Bauers Depeschen


Montag, 23. Juli 2018, 1987. Depesche



 





VORVERKAUF LÄUFT:

20 JAHRE FLANEURSALON

Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr.

Die Jubiläums-Show im Gustav-Siegle-Haus, wo 1998 alles anfing. Durch den Abend führt der Berliner Kabarettist Arnulf Rating. Auf der Bühne: Rolf Miller, Thabilé & Band mit Jens-Peter Abele, Roland Baisch & Michael Gaedt, Stefan Hiss, Toba & Pheel. Spezialgast: Nero Friktschn Feuerherdt.

Mit der Buchvorstellung: „Im Staub von Stuttgart“.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Rosenau.

KARTEN: EASY TICKET -

Telefon: 0711 / 2 555 555



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DAS LIED ZUM TAG



Kolumne vom 17. Juli 2018:

THINK BIG

Unser Hirn, sofern wir eins haben, kennt das sogenannte Belohnungssystem. Die Aussicht, etwas Gutes zu bekommen, wenn er etwas geleistet hat, motiviert den Menschen, etwas zu tun – stürzt ihn oft aber in Maßlosigkeit und Sucht.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ist vorbei, ich kann mich wieder in Ruhe rasieren. Viele von uns haben nicht nur harte mentale Arbeit vor den Bildschirmen geleistet, sondern auch mit fundierten Analysen und Kommentaren in Kneipen und sozialen Medien zur Aufklärung der Menschheit beigetragen. In aller Regel ging es darum, den Unsinn, den Béla Réthy vor jeder Einspielung der Zeitlupe erzählte, mit noch größerem Unsinn zu überbieten. Schließlich hat eine WM Anspruch auf Weltniveau.

Wir Deutschen, wer immer die sind, durften diesmal ja nicht so richtig mitmachen, weil uns die Mexikaner und die Südkoreaner ziemlich früh und respektlos vor den Augen der Welt die Grenzen deutscher Weltmeisterlichkeit aufgezeigt haben. Macht nichts. War bloß Fußball.

Neulich hat, im Schatten des Weltfußballs, im Rathaus ein Ereignis stattgefunden, dessen globale Tragweite nicht annähernd angemessen gewürdigt wurde. Beim sogenannten Immobilien-Dialog, dem elften in Folge, ging es unter dem Motto „Think big – think Schwäbisch“ um das effiziente Kurzpassspiel zwischen Bauwirtschaft und Politik, dessen Verstöße gegen demokratische rechte von keinem Schiri geahndet werden. Das pfiffige Motto „Think big – think Schwäbisch“ habe ich übrigens nicht erfunden.

Schon in der Ankündigung einer Düsseldorfer Agentur, die das lohnende Rendezvous jährlich organisiert, fiel mir die interkontinentale Wucht unseres Landstrichs auf. Zitat 1: „Stuttgart und die Region bilden einen der stärksten Wirtschaftsräume weltweit.“ Zitat 2: „Hier werden Lösungen für Herausforderungen in der Gestaltung von Stadtstruktur und Baukultur gefunden, die weltweit relevant sein werden.“

Gleich zweimal triumphierte im Think-big-Text auf engstem Raum das Wörtchen „weltweit“. Die welterobernde Schaffenskraft in dieser Stadt und ihrer Region ist vor allem in der Wohnungspolitik so einzigartig, dass das Belohnungssystem in den Hirnen der großen Lenker jenen Prozess ausgelöst hat, vor dem ich eingangs gewarnt habe: Beim Blick auf die Profite im Kessel schlittern sie in eine Sucht, die kaum heilbar ist, schon weil sie erfahrungsgemäß von unterbewussten Minderwertigkeitsgefühlen befeuert wird. Man nennt das Großmannssucht. Provinzielle Kleingeistigkeit fördert gern mal globalen Größenwahnsinn.

Entsprechend fallen die Belohnungen der Helden des Immobilienmarkts aus, wie wir etwa von Stuttgart 21 wissen. Für die Umsetzung dieses bescheidenen Werks zum Wohl der Menschen in dieser Stadt sind Leute verantwortlich, die sich im Fachjargon „Projekttreiber“ nennen. Ein lustiger Begriff, wenn man sieht, wie im Baugeschäft eine Luxus-Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben wird, um von vorherigen Schweinereien abzulenken. Da wird noch einiges auf uns zukommen. Irgendein „Trump-Tower“ oder eine „Elbphilharmonie“ spuken immer in den Belohnungszentren unserer Weltweit-Hirne herum.

Wenn ich mir zuletzt sicher war, ein großes Ding sei gelaufen, habe ich mich zur Fütterung meines Belohnungssystems auf den Weg zum Barbier gemacht. Nach Jahrzehnten der Abwesenheit, als der professionelle Bartscherer bei uns in Vergessenheit geraten war, arbeiten inzwischen wieder reichlich Barbiere in der Stadt. Da gibt es längst nicht mehr nur den westlich gelegenen Nobelsalon Timi der Barbier für den Dreitage-Promi. Inzwischen bieten etliche von Migranten geführte Salons für meist viel zu wenig Geld neben dem Haarschnitt eine scharfe Rasur mit dem guten alten Messer. Eine Übung, die man nach meiner Erfahrung nicht selbst ausführen sollte. Ich tue mich schon schwer, mir mit der traditionellen Klinge meines Edelstahl-Hobels der Firma Mühle das Gesicht unverletzt zu  glätten.

Der Barbier behandelte seine Kundschaft vom 8. Jahrhundert an und beherrschte neben der Haar- und Bartpflege auch die Kunst des Heilsalbens und Zähneziehens. Barbiere waren „Trockenscherer“, weil sie – anders als ihre ursprünglichen Branchenkollegen, die Bader – keine Warmbäder anboten. Der Job des Barbiers galt im Mittelalter als „ehrlos“, was vielleicht daran lag, dass sich die Zunft auch auf Aderlass und Schröpfen verstand, eine Praxis, die wir von unseren heutigen Immobilienhaien kennen.

Allerdings muss ich die Geschichte des Barbiers erst noch gründlich erforschen, um diesem Berufsstand weitere Hymnen zu singen. Im Moment nur so viel: Bei meinen jüngsten Barbier-Besuchen, etwa in internationalen Salons an der Hauptstätter und Tübinger Straße, durchfluteten mich bereits beim Einseifen ergreifende Belohnungsgefühle. Ich kann von unterschwelligen Vibrationen eines Luxuslebens sprechen. Gleichzeitig ist der erste Ansatz des Messers im Kopfbereich ungemein prickelnd, weil ein alter Kinogänger wie unsereins sich vorstellt, wie ihm in der nächsten Sekunde geräuschlos die Gurgel durchgeschnitten wird. Dennoch bin ich überzeugt, dass der Barbier-Besuch für einen Mann die einzige wahre Möglichkeit ist, ein neues Leben anzufangen.



 

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