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Donnerstag, 22. September 2011, 792. Depesche



FLANEURSALON

Letzter Aufruf: Für unseren Abend am Mittwoch nächster Woche in der ROSENAU gibt es noch ein paar hochqualifizierte, gute Karten ...



SOUNDTRACK DES TAGES



RANGNICK

Der Schalke 04-Trainer Ralf Rangnick ist an diesem Donnerstag von seinem Amt zurückgetreten, vermutlich Burnout. Es wäre unsinnig und vermessen, diesen Schritt zu kommentieren. - Vor zwei Jahren, bei einem kleinen Flaneursalon mit Eric Gauthier und Dacia Bridges in Backnang, besuchte uns der Bundesligatrainer mit seiner Familie, hinterher plauderten wir ein wenig über dies & das; ein paar Tage später begegnete ich ihm zufällig wieder bei einer Veranstaltung im Theaterhaus. Ich fragte ihn, ob wir vielleicht irgendwann ein kleines Gespräch machen könnten. Er schrieb mir seine Handy-Nummer und seine E-Mail-Adresse auf einen kleinen Zettel, sagte, man könne auf offizielle Abmachungen via Pressebüro etc. verzichten. Wenig später trafen wir uns morgens in einem Café in Backnang. Damals war er noch Trainer in Hoffenheim. Ein freundlicher, bodenständiger Mann. Das Interview - er autorisierte es selbst - erschien auf den Tag genau vor zwei Jahren in den StN:



"IM THEATER SITZEN AUCH

NICHT NUR KULTURBEAUFTRAGTE"

Ralf Rangnick über Fußball und Artverwandtes



Frage (F): Herr Rangnick, neulich, bei einer Stuttgarter Wahlveranstaltung, hat der CDU-Moderator die Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Loblied auf das Fußball-Nationalteam der Frauen vorgestellt, den Ministerpräsidenten mit Fragen zum VfB. Dreht sich das Leben nur noch um Fußball?

Rangnick (R): Es ist eine fantastische Leistung des Fußballs, dass er alle Gesellschaftsschichten erobert hat. Als ich in der Jugend spielte, war Fußball ein reiner Arbeitersport. Damals hatten wir zu Hause noch keinen Fernseher, und Fußball war der einzige erschwingliche Sport. Tennis war Schickimicki. Erst in den 80er Jahren hat sich Fußball in allen Kreisen durchgesetzt. Vor allem interessieren sich heute viel mehr Frauen für Fußball. Heute ist es wohl so, dass es sich kaum noch einer leisten kann, ins Büro zu kommen, ohne die Fußball-Ergebnisse zu kennen.

F: Am Freitag Bundesliga, am Samstag mehrere Spiele zeitversetzt, am Sonntag ebenso, montags das Topspiel der zweiten Liga, dienstags und mittwochs Champions League, donnerstags Europa-Liga . . .

R: . . . ich sehe mir auch nicht alles an. Da schaue ich lieber mal einem meiner Söhne beim Training zu.

F: Schon wieder Fußball.

R: Meine Söhne spielen beide Fußball. Und als Familienvater bin ich da gern dabei.

F: Die deutschen Stadien sind so voll wie nie, obwohl immer weniger Leute etwas von Fußball verstehen.

R: Im Theater sitzen auch nicht nur Hochschulprofessoren und Kulturbeauftragte. Fußball ist bei uns aufgrund der neuen Stadien fürs Publikum attraktiver geworden. Fußball boomt bei uns wie noch nie. Es ist nicht mehr so wie früher, als der Vater den Sohn mit ins Stadion genommen hat, jetzt gehen auch Frau und Tochter mit.

F: In dieser Art von Unterhaltungsgeschäft geht es mehr denn je um extrem viel Geld.

R: Da haben Sie recht. Wir müssen auch das Gefahrenpotenzial des Booms und des Kommerzes im Blick haben: Die Schere klafft immer weiter auseinander. Bei den Spielergehältern und Transfers sowieso. Aber auch der Preis für Eintrittskarten ist prozentual höher gestiegen als das Einkommen des Fans in der Kurve.

F: Der traditionelle Fan verliert mehr und mehr an Bedeutung. Er ist nur noch geduldet im Stadion.

R: In Deutschland würde ich das nicht so sehen. Gerade bei uns ist in Sachen Fanbetreuung zuletzt viel getan worden. In England ist es für die traditionellen Fans heute viel schwieriger, an Karten zu kommen. Das ist schade. Ich wurde ja vom englischen Fußball geprägt, ich habe Englisch studiert und ein Jahr in England gelebt. Mich faszinieren diese Fans. Ich habe mal ein Pokalspiel zwischen Brighton und Liverpool gesehen. Nach 120 Minuten stand es 0:0, es musste ein Wiederholungsspiel stattfinden. Bei uns hätten viele auf ein torloses Spiel enttäuscht reagiert, in England nicht. Das ist der Unterschied: Bei uns richten sich die Fangesänge häufig gegen den Gegner, in England feuert man das eigene Team auch dann noch an, wenn es aussichtslos zurückliegt.

F: Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages in England zu arbeiten?

R: Ich stecke ja mitten in unserem Projekt TSG Hoffenheim, da denke ich nicht an England. Aber wenn es mich irgendwann einmal in ferner Zukunft ins Ausland verschlagen sollte, wäre England schon aufgrund meiner Vergangenheit eine Option.

F: Der britische Clubfußball ist dem deutschen haushoch überlegen.

R: Haushoch ist zu hoch gegriffen: Die Spitzenteams auf den ersten vier Plätzen der Premier League sind uns sicher noch überlegen. Aber die Vereine dahinter spielen mit den meisten Bundesligaclubs auf Augenhöhe.

