Bauers Depeschen


Samstag, 22. September 2012, 980. Depesche

ACHTUNG, die Depesche vom Montag, 24. September, ist bei einem Korrekturversuch via Taschentelefon in der Straßenbahn abgestürzt und vorerst nicht zu retten - sei's drum.



NACHTRAG: Stuttgarter Kickers - FC Saarbrücken 1:2

 

Es gibt noch Karten für

den morgigen Dienstag:

FLANEURSALON IM SPEAKEASY -

SO FING ALLES AN

Das ist der Spaß an der Sache: Meine Rückkehr in einen schönen Kellerclub, Erinnerunngen an Orte, wo alles anfing. An diesem Dienstag, 25. September, ist die Lieder- und Geschichtenshow im Speakeasy, Rotebühlplatz 11, zu Gast: Flaneursalon mit Zam Helga, Toba Borke & Pheel, Dacia Bridges & Alex Scholpp (& unsereins). Beginn 20.30 Uhr. Karten gibt es Di - Sa im Plattencafé Ratzer Records im Leonhardsviertel (neben dem Brunnenwirt) und im Internet: EVENTBÜRO. Und an der Abendkasse.



DEMO-WOCHENENDE

AM SAMSTAG, 29. September, gibt es vor dem zweiten Jahrestag des "Schwarzen Donnerstags" (30. September) eine Stuttgarter Großdemo. Die Kundgebung geht thematisch über S 21 hinaus, sie behandelt Justizwillkür, Spekulantengier, Stadtzerstörung, Bankendiktatur - und läuft so:

13 UHR HAUPTBAHNHOF: Stuttgarts ehemaliger Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz geht mit seinem Florenzer Pendant Tiziano Cardosi auf die Bühne; der Italiener kämpft in seiner Heimat gegen ein Großprojekt der von ehemaligen Automanagern geführten Bahn. - Danach Demozug zum Schlossplatz.

14.30 UHR SCHLOSSPLATZ: Es reden Walter Sittler, Volker Lösch, Michael Wilk (Frankfurt am Main), Dieter Reicherter, Winfried Wolf (Berlin), Joe Bauer.

Musik: Mood a.k.a., Rapper Toba Borke, Kleines Elektronisches Weltorchester (Mannheim), Trommlergruppe Lokomotive Stuttgart.

AM SONNTAG, 30. September, findet im Mittleren Schlossgarten der zweite Gedenktag zum Angriff der Polizei-Wasserwerfer auf die Demonstranten gegen Stuttgart 21 statt. Lesungen, Musik. Beginn: 11 Uhr.



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne - und ein kleiner Ausflugstipp für Sonntag:



AM MORGEN

Würde ich meine Lebensregeln einhalten, müsste ich jeden Morgen eine Weile in der Stadt herumgehen, bevor ich etwas in den Computer tippe. So wie an diesem Freitag in der frühen Septembersonne, als ich eine Menge Staub am Nordbahnhof schlucke. Es wird seit einiger Zeit bei großem Lärm viel Dreck aufgewirbelt am Nordbahnhof. Auf dem Weg von der Martinskirche zu den ­Wagenhallen und den Schrottbergen der Recyclingfirma Karle rollen Lastwagen in Kolonnen vorbei, als wäre Krieg. Der Staub knirscht zwischen den Zähnen. Das ist gut gegen den Verlust der Realität, eine Krankheit, an der vornehmlich Politiker leiden.

Vor einigen Jahren noch sah ich den Nordbahnhof als Fluchtort aus der Stuttgarter Langeweile, als eigene kleine wilde Stadt in unserer nicht gerade großen Stadt. Heute spiegelt das Quartier, was auf uns zukommen wird in den nächsten Jahren. Überall wird abgerissen und gebaut, urbane Kulissen stürzen in sich zusammen, und nicht alle Veränderungen kann man im ­Vorbeigehen sehen.

