Bauers Depeschen


Samstag, 05. September 2015, 1517. Depesche



 



AUSWÄRTSSIEG: Holstein Kiel - Stuttgarter Kickers 1:2



LIEBE GÄSTE,

verziehe mich ein paar Tage und melde mich Ende kommender Woche zurück. Die Depeschenseite wird deshalb nicht stillgelegt. Bis dann ...



FLANEURSALON mit Buch-Premiere ("In Stiefeln durch Stuttgart") am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus. Mit Christine Prayon, Vincent Klinks Brass On Strings Orchestra, Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Eva Leticia Pedilla Band, Toba Borke & Pheel.

KARTEN: THEATERHAUS - Telefon: 07 11/4020-720.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



PSYCHO

Bin umzingelt von Psychos. Im Westen der Stadt wohnen fünfzigtausend Menschen, etwa eine Million von ihnen verdient nach meinem Gefühl ihr Geld im Therapie­Geschäft. Am Morgen stiefelte ich wie immer durch meinen Kiez, wollte vor dem Computer-Klimpern etwas Luft schnappen. Einige Meter Hölderlinplatz, Lerchen­, Johannes-, Rosenbergstraße. Guten Gewissens kann ich von einer Psychotherapeuten-Schwemme sprechen. Zu schweigen von unzähligen Heilpraktikern.

Wenn ich die Praxis-Schilder an den Häusern lese, befürchte ich, gleich könnten zwei Türsteher-Typen in langen, weißen Mänteln aus einem Lieferwagen springen und mich einsacken. So viele Psycho­Geschäfte wie im Westen müssen von Kopfgeldjägern beliefert werden, sollen sie rentabel arbeiten. Womöglich aber leide ich auch nur an einer Psychotherapie-Phobie und brauche dringend professionelle Hilfe.

Das erste Warnschild entdeckte ich in meiner eigenen Straße: eine psychokinesiologische Praxis. Reaktionsschnell schaute ich im Taschentelefon nach, was Kinesiologen so treiben: Angeblich bauen sie Blockaden und ähnliche Stressdinger ab und steigern die Lebensqualität. Das ist wichtig, wenn du in Stuttgart lebst.

Dann streifte ich eine Praxis für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, schon beim ersten Blick war ich überzeugt, dass die Sozpäd-Betreuer die jungen Seelen erfolgreich heilen: Im Eingang des Ladens steht ein Kicker. Der kreative Einsatz am Tischfußball-Gerät zum Abbau von Depressionen ist zweifellos effektiver als der Besuch eines VfB-Spiels.

Es steht mir in keiner Weise zu, die wissenschaftliche Seriosität der Praxen zu hinterfragen, zumal ich selbst ein unheilbarer Anhänger von Gauklern, Magiern und ähnlichen Hokuspokus-Artisten bin. Weithin sichtbar wirbt an der Ecke Lerchen-/Johannesstraße ein geräumiges Etablissement namens Stiftung Psyche mit dem Hinweis „gemeinnützig“. Das Motto „Faszination Psychologie“ steht nicht nur für Gruppenarbeit und Workshops, sondern auch für „Führungen“ und „Stadtspaziergänge“. Leider hatte die Stiftung gestern geschlossen, sonst hätte ich mich nach einer psychologisch untermauerten Herumstiefel-Tour durch die Stadt erkundigt. Meine Stadtspaziergänge sind ja eher Ego-Trips: Meist bin ich allein unterwegs und schon deshalb nicht mehr in der Lage, die Leistung der Stiftung anzunehmen: „Wir helfen Dir zu werden, was Du Dir vorgenommen hast“, steht im Schaufenster. Dass ich mir nie etwas Vernünftiges vorgenommen habe, ist die Tragik meines Lebens. Bis heute schleppe ich als Mantra einen Satz von Mark Twain mit mir herum, den ich aus therapeutischen Gründen an dieser Stelle los werden muss: „Die zwei wichtigsten Tage im Leben sind der Tag, an dem man geboren wird, und der Tag, an dem man herausfindet, warum.“ Diese Erkenntnis erklärt mein Scheitern auch ohne die Hilfe der Psychotherapie: An den Tag, an dem ich geboren wurde, kann ich mich nicht erinnern, und in den zwanzigtausend Tagen danach habe ich nicht mal ansatzweise ­herausgefunden, warum.

Bin mir deshalb auch nicht sicher, ob ich erste Hilfe am Hölderlinplatz fände. Ausgerechnet an dieser Chaos-Kreuzung mit ihren tausend Ampel-Lichtern, die jedes gesunde Hirn beim Warten am Zebrastreifen zerstören, gibt es ein Haus voller Psycho-Personal. Da spürst du die Schwingungen schon im Vorbeigehen: Der Groove der Seelen-Gurus macht deine Synapsen happy. Mit der Wirkung dieser ferngesteuerten Wellness-Therapie im Schritt kann der zahlungsfreudige Patient nicht nur auf „Beratung, Coaching, Seminare“ verzichten. Er wird auch ganz entspannt aus der Diskussion um die Freigabe von Cannabis aussteigen und die wahre Gehirnwäsche eher gegenüber in der Bank vermuten.

Sehr wichtig im Angebot der Seelenheilsarmee sind heute die drei K: „Karriere, Konflikte, Kommunikation“. Diese Kriterien, auch als Auslöser von Kriegen bekannt, hängen mit weiteren menschlichen Schwächen wie Mobbing, Ehe und Familie zusammen – jedenfalls lerne ich das von den Praxis-Schildern. Lösungen findet man im Bereich „Sprechen, Atmen, Stimme“, vor allem wenn auch ein Laie wie unsereins begriffen hat, wie sehr Sprechen, Atmen und Stimme zusammenhängen. Man darf in diesem Fall von der Troika des Lautgebens reden, solange nicht Roboter vollends das Sprechen übernehmen und so die sinnlose Sauerstoff-Vernichtung eindämmen: Politiker beispielsweise tragen ihre Statements ja nur in Sonderfällen wie Merkel oder Kuhn ohne Atmung und Stimme vor.

Die Therapeuten-Schwemme im Westen hat nicht nur damit zu tun, dass in diesem Bezirk extrem viele Grünen-Wähler wohnen. Die Zahl der Therapeuten stieg mit dem Niedergang der Eckkneipen, die neben lebenserfahrenen Abhängern mit Nehmerqualität auch heftig atmende Akademiker mit lauter Stimme besuchen durften. In diesen gut geräucherten Anstalten der höheren Psychologie funktionierte die Konfliktlösung früher therapeutisch einwandfrei: Man nahm die Brille ab, sagte „Gehn wir raus!“ und kommunizierte vor der Kneipe, bis der Notarzt kam.



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