Bauers Depeschen


Samstag, 04. Juli 2009, 349. Depesche



BETR.: POP-INDUSTRIE



Das folgende Interview mit dem Musikmanager Andreas "Bär" Läsker in den Stuttgarter Nachrichten hat viel Beachtung gefunden. Unter anderem meldete sich der Stuttgarter Komponist und Pianist Wolfgang Dauner mit einem Leserbrief in den StN zu Wort. Er lobte Läskers "Klartext" und empfahl "allen Produzenten und Redakteuren", sich diesen Text "an die Wand zu nageln". Deshalb das Interview zur Information auch als Depesche:



"BEI UNS HÄLT MAN ERFOLG FÜR QUALITÄT"



Manager Andreas "Bär" Läsker, 45, über die Mängel in der Musikindustrie und den Geburtstag der Fantastischen Vier. Die Stuttgarter Popstar-Band feiert am Sonntag, dem 25. Juli, mit 55 000 Besuchern auf dem Cannstatter Wasen ihren 20. Geburtstag.



Von Joe Bauer



Herr Läsker, Sie sind gerade mit dem Rad vor Ihrem Büro vorgefahren und sehen ziemlich gesund aus. Was macht das Leben?

Läsker: Ich trainiere seit zehn Jahren mit einem Coach, ich fahre regelmäßig Rad, ich laufe pro Woche über 50 Kilometer und mache regelmäßig Krafttraining.

jb: Sie coachen die Fantastischen Vier seit 20 Jahren. Haben Sie je geglaubt, so lange im Geschäft durchzuhalten?

Läsker: Dass ich im Musikgeschäft bleibe, daran habe ich immer geglaubt. Ich wollte nie etwas anderes machen. Ich habe als Achtzehnjähriger die Schule geschmissen, bin Berufsdiscjockey geworden, habe zwölf Jahre lang Platten in Discos aufgelegt. Ich war nie Musiker. Ich habe, wie ich das nenne, professionelles Musikkonsumententum gepflegt. Das ist eine gute Lebenserfahrung. Ich bin ja nicht nur Manager der Fantastischen Vier, unsere Firma heißt nicht umsonst Musikwirtschaft.

jb: Sie gelten nicht als Freund der Manager-Ausbildung an Häusern wie der Pop-Akademie.

Läsker: Nein, das Musikgeschäft ändert sich, man muss sich täglich neuen Herausforderungen stellen. Und oft geht es um einfache, aber wichtige praktische Fragen: Welchen Kran nehme ich für welche Show? Welches Marketing-Tool ist diesen Monat das beste? Diese Dinge lernt man nicht an der Hochschule . . .

jb: . . . wohl so wenig wie die Spielregeln des Emotionsgeschäfts . . .

Läsker: . . . genau. Im Musikbusiness verkaufe ich Emotionen, und ich habe spezielle Emotionen, sonst wäre ich nicht auf diesen Job gekommen. Natürlich habe ich viele Dinge in den vergangenen 20 Jahren lernen müssen: Marketing, Promotion etc. Aber an Institutionen wie der Pop-Akademie lehren auf Staatskosten oft genau die Leute, die zuvor den Karren in der Plattenindustrie an die Wand gefahren haben.

jb: Damit sind wir beim Thema Finanzkrise. Erheitert Sie die allgemeine Stimmung?

Läsker: Warum?

jb: Weil man in der Popmusik schon seit zehn Jahren von schwerer Krise spricht.

Läsker: Die Krise im Popgeschäft ist wie in anderen Wirtschaftszweigen hausgemacht. Ich sag's mal auf Schwäbisch: 'Gier macht stier' (Gier führt in die Pleite – die Red.). Als die CD erfunden wurde, hätte man erkennen müssen: Die CD ist kein Tonträger, sondern ein Datenträger. Aber über Inhalte wurde gar nicht erst geredet. Bei uns kam noch das deutsche Phänomen hinzu: Hier verwechselt man generell Erfolg mit Qualität. Wenn ich einem Typen vom Privatfernsehen sage, die Fantastischen Vier treten nicht in deiner Sendung auf, weil deine Sendung scheiße ist, sagt er: Verstehe ich nicht, wir sind doch sooo erfolgreich.

jb: Das Problem ist aber, dass keine Platten, keine CDs mehr gekauft werden.

Läsker: Die Plattenindustrie hat viel verpennt. Als wir 1999 ein Konzept für Internet-Auftritte vorgelegt haben, wollte keiner etwas davon wissen. Man gab uns lieber haufenweise Geld für Plattenproduktionen, fast schon Schweigegeld. Tatsache ist, dass die Plattenfirmen die Kunden überhaupt nicht kennen. Die wissen nichts von ihnen, nicht mal einen Bruchteil von dem, was jeder Telefonanbieter legal über seine Kunden weiß. Mag sein, dass wir eines Tages nur noch per Fingerschnipp Musik hören. Noch aber ist es so, dass Leute meiner Generation, und sicher auch andere, regelmäßig Platten kaufen würden, wenn sie sich auskennen würden.

jb: Das wäre auch nur eine Nische.

