Bauers Depeschen


Samstag, 23. März 2019, 2076. Depesche



 



TERMINE

Samstag, 6. April: Große Stuttgarter Demo gegen Mietenwahnsinn und Wohnungsnot. Kundgebung 14 Uhr auf dem Schlossplatz. Mit Rednerinnen und Rednern des großen Stuttgarter Bündnisses und der Kabarettistin Christine Prayon. Musik: No Sports, Toba & Pheel. Unsereiner moderiert zusammen mit Sidar Carman.



Sonntag, 14. April, von 14 Uhr bis 17 Uhr im Jugendhaus West: 3. OFFENES FORUM GEGEN RECHTS - fünf Wochen vor den Kommunalwahlen. 3 Workshops, Dialoge, Vernetzung. Anmeldungen (nicht zwingend): offenesforum@posteo.de



VORVERKAUF FLANEURSALON

Sonntag, 12. Mai: Flaneursalon im Waldheim Gaisburg. 19.30 Uhr. Der Vorverkauf hat begonnen, Reservierungen sind möglich per Mail: flaneursalon@waldheim-gaisburg.de - und telefonisch: 0178/5554480



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



DAS ANSTALT-BUCH

Zum fünfjährigen Bestehen der TV-Satireshow "Die Anstalt" mit Max Uthoff und Claus von Wagner wurde unter dem Titel "Die Rache des Mainstreams an sich selbst" eine Textsammlung mit Beiträgen zahlreicher Autorinnen und Autoren zusammengestellt. Herausgeber des Buchs, erschienen im Frankfurter Westend-Verlag, ist der hauptamtliche "Anstalt"-Autor Dietrich Krauß (der am 6. Juli beim Flaneursalon im Hafen auf die Bühne gehen wird). Der Jubiläumsband wird am Montag, 15. April, im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart vorgestellt (19.30 Uhr). Karten zu 6 Euro gibt im Vorverkauf im WKV am Schlossplatz. Im Buch ist auch ein Beitrag von mir zu lesen: Bitteschööön:



Komische Korinthenkacker:

MALOCHEN FÜR DEN LACHER

Von Joe Bauer

Ich finde es lustig, wenn ich als Helfershelfer eines Aktionsbündnisses namens Recht auf Wohnen am Morgen nach der „Anstalt“-Show gleich mehrere Mails mit dem Link zur ZDF-Mediathek erhalte: Man müsse sich dringend die „Sendung“ vom Vorabend anschauen, um die gottverdammte Immobilienpolitik in dieser Republik richtig zu begreifen. Lustig ist diese Post für mich aus zwei Gründen: Zum einen könnte man aus dem Ton der Mails schließen, meine ehrenwerten Mitkämpfer*innen hätten im Netz einen investigativen Dokumentarfilm der Öffentlich-Rechtlichen ausgegraben. Zum anderen hätte ich einigen streng Disziplinierten unserer Aktivistentruppe gar nicht zugetraut, dass sie ihre Zeit angesichts der ernsten, definitiv beschissenen Lage mit TV-Komik verschwenden.

Damit bin ich mitten im deutschen Humorkonflikt, einer Auseinandersetzung um des Witzes Bart mit der überflüssigen Frage: Ist Komik, sobald „politisch“, „aufklärend“ und „moralisch“, nicht mehr „komisch“? Unsereins reagierte bei der Ankunft der Mails aus dem Aktivistenlager zunächst wie ein klischeebeladener Schubladendenker. Mein Blick richtete sich nicht einmal auf die Unterhaltungskünstler, sondern – noch unverschämter – auf das Publikum. Damit pflege ich selber die dümmsten Vorurteile in der Unterhaltungskunst mit der Frechheit, einem mir eigentlich unbekannten Publikum Scheuklappen zu unterstellen. Diese Haltung entspricht der Arroganz von Programmmachern, die ihrer Kundschaft pauschal nachsagen, sie werde ihnen lustvoll bis zu Roberto Blancos Schlagern folgen, sich aber bei Frank Sinatras Songs beleidigt abwenden. Mit dieser Überheblichkeit rechtfertigt man jeden seichten Scheiß.

Den Streit darüber, was lustig und komisch, weil nicht belehrend und von oben herab sei, finde ich lächerlich. Als ob jemand das alleinige Recht zur Beurteilung der Lustigkeit hätte – und es nicht möglich wäre, moralisch, politisch und aufklärerisch, gleichzeitig aber kompromisslos lustig zu sein. Mit dem Schalk nicht nur im Nacken, sondern auch hinterfotzig im Hirn und Unterleib.

