Bauers DepeschenDienstag, 17. Februar 2009, 287. DepescheREKLAME: Neuer Flaneursalon-Termin: Mittwoch, 18. März 2009, 20 Uhr, Restaurant-Theater Friedenau, Rotenbergstraße 127, Stuttgart-Ost. Mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Karten: 07 11 / 2 62 69 24. ---- Der Flaneursalon macht an diesem Mittwoch in der Rampe Station, und das erinnert mich an eine kleine Geschichte aus der Nachbarschaft, ich habe sie vor sieben Jahren notiert: EIN MORGEN AM IMBISS Ein paar Flocken tanzten in den kalten Morgen, man konnte sie zählen. Ich ging vom Marienplatz Richtung Böblinger Straße. Eben hatte ich noch Schnee gerochen. Jetzt schluckte ich Staub. Sie hatten die Straße aufgerissen. Lange her, dass ich hier Morgen für Morgen in die Stadtbahn stieg, als ich hier wohnte, drüben in der Lehenstraße. Schön war er nie, der Marienplatz. Jetzt war er eine Abbruchstelle, der Kiosk, an dem ich immer Zeitungen geholt hatte, geräumt. Die Inhaberin hatte freiwillig aufgegeben. Bald hätte sie sowieso gehen müssen. Die orangefarbenen Buden, die 2001 noch standen, erinnerten an die Pop-Ära der späten Sechziger. Ich holte mir eine Zeitung im Zigarrenladen Finkbeiner. Nein, sagte der Händler, er wisse nicht, wie lange sein Geschäft noch existiere. Am Imbiss desselben Ladens standen wie früher die Männer aus der Gegend und tranken Bier. Man konnte hier für vier Mark fünfzig eine Suppe kaufen, für dreifünfzig eine Bockwurst und für einen Fünfer einen Schweinebauch. Ein paar Meter weiter startete wie heute die Zahnradbahn Richtung Degerloch. Direkt unter den Gleisen befand sich ein kleines italienisches Lokal. Wenn der Zug kam, rattert es wie unter der Hochbahn von Coney Island. Der Marienplatz, Denkmal der Vergänglichkeit. Drüben das Lokal, an dessen Fassade noch groß Mariengarten steht. Im Untertitel ist es ein Asia-Imbiss, ein guter. Gegenüber die eisernen Lettern der Arminstuben, längst eine Pizzeria. Der Wienerwald aus den alten Tagen. Man kann hier das Hendl-Taxi ordern. Ich sah an diesem Morgen die Schaufenster vom Zoohaus Koller und vom Samen-Schmid. Pass gut auf, dachte ich, verwechsele beim Schreiben nichts. Zoohaus Schmid und Samen-Koller. Das Juwelierhäuschen Barrotta & La Ferrara, was für ein Klang, bot eine „große Auswahl Trauringe“. Ich schätze, der Marienplatz ist ein guter Platz zum Heiraten. Man kann sich hier trotz aller Geschäftigkeit recht einsam fühlen. Und der Marienplatz ist der Vorhof zu Heslach. 1892 wurde hier der Hangleitersche Zirkus erbaut, ein Veranstaltungstempel für 3500 Besucher. Das Haus wurde 1916 abgerissen, aber die Luft riecht wie einst nach Arena, nach internationalem Trubel. Der mächtige Kaiserbau, 1911 errichtet, steht noch, gegenüber vom Imbiss. Er beherbergt eine LBBW-Filiale. Die Männer, die ihr Bier im Stehen tranken, schielten oft hinüber. Es wären nur ein paar Schritte bis zum Geldautomaten. Aber sie haben keine EC-Karte. Verloren wie so vieles. Der Platz wurde einst nach der Prinzessin Marie zu Waldeck und Pyrmont getauft. Die Nazis hielten ihn acht Jahre lang als „Platz der SA“ besetzt. Die Ecke im Süden birgt überall Geschichte. Verlässt man den Marienplatz Richtung Mörikestraße, kommt man zur Else-Himmelheber-Staffel. Else Himmelheber, 1905 geboren, war Kommunistin, sie gehörte der Stuttgarter Widerstandsgruppe Schlotterbeck an. 1944 wurde sie im KZ Dachau von einem SS-Kommando erschossen. 1996 hat man ihr - gegen die Stimmen der CDU - die kleine Staffel gewidmet. Ich stieg nach meinem Rundgang in die Zahnradbahn. Wenn es hinauf geht nach Degerloch, kann man sehen, wie schön Stuttgart ist. Eigentlich wollte ich mir am Marienplatz nur eine Zeitung kaufen. „Kontakt“ |
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