Bauers Depeschen


Dienstag, 08. Mai 2012, 906. Depesche



NOCH KARTEN

FÜR DEN FLANEURSALON AN DIESEM MITTWOCH

Noch gibt es ein paar freie Plätze für den Flaneursalon am heutigen Mittwoch in der Friedenau, im Wirtshaussaal von Stuttgart-Ostheim. Mit Stefan Hiss, Roland Baisch, Anja Binder & Jens-Peter Abele. Beginn 20 Uhr. Einlass 18.30 Uhr. Karten: 07 11 / 2 62 69 24 und an der Abendkasse.



SOUNDTRACK DES TAGES



Aktuelle StN-Kolumne:



DIE ASCHE UNSERER FANS

Die Sache ist erledigt, der Rest Kür. Zwei Spieltage vor Saisonende sind die Stuttgarter Kickers in die dritte Liga aufgestiegen. Dramaturgisch ging der Triumph am ersten Maiwochenende 2012 eher unspektakulär über die Bühne, unter Ausschluss weiter Kreise der Bevölkerung. Die Kickers-Fans hingen am Sonntag an ihren Taschentelefonen und Klapprechnern und starrten auf den Live-Ticker aus Hoffenheim.

Weil die zweite Mannschaft der TSG Hoffenheim den schärfsten Konkurrenten der Kickers, den TSV Großaspach, in einem sensationellen Endspurt 3:2 schlug, war das Ding gelaufen. Danke, Baden. Unverzüglich setzte ich mich an meine Kiste, bestückte mein elek­tronisches Tagebuch mit der ­Kickers-Hymne von Erwin Lehn (Musik) und Joachim „Blacky“ Fuchsberger (Text) und schrieb ein Gedicht dazu. Das Gedicht war unter aller Sau, erfüllte aber den therapeutischen Zweck: Der Befreiungsrülpser musste raus. Dann lief die Hymne mit ihrer betörenden Botschaft: „Blau und Weiß sind unsere Farben, hoch die Kickers überall . . .“

Am Freitag vor der Entscheidung hatten George der Grieche und ich wie gewohnt im B-Block am Kickersplatz Posten bezogen. Nach einem grausamen Spiel bejubelten wir den 1:0-Sieg der Blauen über den FC Memmingen. Wir sind alte Säcke, wir jubeln gebremst, nehmen die Sache aber ernst. Unsere merkwürdige Freizeitbeschäftigung – eine Mission, kein Hobby – wird von Außenstehenden nicht ernstgenommen, schon gar nicht von denen, die zum großen Verein gehen. Das ist uns wurscht. Außenstehende haben keine Ahnung. Außenstehende ­machen Witze über Fußball.

George der Grieche und ich haben uns zwei Exemplare eines neuen Buchs über Fußballphänomene besorgt. Es heißt „Warum England immer verliert“ und erklärt in einem von vierzehn Kapiteln, „warum Fußballvereine fast nie verschwinden“:

„Fußball ist mehr als ein Geschäft. Fans wünschen sich, dass ihre Asche auf dem Spielfeld ihres Vereins verstreut wird. Kein Kunde eines Supermarkts würde das tun.“

Noch bin ich mir nicht sicher, ob ich als toter Mann der Außenlinie-Markierung vor unserer Stehtribüne auf der Waldau dienen will. Auf keinen Fall aber werde ich als Grundsubstanz einer Plastiktüte neben einer Biomarktkasse hängen. Vorher knüpfe ich mich selber auf.

Wir haben drei verdammte Spielzeiten in der vierten Liga hinter uns. Vierte Liga gilt vom Anspruch her als etwa so nebensächlich, wie bei der OB-Wahl von Stuttgart mitzuspielen. Das ist eine sozialpolitische Fehleinschätzung. Als wir den FC Memmingen am Freitagabend mit 1:0 wegmachten, waren 5400 Besucher auf der Waldau, darunter etliche Erfolgstouristen. Mit so vielen Leuten kann man fast dreimal den Beethovensaal der Liederhalle oder einmal die Porsche-Arena füllen. Wir bewegen uns damit in einer Bob-Dylan-Dimension. Das bedeutet nicht, dass von unseren Spielern einer Fußball spielen könnte, wie Bob Dylan Musik macht. Ersatzweise jedoch gibt es bei uns Menschen mit Dylan-Charakter (auch wenn ich mich bei den Fan-Gesängen oft etwas mehr Spirit und Ideen wünsche).

Es wäre keine Kunst, mit Millionen Mitläufern den Choreos eines Erstligaclubs hinterherzuhecheln – ohne das Spiel zu ­begreifen, weil die Grundausbildung im Fußball der Holzklasse fehlt. Holzklasse bedeutet Wald und Waldau.

Die Club-Bosse im Allgemeinen machen sich darüber keine Gedanken. Sie operieren im „sportlichen Bereich“, betrachten Fußballclubs als „Wirtschaftsunternehmen“. Sie vergleichen ihre Clubs mit Firmen für Autobleche, ignorieren in der Fußball­kunst das Drama der Emotionen und Zufälle. Man lernt das Leben nicht in Betriebswirtschaftskursen. Weltweit gibt es kein besseres Verständigungsmittel als Fußball, und die Erklärung dafür ist simpel: Fußball ist das größte, beste und traurigste Spiel, also wie Leben. Kein Superstar des Show­geschäfts verbindet die Menschen so global wie ein Fußballsuperstar.

Zurück in den Wald. Den gravierendsten Unterschied zwischen der vierten und der dritten Liga erkennt man im Fernsehen. Die Spiele der vierten Liga gibt es nicht im Fernsehen. Die der dritten sind auf Regionalsendern und in der „Sportschau“ zu sehen. Das heißt: In der nächsten Saison sind die ­Kickers ein Live-Club mit TV-Anschluss. In der Dritten siehst du besser! Das bedeutet aber noch lange nicht, den Medien könnte in Zukunft der Linksaußen der Kickers wichtiger sein als der Platzwart des VfB.

Zunächst geht es bei den Kickers darum, sich in der dritten Liga punktemäßig zurechtzuwursteln. Genauso hartnäckig aber müsste der Club dafür arbeiten, nach 113 Jahren seines Bestehens endlich die Einzigartigkeiten seiner Fußballnische dem Publikum zu vermitteln. Blaues Wunder, nicht graue Maus. Es gibt Leute, die neben der großen auch die kleine Arena lieben, und es gibt Leute, die mit der großen Arena nichts anfangen können, aber den Fußball lieben.

Lächerlich der Gedanke, die Kickers seien VfB-Konkurrenz. Das waren sie nicht einmal vor zwanzig Jahren in der ersten Liga. Rot ist Rot. Blau ist Blau. Die Kickers sind eine kleine, dürftig überdachte Open-Air-Bühne mit guter Luft und kurioser Naherholungsakrobatik im Unterhaltungszirkus der Stadt. Diese Fankultur muss der Club den Leuten unter die Nase reiben.

Die Fans wiederum müssen sich sagen: Wir machen unser eigenes Ding, das Herz in der Hand, Eier in der Hose. Sonst wird der Fußballgott unsere Asche nicht auf dem Kickers­platz verstreuen. Sondern unsere kläglichen Reste den Hunden auf der Cannstatter Kirmes vorwerfen. So sieht’s aus.



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