„Die Anstalt“ mit ihrer bei uns einzigartigen Ensemblearbeit ist keine Spielart des viel gescholtenen „Bestätigungskabarett“, das um „Gesinnungsbeifall“ heischt. Einiges von dem, was ich in dieser Reihe gesehen habe, konnte ich unmöglich „bestätigen“: Es war wir völlig neu. Warum es zur satirischen Attacke auf die herrschenden Verhältnisse immer einer gewissen Gesinnung sprich Haltung bedarf, kann im Übrigen einfach beantwortet werden: Womöglich tut sich auf dem Terrain kabarettistischer Übungen der Hofnarr des Staats etwas leichter als der Knecht der Kanzlerin. Und wer wie ich als Freund der Satire mit den Kaspern der Kapitalismuskritik sympathisiert, kann genauso viel Spaß an Otto Waalkes' Wortsalat und Wackelohrenkomik haben. Vielfalt ist ja nicht nur eine politische Floskel im Multikultizirkus.

Die Show zum Thema Wohnen im Oktober 2018 hatte ich selbstverständlich am Abend ihrer Ausstrahlung gesehen – weshalb ich die späteren Mails mit der Aufforderung zum Glotzen fast als Beleidigung empfand. Für unsereinen, der Fernsehen noch mit nur drei Sendern und programmierter Nachtruhe erlebt hat, gehört „Die Anstalt“ (neben einigen Fußballspielen) zum letzten großen Fernsehereignis, das er unbedingt live erleben will. Nur wenn ich während der spät ausgestrahlten Sendung einschlafe, wofür die Humorlosigkeit des realen Lebens und nicht der fehlende Humor in der „Anstalt“ verantwortlich ist, schleiche ich mich zum Nachsitzen in die Mediathek (manchmal auch, weil ich etwas nicht richtig mitbekommen oder nicht begriffen habe). Grundsätzlich plagt mich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir die Show nicht komplett live einverleibt habe.

Damit will ich auch sagen, dass ich diese Zeilen nicht aus der Perspektive des Journalisten schreibe, sondern als mentaler „Anstalt“-Insasse auf dem Sofa. Ich bin Liebhaber dieser Sendung. Diese Hinwendung kann auch nicht durch eine einzelne Folge enttäuscht werden, weil der „Anstalt“-Aficionado gelernt hat: Gute Komik entsteht aus gedanklicher Korinthenkackerei. Und da kackt man leicht mal ab.

Betroffene sprechen nicht aus Größenwahn oder Proletarier-Romantik vom „Bergwerk des Humors“. Bis aus einem großen Gedankenbrocken etwas Brauchbares herausgebrochen ist, muss der Malocher oft so lange meißeln und schleifen, bis er zur Freude des Publikums selber ziemlich behämmert erscheint. An der Wirkung Claus von Wagners, der wie Loriot den Adel im Namen trägt, ist das gut zu erkennen. Manch einer betrachtet seine „Anstalt“-Rolle als die Nummer des traditionellen Film-„Trottels“. Diese Sicht ist alles andere als respektvoll gemeint, wenn sie, wie geschehen, ein Humorversteher der „Zeit“ formuliert. An den Schluss seines Textes über die Schrecken der Lehr- „Anstalt“ hat jener Autor einen Kalauer aus dem Reich der Insekten gesetzt – gewissermaßen als Tusch, damit sein Lachsack auch platzt: „Was sagt ein italienischer Kammerjäger, wenn der alle Kakerlaken vernichtet hat? – 'Schabe fertig'.“

Im Frühjahr 2016, als es in der „Anstalt“ um den tödlichen Schabernack mit dem lieben Auto ging, habe ich vom Sonntagnachmittag bis zum späten Dienstagabend am Tatort zugeschaut, wie Humorhandwerk funktioniert, wenn es von Max Uthoff, Claus von Wagner und ihrem hauptamtlichen Mitautor Dietrich Krauß betrieben wird. Mit einem alten Freund, dem als Halbsatz-Virtuosen bekannten Kabarettisten Rolf Miller, war ich als Zaungast nach München gereist; Proben und Livesendung gingen damals noch in den legendären Arri-Studios in der Türkenstraße über die Bühne. Der gern als Kleinkunst-Studienrat verfemte Max Uthoff spielte einen Autokonzernchef namens Zwetschge: Sein nach dem Vorbild des Mercedes-Bosses gezwirbelter Schnurrbart hing ihm unter der Nase, als feierte der Antennenfuchsschwanz aus der Manta-Ära der Achtziger sein Comeback. Ich fand die wandelnde Rotzbremse aus dem Pappnasenladen erregend komisch, während ich darüber aufgeklärt wurde, dass einen Dienstwagenschmarotzer sein SUV-Panzer mit 430 PS steuerlich billiger kommt als eine Krankenschwester ihr VW Polo. Gut erinnere ich mich an die Hektik bei der Probe, als irgendwer festgestellte, dass diese ursprünglich im Manuskript notierten 450 PS juristisch nicht haltbar seien. Noch größer wurde die Unruhe im – auffallend harmonisch arbeitenden – „Anstalt“-Team, als sich herumsprach, die Adi-Q7-Attrappe könne aus rechtlichen Gründen nicht mit den Audi-Ringen an der Kühlerhaube auf der Bühne gezeigt werden. Quasi in letzter Minute wurden die Ringe zum großen Bedauern der Mitwirkenden entfernt. Mit ihrer nackten, kalten Schnauze ohne Firmenlogo wirkte die Karre nach meinem Gefühl allerdings noch brutaler. Sie stand herum wie ein Motorenmonster aus den „Mad Max“-Filmen.

