Bauers Depeschen


Samstag, 24. November 2018, 2036. Depesche



 



Es gibt noch Karten:

FLANEURSALON IM SCHLESINGER

Der traditionelle Dezember-Flaneursalon: Stefan Hiss, Eva Leticia Padilla und ihr Gitarrist spielen/singen ihre Lieder - und auch hinreißende Duette. Unsereins liest kleine Geschichten. Durch den Abend führt der Wortartist Timo Brunke. Am Dienstag, 11. 12., im schönen Gasthaus Schlesinger Int. Ein paar Exemplare von „Im Staub von Stuttgart“ liegen auch bereit - und werden signiert. Einlass 18 Uhr. Essen bis 19.30 Uhr. Beginn 20 Uhr. (Reservierungen im Lokal Mo - Sa ab 18 Uhr)



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



StN-Kolumne vom 20. 11. 18

DIE LETZEN METER

Seit fast 21 Jahren gibt es meine Kolumne „In der Stadt“. Über die Zahl habe ich nicht Buch geführt. Wozu auch. Im Kopf geht es immer um die nächste, die ungeschriebene. Und Zeitungskolumnen sind auch bloß wie Blätter im Novemberwind.

Inzwischen ist die Sache überschaubar. Als Spaziergänger bin ich auf den letzten Metern meiner Berufslaufbahn angekommen. Ich kann schon deutlich die Ziellinie sehen. Damit will ich nicht sagen, ich würde für immer schlappmachen. Spazierengehen jedoch wird schöner, wenn ich mehr Zeit zum Spazierengehen habe, weil ich übers Spazierengehen nicht berichten werde. Der liebe Gott hat dem Menschen Beine und Füße nicht zum Sitzen und Liegen gegeben. Außer im Breuningerviertel, wo es Werbefritzen nicht zu peinlich ist, Liegestühle mit der Aufschrift zu versehen: „Platz für Flaneure“. Auch wollte uns der liebe Gott nicht am Beispiel von VfB-Spielern zeigen, warum ein sinnvoller Umgang mit Beinen und Füßen ziemlich schwierig ist. Für viele allerdings wurden Beine und Füße nur erfunden, um sie unter das Lenkrad ihrer SUV-Panzer zu strecken.

Seit ich vom Westen in den Süden umgezogen bin, kommt mir die Stadt noch überschaubarer und enger vor. Immer öfter lasse ich Bahn und Bus stehen und gehe längere Strecken zu Fuß. So langsam verstehe ich, warum beispielsweise westliche Gebiete wie der Bismarckplatz früher zum Zentrum der Stadt zählten. Die Menschen fühlten sich weiträumig mittendrin und ließen sich nicht wie heute von Konsumknechten irgendein Zentrum vortäuschen.

In Wahrheit sind wir ein Katzensprung-Kessel. Eine Naturwanne mit unzähligen künstlich angelegten Ecken und Nischen, weshalb viele nicht wissen, dass es für sie nach Feuerbach oder zum Neckar näher ist als zum nächsten noch geöffneten Postamt.

Laut Statistik haben wir mehr als 20 Stadtbezirke, über 150 Stadtteile und 320 Stadtviertel. Es gibt sogar Stadtteile mit offiziell null Einwohnern, etwa den Wasen und den Hafen. Das bedeutet aber nicht, ein einsam vor Anker liegendes Schiff im Stadtteil Hafen wäre weniger aufregend als ein nächtlicher Einkaufsrummel im Stadtbezirk Mitte mit seinen 20 000 Einwohnern.

In typischer Kleingeistigkeit haben Bürokraten unzählige Stadtgrenzen gezogen und Namen verteilt, die niemand versteht. Hat je ein Mensch vom „Stadtteil Rathaus“ gehört? Im offiziellen Stadtteil Rathaus liegt unter anderem das Leonhardsviertel. Bis heute wird es politisch so mies behandelt, als hätte nie jemand aus dem Rathaus einen Fuß in dieses Quartier gesetzt. Es sei denn inkognito in ein Rotlicht-Etablissement.

Unsereins wohnt in der Mozartstraße, vorausschauend in der Nähe des Fangelsbachfriedhofs. Damit zähle ich nach Ansicht weiter Stuttgarter Kreise zwar zum Heusteigviertel. Politisch gesehen aber gehöre ich zum Stadtteil Lehen – wo ich früher mal logiert habe. Anscheinend hat sich der Kreis für mich geschlossen.

Gehe ich von meiner Straße stramm aufwärts Richtung Süden, erklimme ich den schönen, kaum bekannten Wernhaldenpark und erreiche nach einer halben Stunde Degerloch, den Stadtbezirk mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Ich erinnere mich, wie ich im vergangenen Sommer durch Degerloch spazierte. Der Mais stand hoch und versprach eine gute Popcorn­Ernte. Ich war auf dem Weg zum Haus Nummer 48 in der Julius-Hölder-Straße. Herr Hölder war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein nationalliberaler Politiker und Innenminister in der württembergischen Regierung des Ministerpräsidenten Hermann Freiherr von Mittnacht, bei uns verewigt im Mittnachtbau, Königstraße 46. Dieses Haus wurde in den Zwanzigern mit Cannstatter Travertin gebaut; heute residiert dort das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Die Chefin hört auf denselben Nachnamen wie unsereins, kann also kein ganz schlechter Mensch sein.

Ach ja, verdammt, das passiert oft beim Spazierengehen im Hirn: Jetzt bin ich von der Degerlocher Hölderstraße schnurstracks in die Königstraße abgebogen – und damit in den Stadtbezirk Mitte sowie in die Stadtteile Rathaus, Neue Vorstadt und Klettplatz. Alles klar? Eigentlich aber wollte ich nur erwähnen, dass man über die Julius-Hölder-Straße ein abgelegenes Wohn- und Gewerbegebiet erreicht – und im Haus Nummer 36 unter zahlreichen Briefkastenadressen auch den „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ findet. Über diese Organisation kann man sich mühelos im Internet informieren. 2016 wurde sie von Ex-Republikanern und AfD-Mitgliedern gegründet – und soll seitdem Millionen Euro in AfD-Wahlkämpfe gesteckt haben. Über die Spender weiß man nichts Genaues. Spendenaffären gehören zu diesem Milieu. Stuttgart, das macht auch ein Blick auf das Personal der sogenannten Rechtspopulisten im Landtag deutlich, ist ein Zentrum rechtsnationalistischer und völkischer Umtriebe. Bei vielen von uns ist die Gefahr von rechts vor der eigenen Haustür allerdings kaum schärfer im Bewusstsein als die Existenz des Stadtteils Rathaus, wo sich die parlamentarischen Verhältnisse nach den Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr deutlich zum Unguten verändern könnten.

Jetzt aber reicht es für heute. Ich muss noch trainieren für die letzten Schritte auf meinen finalen Berufsmetern. Weiterhin aber gilt: Lieber zu weit gehen als gar nicht.

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·