Bauers Depeschen


Dienstag, 06. März 2012, 874. Depesche



NACHTRAG: Wegen anhaltender Wartungsarbeiten am eigenen Mann bestücke ich meine Depeschen-Seite zurzeit nicht so oft wie gewohnt. Dieser Eintrag stammt vom Samstagmorgen, 10. März. Geduld, Geduld. Bitte auch den LESERSALON beachten - und Mut zu neuen Beiträgen! Gestern habe ich in der Straßenbahn als Belauscher eines Gesprächs zweier schwäbischer Passagiere mit Lebenserfahrung diesen Satz aufgeschnappt: "Wenn's nicht schlimmer kommt, geht's noch." Darüber sollten wir diskutieren, auch vor diesem Hintergrund: DEATH TO MY HOMETOWN



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NOTIZEN

Vor dem ersten Heimspiel der Stuttgarter Kickers im neuen Jahr an diesem Samstag gegen FSV Frankfurt II (Waldau, 14 Uhr) darf ich darauf aufmerksam machen, dass am Ostersamstag, 7. April, für Freunde des Clubs und der gepflegten Unterhaltung die "Blaue Nacht" stattfindet. Der Vorverkauf läuft bereits, es gibt nur 120 Plätze. Alles dazu findet man hier: BLAUE NACHT

Bevor neues Material auf diese Seite wandert, noch eine Erinnerung daran, welche Rolle der Stuttgarter Hauptbahnhof einst in dieser Stadt gespielt hat, welche Leute im Paul-Bonatz-Bau unterwegs waren. Interessant ist die folgende Geschichte auch deshalb, weil man ihr bis heute ohne Aufwand begegnen kann, nämlich mit einem kostenlosen Besuch im Foyer des Intercity-Hotels im Hauptbahnhof:



SOUNDTRACK DES TAGES



JONNY, DER BARMANN

Es war im Sommer 2008, über der Stadt kreisten Luftschiffe. Die Menschen feierten ein Fest zu Ehren des Flugpioniers Ferdinand Graf von Zeppelin. Hundert Jahre zuvor war sein Luftschiff LZ 4 erstmals auf festem Boden gelandet, in Echterdingen. Das Unternehmen ging schief. Die LZ 4 löste sich nach der Ankunft aus ihrer Verankerung und brannte aus. Dennoch gilt der 5. August 1908 bis heute als Geburtsstunde der Luftschifffahrt, und das Wort Luftschifffahrt erinnert mich an eine Stuttgarter Geschichte.

Neben der Rezeption des Intercity-Hotels im Hauptbahnhof sind Autogramme ausgestellt. Bei näherem Hinsehen entdeckt man in den Glasvitrinen die Signaturen von Hollywood-Legenden wie Gary Cooper, Kirk Douglas und Errol Flynn, von Jazz- und Showgrößen wie Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Josephine Baker, von Sporthelden wie Jesse Owens und Max Schmeling. Wie andere Berühmtheiten in den fünfziger und sechziger Jahren waren sie Gäste einer winzigen Bar im ehemaligen Reichsbahnhotel im Hauptbahnhof. Viele Stars – beispielsweise Zarah Leander und Marika Rökk – haben an der Wand und auf (angeblichen) Tierhäuten über den bullaugenähnlichen Leuchten des Lokals ihre Signaturen hinterlassen. Die kleine Bar existierte bis zur Jahrtausendwende. Am Ende war sie fast immer leer, dann fiel sie den Umbauarbeiten im Hotel zum Opfer.

Nur noch wenige kennen die Geschichte von Jonny, dem größten Stuttgarter Barmann aller Zeiten. 1986 habe ich ihn getroffen. Er war 76 Jahre alt und lebte als Rentner im Rheinland. Das Intercity-Hotel hatte ihn auf meine Bitte noch einmal nach Stuttgart eingeladen, und in der kleinen Bar hat er mir seine Geschichte erzählt.

Jonny kommt in den dreißiger Jahren nach Stuttgart, er arbeitet im Cabaret Excelsior und im Friedrichsbau Varieté; sein Chef ist zeitweise der Humorist und Schauspieler Willy Reichert. 1936 startet in Friedrichshafen das Luftschiff Hindenburg zu einer sensationellen Rundreise über Deutschland: vier Tage nonstop in der Luft. An Bord Kabinen mit Fließendwasser und Duschen, ein Konzertflügel, Journalisten aus aller Welt – und Jonny, der Barmann; er mixt die Drinks. Ein New Yorker Reporter widmet ihm die Schlagzeile: "Jonny, der fliegende Barmann". "Ein Luftschiff fliegt nicht", wird er mir fünfzig Jahre später sagen, "ein Luftschiff fährt."

1937, auf dem Weg nach New York, fährt die Hindenburg in den Tod, bei der Landung in Lakehurst geht sie in Flammen auf. Jonnys Geschichte werde ich nie vergessen, er hat sie "die Geschichte vom kleinen zum großen Bahnhof" genannt.

Jonny wird 1910 in der Bahnstation Kalkar an der deutsch-holländischen Grenze geboren und auf den Namen Fritz Wirth getauft. Er lernt zunächst Koch, später Barkeeper, und sie nennen ihn Jonny.

In den fünfziger Jahren feiert man in Stuttgart große Filmpremieren und Gala-Abende mit vielen Berühmtheiten. Die Stars kommen gern, in Stuttgart gibt es Autos von Mercedes, und kaum sind die Herrschaften in der Stadt, landen sie in der Mini-Bar des Reichsbahn-Hotels.

Alles begann am 31. Dezember 1949. Am Silvesterabend – Jonny hatte den Laden gerade erst übernommen – hob die Schauspielerin Camilla Horn ihr Glas, nahm einen Schluck und kritzelte mit einem Stift "Prost Neujahr!" an die Wand. Darunter setzte sie ihr Autogramm. Jahre später zierten Hunderte berühmte Unterschriften die Bar.

Einmal, nachts um drei, kommt der Hollywood-Star Errol Flynn in die Bar, er hat zuvor das Rotlicht-Cabaret Balzac in der Hirschstraße besucht (heute findet man dort das Animierlokal Champain). Weil er hungrig ist und nichts Essbares mehr aufzutreiben, schenkt ihm Jonny sein "Nachtbrot". Errol Flynn bedankt sich: "Jonny, du bist mein Freund."

Jonny hat damals viele Freunde, die Autogramm-Sammlung an der Barwand spricht sich überall herum. Prominenz taucht auch noch auf, als es längst andere Hotels gibt in der Stadt. An der Wand stehen später auch die Namen von Rockstars der siebziger Jahre, etwa von Uriah Heep.

Nach Jonnys Abschied gerät die Bar in Vergessenheit. Von den Autogrammen an der Wand weiß kaum noch jemand. Immerhin hat man sie gerettet, bis heute sind sie im Intercity-Hotel zu sehen, das Haus hat die Geschichte nie publik gemacht.

Kurz bevor die kleine Bar abgerissen wurde, saß ich noch einmal an der Theke. Man sagte mir, Jonny sei tot. Seinen wichtigsten Satz habe ich nicht vergessen. "An der Bar", hat er gesagt, "darf keine Flasche stehen."



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