Satire, um noch einmal diesen inflationären Begriff zu verwenden, schützt vor Strafe so wenig wie Dummheit. Detailbesessenheit herrscht bei der „Anstalt“-Produktion jedoch nicht nur angesichts lauernder Advokaten und Paragrafenreiter. So verfolgte ich amüsiert, wie sich Regisseur Frank Hof und der Autor Krauß redlich mühten, den Mitwirkenden die entscheidende linguistische Nuance in einem Autokauf-Dialog verständlich zu machen: „Sie müssen sich SCHON entscheiden“ bedeute nun mal etwas anderes als „Sie müssen sich NUR entscheiden“. Wie an jedem Theater hapert es unter Druck öfter mal am Textverständnis. Nicht nur deshalb ist „Die Anstalt“ von den Proben bis zur finalen Aufführung eine vom Stress elektrifizierte Verbesserungsanstalt. Bei mangelnder Präzision wäre die Schärfe des Witzes im Zeitalter der Fake News am Arsch.

Wem die aufklärerische Absicht in der „Anstalt“ nicht passt, der warnt gern mit erhobenem Besserwisserfinger vor den Gräueln der „Moralkeule“. Dahinter steckt die ach so coole Meinung des Privatgeschmacksterroristen, der wahre Komiker habe gefälligst nichts anderes zu tun, als komisch zu sein. Was lustig ist, entscheiden nicht mehr Charlie Chaplin und politisch versiffte Kabarettisten, sondern die selbst ernannten Herren deutscher Heiterkeit. So wundert es nicht, dass die „Anstalt“ bisher am meisten Zorn und Wut von verletzten Männern nach einer Show zur Geschichte des Feminismus erntete.

Was aber empfindet das Publikum, wenn am Ende der Vorstellung der große Lyriker und Satiriker Thomas Gsella in Zwetschges Autosalon die wahre Geschichte vom Unfall seiner Schwester und ihrer 14-jährigen Tochter vorträgt? Beide starben auf der Autobahn, als ein Raser mit seinem Geschoss von hinten ihren Kleinwagen rammte.

Mit dem Kabarettisten Rolf Miller laufe ich am Morgen vor der Live-Ausstrahlung im ZDF ein paar Kilometer die Isar entlang. Wir reden über die finale Nummer: Ist Thomas Gsella mit seinem Act gut für diese Auto-Show – oder eine zu üppige Portion Pathos, gar bloße Effekthascherei?

Soll darüber streiten, wer will. Wichtig finde ich, dass eine so bittere Pointe im Fernsehen möglich ist, dass ein so radikaler Gedankensprung gemacht werden kann. Warum sollte eine Satireshow Thomas Gsellas Besuch aus der Familienkatastrophe ausblenden, wo doch die Katastrophen der Realität die Satire ständig überbieten? Deutlich wurde im Münchner Arri-Studio: Es gibt ein Publikum, das einen solchen Auftritt so dankbar annimmt wie im Notfall eine notwendige Schocktherapie. Wer danach aus der Hypnose erwacht, erkennt den schmalen Grat zwischen lachen und leiden – und warum Humor mit Schmerz zu tun hat.

Solche Binsenweisheiten ändern aber nichts an der Tatsache, dass die „Anstalt“-Szenen meine Mitstreiter*innen vom Aktionsbündnis Recht auf Wohnen vollends motivierten, vor dem Bürogebäude der Immobilienhaie von Vonovia in Stuttgart aufzumarschieren. Gut gelaunt demonstrierten wir gegen die Schweinereien der Wohnungspolitik im Wissen, dass auch wütender Protest Spaß machen und sogar lustig sein kann.

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·