In der Nordbahnhofstraße 41 ist das Irische Honorarkonsulat untergebracht. Als ich durchs Gartentor schaue, geht mir ein Song der irischen Popgruppe The Script durch den Kopf: „For The First Time“. Musikalisch eher verzichtbar, lieben ihn junge Menschen in Irland, weil er etwas über ihre Gegenwart erzählt: „Wir hängen uns rein, aber Mann, die Zeiten sind hart, / doch wir tun es trotzdem, und trinken flaschenweise unseren billigen Wein, / reden die Nächte durch und ­sagen Dinge, / die wir lange nicht gesagt haben . . .“ Es ist auch ein Lied über die Liebe, über den Wunsch nach Zusammenhalt und über das Gefühl zu lächeln, obwohl man den Tränen nahe ist.

Vor dem Bäckerladen Brotkörble in der Nordbahnhofstraße haben sich Jungen und Mädchen der Steinbeisschule versammelt, Berufsschüler. Ich weiß nicht, ob sie zu ­Hause Lieder über den Frust und die Krise ­hören. Vor dem Getränkeladen mit der ­Inschrift „Erbaut 1896“ über der Tür bleibe ich stehen, das Haus ist drei Jahre älter als mein Fußballclub, der an diesem Wochenende auf der Waldau seinen 113. Geburtstag feiert.

Ich begegne einem Mann im Rollstuhl, er ist sehr dick, trägt einen kleinen coolen Hut und ein elegantes Oberlippenbärtchen, als käme er aus einem Film mit New Yorker Kulissen. Er grinst mich an und fragt: Wollen Sie das Haus kaufen? Wie viel?, frage ich. Fünf Millionen. Okay, sage ich, nehmen Sie Cash. Der junge Mann neben ihm, Migrant wie fast alle Menschen im Viertel, erzählt mir in auffallend korrektem Deutsch, die Leute in der Straße hätten Angst, ihre Wohnungen zu verlieren. Jeder im Quartier hat mitbekommen, dass die Landesbank die vielen prägenden Backsteinhäuser an einen Immobilienkonzern verscherbelt hat. Der junge Man sagt, sie hätten begonnen, die Wohnungen zu renovieren, und die Mieten würden ums Doppelte steigen. Das könne das Ende sein für die Leute in der Gegend, die man „Eisenbahndörfle“ nennt.

Der Spaziergänger am Morgen ist nicht dazu da, Fakten zu prüfen. Er hält seine Nase in den Straßenstaub, nimmt Witterung auf und schaut nach, wie die Kneipen heißen, die er von früheren Spaziergängen kennt und die oft die Namen wechseln. Das Café Einstein hat am Vormittag noch geschlossen, das Foto des Nobelpreisträgers auf dem großen Schwarz-weiß-Schild am Eingang macht sich gut. Auch der ­Name Red Moon für die Bar in der Nachbarschaft gefällt mir. Die Nordbahnhofstraße erscheint oft so geheimnisvoll, als wäre sie in rotes Mondlicht getaucht. Köpfe von OB-Kandidaten glotzen von Plakaten, wie erbärmlich klingen ihre Sprüche, sich für günstige Wohnungen einzusetzen.

Noch einmal gehe ich in die Otto-Umfrid-Straße, von der Martinskirche Richtung Wagenhallen. Vorbei am Zeichen der Erinnerung, dem Mahnmal an den toten Gleisen für die deportierten und ermordeten Juden in Nazi-Deutschland. Auf der anderen Straßenseite, etwas zurückgesetzt im Grünen, sind noch immer die Bilder des Fotografen Lutz Schelhorn und des Wagenhallen-Künstlers Stefan Mellmann zu besichtigen. Seit Dezember 2006 ist diese Ausstellung mit dem Titel „Die Chemie der Erinnerung“ im Freien auf­gebaut. Die farbgewaltigen Bilder, auf Metallständern befestigt, blieben fast un­beschädigt. Viele Spaziergänger sind vorbeigekommen, viele Schulklassen haben die Künstler besucht. Lutz Schelhorn hat einst das Gelände fotografiert und die Dias zwischen den toten Gleisen in der Erde vergraben. Als sie Wochen später ans Tageslicht geholt wurden, sahen sie aus, als hätte eine Explosion symbolische Zeichen hinterlassen, Spuren des Terrors freigelegt.

Ich hoffe, es werden noch viele Bilder vom Nordbahnhof gemacht. Womöglich werden die Leute bald nicht mehr wissen, wie das Viertel einmal ausgesehen hat.



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