinnerte sich sein Herrchen, wie Ihn in seinen frühen Jahren der berühmte Satiriker George Grosz als Pippicasso verspottet hatte.

Und so endet meine Weihnachtsgeschichte, ohne dass Weihnachten darin vorkommt. Der Dackel aus Stuttgart hat nach seinem Umzug nach Italien Picasso nie wieder gesehen. Lump starb am 29. März 1973 in Rom. Picasso zehn Tage später in Mougins, Südfrankreich. Der Fotograf David Douglas Duncan verließ erst vergangenes Jahr in Frankreich diese Welt, im Alter von 102 Jahren.

Geblieben ist uns die Gewissheit: Auch heute, meine Damen und Herren, gibt es in Stuttgart einzigartige Dackel.

 

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