Bauers Depeschen


Samstag, 02. Mai 2015, 1454. Depesche



................................................... 





DAS WAR'S, und es geht weiter: Stuttgarter Kickers - Dynamo Dresden 3:4



FLANEURSALON LIVE ...

... am kommenden Mittwoch, 6. Mai, in der Rosenau. Schöne Besetzung: Michael Dikizeyeko & Steve Bimamisa, Marie Louise & Zura Dzagnidze, Toba Borke & Pheel. 20 Uhr. Es gibt noch Karten: online: ROSENAU und telefonisch: 01805/70 07 33.



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



UNTER MESSERN

Zwischen Marktplatz und Schillerplatz hörst du die Glocken vom Rathausturm und von der Stiftskirche schlagen. Sind die Marktleute da, genießt du die Glocken als Begleitmusik des städtischen Trubels. Ist der Marktplatz verlassen, wirst du den Lärm verfluchen.

Rund um die kleine Kirchstraße hat sich im Lauf der Jahre ein teils teures Laden-Quartier entwickelt, mit Koffern von Louis Vuitton, Füllern von Montblanc, mit Schmuck der Manufaktur Wellendorff. Das noble Modehaus Eckerle zieht demnächst in der Nachbarschaft ein, die bisherige Adresse Königstraße entspricht nicht mehr der Preisklasse.

Ich bin auf einem kleinen Rundgang. Mein Begleiter Steffen Welz (51) kann sich an die Zeit erinnern, als es in der Ecke noch Wäsche beim Oberwegner und Seifen beim Haag zu kaufen gab. Es ist kein Zufall, eher die Unausweichlichkeit einer kleinen Stadt, die uns wieder mal zusammengeführt hat. Als ich Steffen vor fünfundzwanzig Jahren kennengelernt habe, war er Musiker, Gitarrist. Er spielte in experimentellen Rockbands, eine nannte sich „Derscout“, eine andere hörte auf den schlichten Namen „Der Papst heißt Dieter“. Er ist in der Kirchstraße aufgewachsen, im Haus Nummer zehn. Seine Eltern wohnen heute noch hier. Dieses schmale Gebäude zwischen dem Kaffeegeschäft Hochland und dem Schuhhaus Wurster beherbergt eines der letzten originellen Wahrzeichen des Stuttgarter Einzelhandels: den Messer-Müller.

Der Gitarrenspieler Steffen Welz führt mit seiner Schwester Daniela Schäfer in der fünften Generation das Familienunternehmen Müller, gegründet 1837. Ich bin weder Koch noch Varieté-Artist, nicht mal ein Straßenbandit, habe also keine besonders intime Beziehung zum Messer. Beim ersten Blick in den Laden war ein Messer für mich noch ein Gebrauchsgegenstand oder eine Waffe. In Wahrheit reihen sich in den Vitrinen und Regalen Schmuckstücke aneinander, die Leidenschaften wecken wie andere Instrumente aus der Werkstatt der Handwerkskunst, beispielsweise Gitarren. Womöglich geht es auch um Männerfantasien, ich werde meinen Psychologen fragen.

Im Schaufenster des Ladens mit dem alten Firmennamen „Gebr. Müller“ über der Tür liegen Messer für zwölf und vierzig Euro, für vierhundert und für tausendvierhundert. Sie kommen aus der Schweiz, aus Japan, aus Frankreich, haben Knäufe aus Kunststoff, Birkenholz, Aluminium. Es gibt emotional eher unterbelichtete Klingen zum Karottenschneiden, erregende Erinnerungen wie Karl Mays Bowie-Messer und überhaupt: unschätzbare Kostbarkeiten für Sammler. Für unsereins, den blutigen Laien im Edelstahlgewerbe, hätte es wenig Sinn zu philosophieren, warum ein Kochmesser aus Japan vielleicht einer Klinge aus Solingen vorzuziehen ist, warum ein edles französisched Laguiole-Teil mehr Charme hat als mein Hosentaschen-Talismann aus der Schweiz. Ich kann auch nicht so tun, als hätte ich eine Menge darüber gelernt im Schnellkurs beim Messer-Müller. So heißt das Geschäft offiziell.

Die Historie eines so traditionsreichen Haus lässt sich nicht in ein paar Zeilen erzählen.1856 wurde der Müller zur Königlichen Hofmesserschmiede ernannt. Gefühlsmäßig ist er das bis heute: Einmal in der Woche kommt der Messerschmied und holt die Sachen der Kundenkönige zum Schleifen ab. Neben Messern gibt es auch Geschirr für die Küche, Utensilien für die Rasur, fürs Schneidern.

Die Kirchstraße, dieser kleine Erlebnispfad, wo man an guten Tagen den Duft von Obst und Gemüse und jeder Zeit die Ausdünstung des Geldes riechen kann, hat­ etwas Symbolisches. Es ist Stuttgart. Nichts Halbes, nichts Ganzes. Steffen sagt: Eigentlich gebe es keine richtige Mitte in der Stadt, deshalb sei er froh über die Marktatmosphäre vor der Haustür. Seine Schwester Daniela sagt: Der Marktplatz sei oft ein trauriger Ort, Zeit für Belebung. Traditionsreiche Einzelhandelsgeschäfte mussten aufgeben. Als zuletzt das Schreibwarengeschäft Haufler schloss, war das ein Stich ins Stuttgarter Herz. Und als zuvor das Café Scholz am Marktplatz dichtgemacht hatte, war der Marktplatz noch weniger ein Menschenplatz.

Geschäfte wie Messer-Müller sind nicht nur Handelsstationen. Es sind Treffpunkte, Austauschbörsen, Orte der Begegnung und der Lebensfreude. Wer sich im Laden ein Messer kauft, bringt mehr als ein paar ­Zentimeter Stahl nach Hause. Jedes gute Stück erzählt eine Geschichte, aus der Heimat, aus der Welt. Im Laden sprechen Verkäufer und Kunde miteinander, und wenn sie sich verstehen, geht die Unterhaltung übers Geschäft hinaus. Der Dialog, das Vertrauen unterscheidet das Fachgeschäft vom Event-Getue der Shopping-Zentren, wo man die Käufer mit Stöckelschuh­Rennen ködern will. Es erübrigt sich, der abgehalfterten „Stiletto Run“-Nummer eine Beleidigung von der Schärfe eines Solinger Stiletts entgegenzusetzen. Die Haxen sollen sie sich dennoch brechen.

Wenn man aus dem Laden Messer-Müller auf die Straße tritt, steht man vor der Stiftskirche. Mit etwas Glück oder Pech dröhnen die Glocken, und wer leicht benommen den Kopf nach rechts dreht, kann das Schiller-Denkmal sehen. Blickt man nach links zum Rathaus, fällt einem eine Zeile aus Schillers „Glocke“ ein: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild gestalten.“



BEITRÄGE schreiben im LESERSALON



FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

INDYMEDIA LINKS UNTEN

BLICK NACH RECHTS

INDYMEDIA

STÖRUNGSMELDER

FlUEGEL TV

RAILOMOTIVE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·