Bauers Depeschen


Donnerstag, 17. Juli 2014, 1320. Depesche



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TERMIN

Flaneursalon am 13. Oktober im Theaterhaus.



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(Johnny Winter +)



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Die aktuelle StN-Kolumne:



DER UNTERGANG

Es ist ein guter Arbeitstag im Bad Berg. Die Sommerterrasse mit der Theke noch leer, der Himmel klar wie das Mineralwasser im frisch gereinigten Außenbecken. Hie und da ist das Dröhnen einer Gärtnermaschine zu hören. Ein Geräusch, das nicht stört, wenn einer einen Ort des Lebens als Arbeitsplatz gewählt hat.

Der Schriftsteller Heinrich Steinfest, in Wien aufgewachsen, in Stuttgart daheim, würde sich zum Schreiben nicht in ein Wiener Kaffeehaus setzen, wie es viele große Dichter vor ihm getan haben. Ein Kaffeehaus wäre womöglich zu beliebig. Das Bad Berg ist etwas Besonderes. Die aneinandergereihten Holzkabinen, die Parklandschaft, die Quelle. Steinfest sagt: Das Berg ist ein Solitär. Es muss erhalten werden, unter allen Umständen. Er kennt die Badeanstalt besser, er ist Stammgast. In seinem jüngsten Roman „Der Allesforscher“ gibt der Ich-Erzähler Sixten Braun nach einer schicksalhaften Begegnung mit einem explodierenden Pottwal in Taiwan sein Managerleben auf und wird Bademeister im Bad Berg. Steinfest sieht seine Figuren gern an Orten, die ihm nahe sind. Die Wirklichkeit füttert die Fantasie, bei Steinfest wird daraus ein üppiges Menü mit grandiosen Ausschweifungen. Seine Geschichten sind ein bisschen wie vornehme, elegante, liebevolle, für große Kinder gemachte Varianten des großen Fressens, das wir aus dem Kino kennen.

Realität ist, dass die Rathauspolitiker ständig am Bad Berg herumdoktern. In zwei Jahren soll umgebaut werden. Der Schriftsteller weiß fast alles über das Bad, er hat sich auch die alte, leider stillgelegte Trinkhalle des Gebäudes angesehen. Daraus, sagt er, könnte man einen Event-Platz machen, eine Bar, eine Bühne für kleine Shows, für Lesungen. Veränderungen des Gesamtkunstwerks sind kein Problem für ihn, solange das Ensemble seinen Charakter behält. Wer aber legt Wert auf Charakter.

Morgens um neun, wenn er sein Jogger-Pensum auf dem heimischen Laufband im Westen erledigt hat, beginnt Heinrich Steinfest (53) im Berg am Laptop zu schreiben. Im Winter setzt er sich oft ins Bistro. Was um ihn herum geschieht, stört ihn nicht. Es gibt ihm was. Massenbetrieb. Einsamkeit. Laut. Leise. Diese Dinge gehören dazu.

Im Land der Dichter und Denker muss ein Schriftsteller auch heute noch mit der Frage rechnen, von welcher Arbeit er eigentlich lebe. Steinfest ist ein Schreibarbeiter, einer, der so diszipliniert arbeitet, als müsste er seine eigene Stempelkarte überwachen. Das Morgenpensum, die Mittagspause, das Nachmittagspensum. Er sagt, er sei arbeitssüchtig. Schreiben verschaffe ihm ein Glücksgefühl. Wenn er eine Arbeit beendet, wenn er das Manuskript abgegeben hat, überkommt ihn eine Art Depression. Er weiß, dass es jetzt nichts mehr ändern, nichts mehr korrigieren, nichts mehr verbessern kann. Er muss sich trennen von seinen Figuren, von seiner Geschichte. Das ist bitter. Gegen den Hänger hat er ein Mittel gefunden: Er stürzt sich in die nächste Arbeit. Als wir reden, trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift „run for your life“. Sein Lauf ums Leben ist der Steinfest’sche Lebenslauf: ein Schreibmarathon.

In diesem Herbst erscheint sein bisher vielleicht skurrilstes Buch als Hardcover bei Reclam: seine Nacherzählung des Nibelungenlieds. Titel: „Der Nibelungen Untergang“. Steinfest hat in seinen literarischen Figuren eine Verwandtschaft mit den Saga-Helden entdeckt. Er durchleuchtet sie. Siegfried, den verletzlichen Superstar, der in Superlativen, in der Maßlosigkeit lebt. Wenn Siegfried auf die Jagd geht, sagt Steinfest, will er gleich den ganzen Odenwald ausrotten. Der Autor nimmt die Rolle des ironischen Ich-Erzählers ein. Blick auf das Komische, auf das Groteske, das Absurde, das Widersprüchliche. Gottähnliche Helden, ihre Hybris: ein guter Stoff im neuen Weltmeisterland. Das Buch ist eine Art von Kino, das Steinfest liebt: Es wird von einem Storyboard-Künstler gestaltet.

Keine Frage, dass der Autor schon am nächsten Roman arbeitet. Er nennt es eine zeitgenössische Schauergeschichte. Eine Schauergeschichte ist etwas anderes als ein Horror-Roman, so wie für Steinfest das Surreale etwas ganz anderes ist als Fantasy. „Das grüne Rollo“ heißt das Buch, erscheint im Frühjahr bei Piper. Handelt von einem Kind, das hinter einer Jalousie in eine andere Welt gelangt, in die Welt des Albtraums.

Der Ort, an dem einer lebt und schreibt, ist ein Arbeitsplatz. Wo der liegt, nicht so wichtig. Heinrich Steinfest Bücher werden inzwischen auch mit Erfolg in Frankreich veröffentlicht. Er ist kein Stuttgarter Schriftsteller. Er ist unser Bergdichter.



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