F: Hoffenheim gilt als fragwürdiger Außenseiter: als ein mit viel Geld gegründeter Retortenclub. Wo sehen Sie sich in der Liga?

R: Nach unserem ersten Jahr in der Bundesliga hat sich die Wahrnehmung verändert. Man nimmt uns jetzt sehr ernst. Das liegt an der Art, wie wir letzte Saison und auch zuletzt gespielt haben. Unser Stil war zunächst geprägt vom Draufgängerischen. Inzwischen kassieren wir weniger Tore, bleiben aber unserem offensiven Stil treu - mit dem immer noch jüngsten Team der Liga.

F: Hin und wieder erwischt man Sie bei einer kulturellen Veranstaltung. Es gibt viele Parallelen zwischen Sport- und Kultur-Events. Welche Rolle spielt der Trainer?

R: Ein Trainer hat eine ähnliche Aufgabe wie ein Theaterregisseur. Er muss ein klares Ziel haben und wissen, auf welche Weise sein Ensemble der perfekten Inszenierung auf dem Platz oder auf der Bühne am nächsten kommt.

F: Anders als in der Kunst entscheidet beim Fußball oft der Zufall. Die Arbeit des Trainers, sagt man, sei die Kunst, den Zufall so weit wie möglich auszuschließen.

R: Die Aufgabe des Trainers ist es, den Zufall zu minimieren und damit das perfekte Spiel anzustreben. Selbstverständlich wird es im Fußball nie gelingen, mit Taktik den Zufall komplett auszuschließen. Außerdem lebt der Fußball ja - wie im Theater - auch von den Geniestreichen großer Individualisten, die beim Spielen gegen jede taktische Vorgabe auch mal "anarchisch" handeln.

F: Für einen Außenstehenden ist es schwer vorstellbar, wie ein Spieler die Taktik des Trainers so verinnerlicht, dass sie sogar für mehr als 90 Minuten im Kopf bleibt.

R: Genau das ist der Job des Trainers. Ich muss mit einem Spieler so arbeiten, dass er meine Vorstellungen versteht und zu seiner eigenen Sache macht. Der Spieler muss sagen: So und nicht anders will ich von heute an spielen. Das versucht man mit vielen Einzel- und Gruppengesprächen und entsprechenden Trainingseinheiten. Und das, was dann auf dem Rasen zu sehen ist, spiegelt die Handschrift des Trainers wider.

F: Wie sehen die Trainingseinheiten aus?

R: Bei uns macht das taktische Training über 50 Prozent aus. Bei den Spielformen gibt es fast nie eine wahllose Zusammenstellung von Spielern. Wenn mein Ziel ist, schnell und direkt zu spielen, dann wähle ich entsprechende Trainingsformen: Mal sind nur zwei Ballberührungen in der Vorwärtsbewegung, mal nur eine beim Rückpass erlaubt, der Ball darf nur flach gespielt werden.

F: Was ist der Unterschied bei der Arbeit mit jungen und erfahrenen Spielern?

R: Junge Spieler sind belastbarer, und ihre Erholungsphasen sind kürzer. Dazu lernen sie schneller. Außerdem ist die Bereitschaft, in den Mannschaftsgeist zu investieren, bei jungen Spielern größer. Sie wissen, wenn sie Fehler machen, sind sie auf die Mannschaft angewiesen, damit die hilft, den Fehler auszubügeln. Aber selbstverständlich braucht man auch erfahrene Spieler, die dem Team Halt geben. Sonst funktioniert es nicht.

F: Verlieren junge Fußballprofis nicht leicht die Bodenhaftung, weil sie sehr schnell sehr viel Geld verdienen?

DR: ie Gefahr besteht, keine Frage, weil die Versuchungen heute für junge Spieler auch in der Relation viel größer sind als früher. Wenn sich heute ein 21-jähriger Profi einen Lamborghini kaufen will, werde ich wenig erreichen, wenn ich es ihm verbiete. Ich versuche ihm klarzumachen, dass er ein privilegiertes Leben führt und erst am Anfang steht. Also werde ich ihm sagen: Wenn du dir jetzt einen Lamborghini kaufst, was soll dann danach kommen? Ein Hubschrauber oder eine Yacht? Spar dir deine Träume auf. Der Trainer versucht jungen Spielern Orientierung zu geben, Respekt zu vermitteln. Ich bin allerdings nur ein Bezugspunkt im Leben eines Profis, da spielen oft die Berater eine entscheidende Rolle. Und deren Interessen sind nicht unbedingt meine.

F: Hat es Sinn, Spielern - wie es Klinsmann bei Bayern München versucht hat - Bildung zu vermitteln?

R: Eine Fußball-Mannschaft ist ein extrem vielschichtiges Gebilde. In einem Team spielen Menschen aus verschiedenen Erdteilen mit verschiedenen Sprachen, völlig unterschiedlicher Religion und Bildung. Unsere vordringliche Aufgabe ist es nicht, als Bildungsanstalt zu funktionieren. Entscheidend ist, dass ich mich für jedes Mitglied der Mannschaft, für die Persönlichkeit interessiere. Damit der Spieler merkt, er wird mit seinen Problemen ernstgenommen. Das gilt speziell für ausländische Profis. Die aber haben einen Vertrag bei einem deutschen Club, deshalb kann ich erwarten, dass sie Deutsch lernen. In Hoffenheim verpflichten wir unsere Spieler zum Deutschunterricht. Wenn sie im Unterricht fehlen, hat das dieselben Konsequenzen, wie wenn sie beim Training fehlen.



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