Bauers DepeschenMontag, 30. Januar 2017, 1733. DepescheBETR.: GERHARD WOYDA, ARNULF RATING An diesem Montag hat auf dem Stuttgarter Pragfriedhof die Trauerfeier für den am 13. Januar mit 91 Jahren verstorbenen Renitenztheater-Gründer Gerhard Woyda stattgefunden. Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating war unter den Gästen - und schildert auf meine Bitte hin seine Eindrücke von der Feier. Dafür herzlichen Dank! Arnulfs Text war zunächst rein privat gedacht - ich bin gerade nicht in Stuttgart und bat ihn nach Lektüre um die Erlaubnis zur Veröffentlichung seiner Mail, weil sie mir für nur einen Leser zu schade erschien. Daraufhin hat der Autor seinen Bericht von der Trauerfeier - für die er dem heutigen Renitenz-Chef Sebastian Weingarten ausdrücklich dankt - noch um einige Bemerkungen zu Stuttgart ergänzt: Lieber Joe, Stuttgart hat sich am Montag von seiner besten Seite gezeigt - mit Regen passend zum Anlass. Wenn einer schon am Freitag dem 13. stirbt. Dafür gab es noch glitschiges Eis auf den Stufen dieser wahrhaft unterirdischen Trauerhalle, die mit 120 bis 150 Menschen gefüllt war. Otti Fischer saß neben mir - erstaunlich frisch, wg. Knieproblemen allerdings auf Krücken; Bruno Schollenbruch war da, Ernst Mantel, der Autor Dr. Dietrich Krauss auf dem Weg zur nächsten "Anstalt". Herr Werner Koczwara, Klaus Birk und vielleicht noch ein paar Schwabenhumoristen, die ich nicht mit Namen kenne - außerdem Werner Schretzmeier, Dein Kollege Michael Skasa-Weiß, Herbert Grammatikopuolos - und natürlich die Familie und Sebastain Weingarten-Woyda. Wunderbare Feier. Professor Jon Laukvik war an der Orgel und spielte Selbstgemachtes und Bach. Ines Martinez dankte Woyda für alles, was sie auf dem Theater erlebt hat und trug den "Choral" von HD Hüsch vor. George Bailey und David Whitley sangen mit sehr viel Hingabe "Bridge Over Troubled Water"; Woyda war Mitglied der evangelischen Kirche. Pfarrer Eberhard Schwarz leitete die einzelnen Abschnitte der Feier erfrischend kurz ein. Mit der bleibenden Frage: Wer ist da eigentlich von uns gegangen? Knappe biografische Einführung - ostpreußische Herkunft aus einer reichen Schlachterfamilie, musikbegeistert für Shimmy und Swing. Das Akkordeon im Krieg habe Woyda von Schlimmeren abgehalten: Woyda, der später ausgerechnet in Stuttgart ein Kabarett machen wollte. Kollege Ron Williams erzählte, wie Woyda ihn überredet hat, nach seiner GI-Zeit nicht nach Kalifornien zurückzugehen, sondern in Stuttgart Kabarett zu machen ("ein Neger in Stuttgart!" – R. W.), dass er das dann gemacht habe und heute hier lebe und wahrscheinlich wegen des „Irren da in Washington“ auch deutscher Staatsbürger und hier bleiben werde. Jetzt sei er hier. Sonst wäre er vielleicht tot. Weil er zu den Black Panthers gegangen wäre. Der Gründer der B. P. war in seiner Schule in Kalifornien, saß neben ihm in der Klasse. Dann sang Ron gut a cappella "Motherless Child". Frau Professor Gerdi Sobek-Beutter las ais 1. Korinther 13. Kap. vor, was wir alles haben könnten, aber uns nichts nütze, hätten wir der Liebe nicht... und sagte, dies sei genau passend für Woyda. Irgendwer erwähnte, er habe etwas ganz Ungewöhnliches nach Stuttgart (in den 60-er Jahren!) gebracht. Zum Beispiel erstmals eine Travestie-Truppe aus Paris, die dann wochenlang ausverkauft war ... Thomas Freitag berichtete, dass Woyda ihn zum Start verholfen habe. Freitag, der Junge aus Backnang, wollte immer schon auf die Bühne, aber wie? Der Fasching in Backnang, ahnte er, sei nicht die richtige Bühne. Als er hörte, dass Gert Fröbe im Renitenz gastiere, hatte er die Idee, ihn zu fragen, ob er ihn am Ende der Vorstellung als junges Talent vorstellen könne, die Leute bitten, noch etwas zu bleiben und Freitag zuzuhören. Fröbe war not amused, aber Woyda machte