Bauers Depeschen


Donnerstag, 06. März 2008, 123. Depesche

Weil ich x-mal gefragt wurde, was ich eigentlich in Liechtenstein zu suchen und ob ich zu viel Geld hätte: Ich war zwei Tage in Vaduz, um eine Flaneur-Geschichte für die Seite drei der Stuttgarter Nachrichten zu schreiben. Hier ist sie, entstanden ohne Stiftung, ohne Koffer:



GEMEINSAM SIND WIR REICHER



Zwölf Uhr mittags ist vorbei, als ich aus dem Zug steige. Der Bahnhof, eine kleine Station aus dem 19. Jahrhundert, ist schon lange nicht mehr in Betrieb. Man hat in dem Gebäude Info-Räume für Jugendliche eingerichtet. An der Fassade hängt ein Transparent mit aufgedruckten Sprüchen: "Ich bleib' unabhängig", "Ich rette die Welt". Mehr kann man nicht verlangen.

Der Zug hat in Schaan gehalten, "in der Mitte zwischen Paris und Wien", wie man auf einer Tafel lesen kann, unweit der berühmten Bohrmaschinen-Firma Hilti. Nach viereinhalbstündiger Fahrt, die meiste Zeit auf der Strecke der vielbesungenen "Schwäbischen Eisenbahn", bin ich so gut wie am Ziel. Der Linienbus wird mich von Schaan, einer der elf Gemeinden des Landes, nach Vaduz bringen, in den offiziellen Hauptort. Auf einem Autoaufkleber steht "Für Gott, für Fürst, für Vaterland", am WC-Container neben der Haltestelle klebt die Botschaft "Wegen Vandalismus geschlossen", an die Mauer hat einer "Sandra, du billige Schlampe" gesprüht.

Fürstentum Liechtenstein, der zurzeit schillerndste Finanzplatz des Planeten.

Geld, ich versichere es Ihnen, liegt hier nicht auf der Straße, auch wenn jeder Komiker das Gegenteil behauptet. Unkontrolliert bin ich, mit den handelsüblichen Vorurteilen und einer ebensolchen Schweizer Armeetasche, eingereist. Die Schweizer stehen hinter Liechtenstein. Die Berliner Regierung ist unten durch. Seit der Bundesnachrichtendienst (BND) dem in Liechtenstein tätigen Datendieb Heinrich Kieber Material über Steuerbetrüger abgekauft hat, geht in Liechtenstein und Umgebung der hässliche Deutsche um: Der Piefke ist ein Hehler. Roger Köppel, der Chefredakteur der Schweizer "Weltwoche", vergleicht die BND-Millionen mit der ausgesetzten Belohnung für "die Ermordung des Schriftstellers Salman Rushdie" durch "Chomeini Islamisten": Der "neue deutsche Imperialismus", schreibt er, gehe "von enthemmten Steuerfahndern aus", Deutschland sei ein "grenzübergreifender Überwachungsstaat".

Es wäre also angebracht, in Vaduz um politisches Asyl zu bitten. Hier lebt ein Siebtel der 35 000 Einwohner des 160 Quadratkilometer kleinen Fürstentums Liechtenstein in Freiheit. Im Zentrum, Städtle genannt, kann man den Schnee auf den Schweizer Bergen sehen, auf der anderen Seite, kurz vor Österreich, die Fahne des Fürsten auf Schloss Vaduz. Wenn die Fahne hängt, ist der Chef zu Hause. Ein Schweizer Fernsehteam will von Passanten wissen, was es in Liechtenstein zu sehen gebe außer Banken. Unsinnige Frage.

Es sind nicht Finanzfirmen mit lustigen Namen wie Senat AG, Trading & Consulting oder Pinino, die das Dorfbild prägen. Geldbüros befinden sich unauffällig in Häuschen am Hang mit Garten oder über Tante-Emma-Läden - wurden sie nicht wie die noble Centrum Bank von dem österreichischen Stararchitekten Hans Hollein gebaut.

Vor dem Rathaus, neben der Büste von Franz Josef II. von und zu Liechtenstein (1906 bis 1989), stehen die Bronzepferde des Schweizer Künstlers Nag Arnoldi. Unweit davon findet man das zum Millennium eröffnete Kunstmuseum Liechtenstein, ein stattlicher, mit Privatgeldern finanzierter schwarzer Kubus für zeitgenössische Ausstellungen, und erst neulich hat das neue Landtagsgebäude eröffnet; der Hannoveraner Architekt Hansjörg Göritz hat es nach dem Vorbild hanseatischer Kornkammern als die sensationellste Stadtlandschaft eines 5000-Seelen-Dorfs gestaltet. Man nennt es Hohes Haus.

Die Fußgängerzone mit ihren Ramsch- und Uhrenläden sähe nicht anders aus als jede andere Devotionaliengasse eines Touristennests für Ski- und Schwarzkohlefahrer, stieße man in Vaduz nicht ständig auf Kunst, die neben den Banken wichtigste Geschäftsgrundlage des Fürstentums.