Läsker: Mag sein, aber ich beobachte ständig Leute, die neugierig sind auf Musik. Leute, die erst als Vierzig-, Fünfzigjährige das Geld haben, sich die Dinge zu leisten, die sie sich früher nicht kaufen konnten. Diese Leute wissen aber nicht, wo sie was bekommen können. Potenzielle Käufer werden nicht informiert. Ausgerechnet die Musikindustrie, das muss man sich mal vorstellen, besitzt keine relevanten Datenbanken. Und der Irrsinn setzt sich fort, wenn ich auf einem Konzertplakat lese: „Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen”. Eine Lüge! Es gibt zwar noch reichlich Vorverkaufsstellen, aber die kennt heute kein Schwein mehr. Es gibt ein Riesenkommunikationsloch in der Branche. Hätte ich heute in der Musik eine Mischung aus Avon-Vertreter und Pizza-Zusteller, wäre ein Riesengeschäft drin.

jb: Sprechen Sie von Ihrer Zukunft?

Läsker: Ich beschäftige mich mit diesen Dingen seit langem, und ich denke da radikal. Ab einem gewissen Alter hat der Kunde in der Musik- und Gastronomieszene keine Anlaufstelle mehr, und damit meine ich nicht nur den Club, vor dessen Tür ich heute gefragt werde: Willst du zum Sterben zu uns, oder ist heute Gammelfleisch-Party?

jb: Die Fantastischen Vier feiern mit großem Orchester auf dem Wasen ihren 20. Geburtstag. Ist jede gealterte Popgruppe irgendwann scharf auf die Weihen der Klassik?

Läsker: Die Sache ist viel simpler. Mit StreicherEnsembles hat die Band bereits bei ihren Unplugged-Auftritten gute Erfahrungen gemacht. Das war vor sieben Jahren unsere Eintrittskarte ins Establishment. Jetzt haben wir das Zwanzigjährige, und da hat sich die Frage gestellt: Was bedeutet eigentlich feierlich? Bei uns heißt feierlich: Anzug und Orchester.

jb: Die Fantastischen Vier sind problemlos gealtert. Aus jungen Rappern und Hip-Hoppern wurden etablierte Popstars. Was für Publikum kommt auf den Wasen?

Läsker: Lange haben wir unsere Fans bei Studenten und Dozenten gesehen, inzwischen kommen die Kinder dazu. Wir bedienen heute zweieinhalb Generationen. Fünf- bis Achtjährige hören begeistert Fanta 4.

jb: Liegt das an den deutschen Songtexten?

Läsker: Ja, eindeutig. Die Kinder lernen die Lieder trotz der enormen Textfülle sehr schnell auswendig. Gut ist, das die Band bis heute einen hohen Textanspruch mit korrektem Deutsch verteidigt. Nicht zu viel Klamauk, die Texte geben den Hörern das Gefühl, dass es für Probleme Lösungen gibt, dass zwei Seiten das Leben bestimmen: Die Suite ist sweet, aber ein Heim ist sie noch lange nicht. Lachsschnitten sind okay, aber irgendwann ist es Zeit für die Laugenbrezel.

jb: Das Geburtstagsfest heißt aus echtem Lokalpatriotismus "Heimspiel"?

Läsker: Ja, keine Frage. Vom kommenden Jahr an werden wir jeden Sommer unter dem Motto "Heimspiel" ein Pop-Festival mit den Fantastischen Vier und anderen Bands veranstalten. Dann gibt es auf dem Wasen Stuttgarter Bier, Kaffee- und Sektmarken von regionalen Firmen . . .

jb: . . . und Speick-Seife auf der Toilette.

Läsker: So ähnlich. Geplant ist auch, dass wir am Freitagabend vor dem Festival alle verfügbaren Clubs und Kneipen in der Stadt mit kleinen Bands bespielen. Es muss das Gefühl entstehen, dass wir alle an einem Strang ziehen in Stuttgart.

jb: Gibt es stilistische Kriterien für Ihr "Heimspiel"?

Läsker: Ja, gute Musik.



REKLAME:

Samstag, 18. Juli 2009, 19.30 Uhr: Flaneursalon mit Michael Gaedt & Michael Schulig, Dacia Bridges & Alex Scholpp beim Festival Cannstatter Kulturmenü. - Rilling Sekt, Brückenstraße 10, Innenhof-Garten.



FUSSBALL IST UNSER LEBEN

Samstag, 8. August, Theaterhaus Stuttgart, 20 Uhr: "Hurra, wir kicken noch!", die Show zur mentalen Unterstützung der Stuttgarter-Kickers-Fans und anderer Fußballfreunde. Mit Michael Gaedt + Michael Schulig & Band als Die Große Rockschau (Ex Kleine Tierschau), Nu Sports (Ska-Band), Timo Brunke (Sprachkünstler), Joe Bauer (Vorleser), Ralf Schübel (Hymnensänger). Moderation: Stefan Kiss (Sportreporter, SWR-Fernsehen). Eintritt: 9 Euro, so günstig wie ein Stehplatz auf der schönen Waldau. Der Vorverkauf läuft. www.theaterhaus.com - Kartentelefon: (0711) 4 02 07 20

(Siehe Depesche vom 15. Juni 2009)



Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten:

www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer

Kontakt





 

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·