das, setzte sich derweil ins Publikum und engagierte Freitag. Tim Fischer war mit einer Einspielung vertreten: "Was werde ich in 50 Jahren singen" (T + M: Gerhard Woyda). Mathias Richling sprach ganz unquirlig und ruhig und formulierte ebanfalls Gutes über die Fähigkeit von Woyda, Vertrauen zu schenken. Er habe ihn, Richling, mit Anfang 20 engagiert für den Valentin-Abend, den sie vor zwei Jahren noch mal aufgelegt haben (Woyda: "Da fehlt etwas!" - Richling: "Nur ein Wort, ich habe es gestrichen") und für ein Solo, das Woyda geschrieben hatte. Als der junge Richling anfing, an dieser Nummer rumzuschreiben, sagte Woyda: "Ja, mach mal." Und so sei nachher nur noch wenig von Woydas Texten übriggeblieben ... Sehr schön hat Mathias am Ende gesagt: Wenn wir uns von Gerhard Woyda verabschieden, dann heißt das, nur von seiner physischen Erscheinung. Ein Mensch sei ja doch noch sehr viel mehr .... Es war ernst, es wurde gelacht, man war auch ergriffen. Es war würdig. Gut. Auf dem Weg von der Trauerhalle hinter der Urne her meinte ein mir Unbekannter - im Willen, zu erklären, warum Woyda so freisinnig, aber auch stur und selten mal laut war (so wurde er beschrieben) -, Woyda sei ein "ostpreußischer Widder" gewesen. Der Pfarrer sagte "Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub" in den Stuttgarter Feinstaub hinein, man betete ein "Vaterunser", und Ron Williams sang sehr gut am Grab a cappella "Take My Hand, Precious Lord". Die Nachfeier im Restaurant Commedia war vertraulich belebt. Der rote Vorhang zwischen der hinteren Hälfte und dem Plebs wurde gezogen, Richling saß neben dem SWR-Leiter "Journalistische Unterhaltung" (!) Martin Müller und seinem jungen Adlatus Christian Wild, Otti schrieb einen Nachruf, es gab angeregtes Plaudern sowie Tomatensuppe, Nudeln und Kuchen; ich bin dann gegangen und habe den Zug nach Berlin genommen, wo ich das gerade memoriere. Beste Grüße! Arnulf NACHTRAG, MAIL II Lieber Joe, hab's beinahe vergessen: die schönste Pointe brachte Ron Williams quasi aus Versehen mit einem Freud'schen Versprecher. Er habe erst nicht in Stuttgart bleiben wollen - denn Stuttgart damals: das war ENGSTERNIG. Besser kann man es nicht schwarzmalen - oder? Bin dann mit der Straßenbahn unter Anleitung von Bruno Schollenbruch zum Renitenz gefahren. Bitte empfehle dem grünen Oberbürgermeister, so eine kurze Strecke mal selbst mit der Bahn zu fahren: die Station zu suchen, dafür eine Karte zu kaufen, 2,40 Euro zu bezahlen, den Umsteigepunkt zu finden ... Niemand mit einigermaßen Bildung kann das. Die in Stuttgart haben die neuesten Wagen - warum haben die im Hochtechnologieland, wo sie alles können und Hegel als Leuchtreklame überm Bahnhof steht, nicht ein Touch-Panel, wo ich die Zieladresse eingeben kann - und die Fahrkarte bekomme? Von mir aus für einen, meinetwegen auch für zwei Euro. Aber 2,40? Warum ist das nicht umsonst? Warum sponsert das Daimler nicht als Feinstaubausgleich? Im kaputten Bahnhof dann futuristische Visionen über selbstfahrende Verkehrsmittel von morgen ... Da soll der Bürgermeister jeden Tag durch und den Leuten den Fahrkartenautomaten erklären. Herr Schulz soll den sanktionierten Hartz-IV-Empfängern an der Haltestelle erklären, wie sie das bezahlen sollen, anstatt bei Anne Will davon zu faseln, dass er erst mal einen Vertrauensvorschub braucht, damit er es gerechter machen kann! Und der Özdemir soll jedem erklären, welcher Waffenlobbyist ihm das Ticket nach Urach sponsern könnte. Die Rentner-Monatskarte soll 600 Euro im Jahr kosten (das ist übrigens so viel wie in Berlin - und so groß ist Stuttgart auch wieder nicht). Frau Nahles soll dafür sorgen, dass jeder Rentner das gratis bekommt! Sofort! Herr Bauer - flanieren Sie! Beste Grüße! Arnulf |
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