"Wenn Geld glücklich macht", schreibt Christoph Maria Merki in seinem Buch "Wirtschaftswunder Liechtenstein", "wären die Liechtensteiner die glücklichsten Menschen der Welt." Zurzeit ist das Glück getrübt, jedenfalls mental: Politiker und Manager wehren sich gegen den Vorwurf Deutschlands, das Land biete sich Kriminellen als Handlanger an. Die Lokalzeitungen "Volksblatt" und "Liechtensteiner Vaterland" wettern gegen den "Überfall", den "Angriff der Steuerspione". Und wie immer gelingt es Politik, Wirtschaft und Presse - der Personalunion des Fürstentums-, die Bevölkerung auf den Gegner mit dem Hinweis einzuschwören, der Wohlstand, das ganze Land seien in Gefahr. "Seid einig, einig, einig! Haltet zusammen!", zitiert ein Leserbriefschreiber den Fürsten Franz aus dem Jahr 1929. Ein anderer schreibt, das dreitausend Mal größere Deutschland prügle den "Kleinstaat wie einen scheißenden Hund vor sich her": "Groß waren sie immer schon gerne", spottet er, "einmal hatten sie sogar einen Führer . . ."

Den Stiftungen und Treuhändern gegenüber kritische Zeitgenossen, wie die drei oppositionellen Abgeordneten der grün angehauchten Freien Liste (FL), geht es wie einst westdeutschen Linken zu DDR-Zeiten: Man empfiehlt ihnen, rüberzugehen, in ihrem Fall nicht nach Ost-, sondern ins wiedervereinigte Deutschland. Die Deutschen, heißt es, haben keine Ahnung: Sie verwechseln den Fürsten Hans Adam II. mit dem allmächtigen Erbprinzen Alois, und die Bundeskanzlerin Merkel hat das zwischen der Schweiz und Österreich gelegene Liechtenstein "Nachbarland" genannt.

Im Vaduzer Engländerbau, einem Raum für Künstler, arbeitet zurzeit der Autor Mathias Ospelt, 45. Er ist Gründungsmitglied des Liechtensteiner Gabaretts (LiGa). Während des Schwarzgeldskandals um den Bundeskanzler empfahl er, Liechtenstein in "Kohl-umbien" umzutaufen und warnte auch vor "Briefkastenbomben". Heute stört ihn das "Kriegsvokabular" seiner Landsleute: "Das klingt wie ,Jeder Schuss ein Russ' und ,Jeder Stoß ein Franzos!'" Es gebe in diesem Land "überhaupt keine Kritikfähigkeit".

Ospelt, Mitglied einer alteingesessenen Familie, spielt als "geduldeter Nestbeschmutzer" drei Wochen im Jahr in der Vaduzer Kleinkunstbühne Schlösslekeller. "Wären wir Frauen", sagt er, "hätten wir keine Chance." Frauen in Liechtenstein haben seit 1984 Wahlrecht. "Liechtenstein hat einen Fürsten / dem gehört das ganze Land", singen die Kabarettisten, "alle Banken, alle Würste / alle Zähne, allerhand." Als ich den Autor frage, wer sein schönes neues Buch bezahlt habe, sagt er: "Eine Stiftung, wer sonst? Ohne Stiftung geht hier nichts. Wir haben versucht darauf zu achten, dass es sauberes Geld ist."

Am Abend sitze ich in der Bar Mansion, Treffpunkt junger Leute im Städtle. Ich unterhalte mich mit dem Informatikstudenten Stefan, dem Banker Philipp und dem Kaufmann Manuel, alle 23. Sie sind freundlich, aufgeschlossen, wie alle hier. Kein Mensch habe was gegen die Deutschen, sagt Stefan. Er verstehe, wenn die ihr Geld vor dem Finanzamt in Sicherheit brächten. Auch er hätte keine Lust, "sechs Monate im Jahr für den Staat zu arbeiten". "Wir sind stolz, Liechtensteiner zu sein", sagt Philipp. "Das ist was Besonderes, wir fühlen uns hier wohl und sicher."

In Liechtenstein, sagen die Jungs, hätten die Leute nicht nur Arbeit und verdienten wesentlich mehr Geld als in Deutschland. In Liechtenstein gebe es so gut wie keine Kriminalität. "Wir lassen unsere Autos und nachts die Haustür offen", sagt Manuel.

Gut, sage ich, aber ob es nicht schrecklich langweilig sei auf dem Dorf und nachts und überhaupt. Nein, sagen sie, im Dezember habe das Liechtensteiner Brauhaus sogar ein eigenes Bier herausgebracht, und ein echter Liechtensteiner gehe seit jeher in die vielen Vereine des Landes. Hier, 100 Kilometer von Zürich entfernt, gebe es alles.

Muss wohl so sein. Ich mache einen Besuch bei den Hells Angels Liechtenstein. Trotz ihres stolzen Namens residieren die acht Herren des Motorradclubs außerhalb des fürstlichen Territoriums. In Liechtenstein, sagen sie, wäre die Miete für ihr Clubheim zu hoch, jedenfalls höher als in der Schweiz, im Haus der Regionalen Giftsammelstelle Buchs.



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