Bauers Depeschen


Donnerstag, 27. Juni 2013, 1134. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

ich sag jetzt einfach nix mehr, hört ja eh keiner drauf:



DER KLICK ZUM FLANEURSALON HAFENPICKNICK – Kartentelefon: 07 11 / 22 11 05

Karten gibt es auch im Plattencafé Ratzer Records, Leonhardsviertel

DER KLICK ZUR ANFAHRT HAFEN-GELÄNDE



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



AM GALGEN

Der Autor und Aktionskünstler Harry ­Walter, 59, erzählt oft von seinem Vater, vielleicht auch, weil Harry erst zwölf war, als Richard Walter mit 44 Jahren starb. Für den Jungen führte der Vater ein aufregendes Leben. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bis Ende der fünfziger Jahre, war er Wirt der Kellerschenke im Gewerkschaftshaus. Im großen Saal des Gebäudes brachte er schwäbischen Hausfrauen die „Kunst der kalten Platte“ bei und lehrte sie, aus wenig viel zu machen. Kochvorführ­ungen, sagt Harry Walter, „waren damals ein Instrument der Volksaufklärung“. Bei einer dieser Stuttgarter Küchenübungen soll der Schlagerstar Vico Torriani „Ananas aus Caracas“ gesungen haben, und womöglich brachten solche Aktionen zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung später TV-Redakteure auf die Idee, uns mit ihren Fernsehköchen aus den Sternerestaurants zu nerven.

Die Kellerschenke an der Willi-Bleicher-Straße, Zentrum vieler harter Streiknächte, wurde neulich für immer geschlossen. Harry Walters Kindheitserinnerungen führen uns an eine weitere Station der Stuttgarter Arbeitergeschichte. Nach der DGB-Kneipe übernahm sein Vater die Kantine des Zentrallagers der Konsumgenossenschaft in der Friedhofstraße. Die Familie lebte am Nordbahnhof. Dort stehen bis heute die vier sogenannten Eisenbahnerhochhäuser, Wohntürme aus den fünfziger Jahren, erbaut nach den Plänen des Architekten ­Helmuth Conradi. In einem ­dieser ­Betonsilos ist Harry Walter aufgewachsen, in der Nachbarschaft des Güterbahnhofs, des Pragfriedhofs und der Wagenhallen. Heute, nach dem berüchtigten Milliarden-Deal der LBBW mit der Augsburger Patrizia AG, gehören die Wohnungen der Südewo.

Weil Harry Walter das frühere Eisenbahnerquartier bestens kennt, hat er auch die Geschichte des legendären Galgenbuckels am Nordbahnhof erforscht. Nicht weit vom Autohaus Staiger, wo die Mönchstraße in die Friedhofstraße mündet, steht abgelegen eine Art Pavillon. Darin ist eine Waschküche mit Heißmangelstube untergebracht; bis heute wird sie von den Anwohnern genutzt. Die Waschküche steht vermutlich genau an dem Ort, wo der Henker am 4. Februar 1738 den jüdischen Bürger Joseph Süß ­Oppenheimer hingerichtet hat.

Oppenheimer, 1698 in Heidelberg geboren, war ein Finanzgenie. Er wurde Geldbeschaffer des katholischen Herzogs Karl Alexander von Württemberg, schuf und managte ein völlig neues Wirtschaftssystem. Als Karl Alexander am 12. März 1737 unerwartet starb, wurde Oppenheimer verhaftet und eingekerkert, zuletzt in der Festung Hohenasperg. In einem Schauprozess (dessen Akten bis 1918 geheim blieben) klagte ihn die Justiz nicht nur wegen Hochverrats, Bestechlichkeit und Schändung des protestantischen Glaubens an. Sie warf ihm auch vor, sich an einer Vierzehnjährigen vergangen zu haben – obwohl Hebammen die Jungfräulichkeit des Mädchens bestätigten.

Der Fall des Joseph Süß Oppenheimer ist weltberühmt, nicht zuletzt durch Veit Harlans Propagandafilm „Jud Süß“ von 1940, ein Machwerk, mit dem die Nazis die Deutschen gegen die jüdischen Bürger aufhetzten und ihre Morde rechtfertigten. Seit dem 19. Jahrhundert beschäftigt Oppenheimer Künstler und Autoren. Neulich wurde das Stück „Der Kaufmann von Stuttgart“ am Alten Schauspielhaus aufgeführt.

Harry Walter sah das Drama und fand es „handwerklich gut“. Verwundert ist er allerdings, dass der reale Ort des grau­samen Schauspiels „den Stuttgartern bis heute nahezu unbekannt ist“. Diese Tatsache, schrieb er in einem Beitrag für die „Stuttgarter Zeitung“, gehöre „zu den Peinlichkeiten dieser Stadt“.

Wo heute am Nordbahnhof die Waschküche steht, haben die Henker auf Befehl von Herzog Carl Eugen vor zwölftausend Schaulustigen ihre blutige Arbeit verrichtet und die Leiche danach in einem rot gestrichenen Käfig zur Abschreckung ausgestellt. Erst sechs Jahre später wurden die Knochen unter dem Galgen verscharrt.

> Zur Erinnerung an dieses dunkle Kapitel hat Harry Walter mit seinen Kollegen Sylvia Winkler und Stephan Köperl eine Veranstaltungsreihe organisiert. Die erste Präsentation findet heute, Donnerstag, am Trockenplatz vor der Waschküche statt: mit den Künstlern Claude Horst­mann, Steffen Schlichter, Stef Hagel und Hosianah Weltfremd. Beginn: 20.30 Uhr. Ecke Mönchstraße/Friedhofstraße, erreichbar über die Stadtbahnlinie 15, Haltestelle Milchhof. - Es wird an der Waschküche demnächst weitere Aktionen zum Thema geben.



FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

BLICK NACH RECHTS

FlUEGEL TV

RAILOMOTIVE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND



 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·