Bauers Depeschen


Dienstag, 18. September 2018, 2009. Depesche



 



Gut die Hälfte der Karten ist weg

20 JAHRE FLANEURSALON

IM GROSSEN SAAL DES GUSTAV-SIEGLE-HAUSES

Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr.

Die Jubiläums-Show im Gustav-Siegle-Haus, wo 1998 alles anfing. Durch den Abend führt der Berliner Kabarettist Arnulf Rating. Auf der Bühne des Großen Saals, der Stuttgarter AC/DC-Gedächtnis-Halle: Rolf Miller, Thabilé & Band mit Jens-Peter Abele, Roland Baisch & Michael Gaedt, Stefan Hiss, Toba & Pheel. Spezialgast: Nero Friktschn Feuerherdt.

Gleichzeitig Buchvorstellung: „Im Staub von Stuttgart“.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Rosenau.

KARTEN: RESERVIX

Oder auch hier: EASY TICKET Telefon: 0711 / 2 555 555



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



StN-Kolumne vom 11. 9. 18:

NICHTS NEUES

Bevor ich am Sonntag das Haus verließ, war ich beim Ausmisten auf einen Artikel über den Film „Im Westen nichts Neues“ von 1930 gestoßen. Regie führte Lewis Milestone, der Produzent Carl Laemmle wurde mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet. Längst gilt diese Adaption von Erich Maria Remarques Roman als Klassiker der Kinogeschichte.

Der Hollywood-Pionier Carl Laemmle wurde 1867 in Laupheim als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren. 1912­gründete er in Los Angeles die Universal Studios. Ursprünglich auf den Namen Karl Lämmle getauft, blieb er seiner oberschwäbischen Geburtsstadt sein Leben lang verbunden. Bis zu seinem Tod 1939 rettete er viele jüdische Familien in Deutschland vor den Nazis. Im vergangenen Jahr hat ihm das Haus der Geschichte eine Ausstellung gewidmet.

Aus Neugier blätterte ich im Buch „Die Stuttgarter Straßennamen“, fand aber keinen Carl Laemmle – und fuhr aus Trotz mit der Linie 2 Richtung Neugereut nach Muckensturm. Ausstieg Hauptfriedhof, Stadtbezirk Cannstatt. Über Muckensturm berichtete früher gelegentlich die überregionale Presse, weil der CDU-Politiker und VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder in seinem Haus in der Einsteinstraße so lustige Partys feierte, dass die Polizei kommen musste, um die kleine Siedlung vor dem Untergang zu retten.

Mir ist Muckensturm bekannt, weil ich dort auf eine Geschichte stieß, die wieder mal beweist, wie schnell man beim Blick aus dem Fenster in der Welt landet. Die Einsteinstraße wurde 1968 nach dem legendären Physiker benannt – Alberts Mutter Pauline Koch wurde 1858 in Cannstatt ­geboren. Neben Einstein findet sich in Muckensturm auf einem Straßenschild auch der Name Ferdinand Hanauer. Der Betten- und Federkissenfabrikant Hanauer (1868 bis 1955) lebte in Cannstatt, bis er mit seiner Familie vor den Nazis in die USA flüchten musste. In Seattle im Bundesstaat Washington gründete er ein neues Kopfkissen-Unternehmen, die heutige Pacific Coast Feather Company. 1959 wurde in Seattle Nick Hanauer geboren. Der investierte nach seinem Philosophiestudium in Amazon und Risikokapital und wurde Milliardär. Heute ist er nicht nur durch sein Engagement für Umwelt und Bildung, sondern vor allem als scharfer Kritiker der sozialen Ungerechtigkeiten und der Superreichen bekannt. Schon vor Trumps Präsidentschaft kämpfte er in Seattle erfolgreich für bessere Mindestlöhne und schrieb in einem offenen Brief an seine „steinreichen Kollegen“: „Unser Land entwickelt sich von einer kapitalistischen Wirtschaft zu einer feudalen Gesellschaft. Wenn sich unsere Politik nicht dramatisch ändert, wird die Mittelschicht verschwinden . . .“

Dieses Kapitel Cannstatt war es jedoch nicht, was mich jetzt erneut nach Muckensturm führte. Neben den Erinnerungen an die Juden Einstein und Hanauer findet sich dort auch eine Straße zur Ehrung eines schwäbischen Mundartdichters mit beachtlicher Nazi-Karriere: Seit 1968 gibt es dort den August-Lämmle-Weg, benannt nach einem Realschullehrer und Schriftsteller, der maßgeblich für Goebbels’ Reichsschrifttumskammer und Reichskulturkammer arbeitete. Er schrieb Lobeshymnen auf Hitler, diente als Propagandist für Krieg und Rassenwahn und wurde von den Nazis als Vorsitzender des „Bundes für Heimatschutz“ installiert.

In seinem Entnazifizierungsprozess 1947 wurde er vom Gericht, offensichtlich in Unkenntnis seiner Blut-und-Boden-Propaganda, als „Mitläufer“ eingestuft und zu einer Geldbuße verurteilt. Nach dem gescheiterten, von Lämmle beschworenen „Endsieg“ zog der Lehrer und Dichter von Cannstatt nach Leonberg um – und erhielt an seinem neuen Wohnort 1952 die Ehrenbürgerwürde. Bis heute gibt es, wie in anderen Gemeinden des Landes, in Leonberg und Oßweil eine August-Lämmle-Schule.

Die Ehrung des begeisterten Nazis fiel den heimischen Politikern wesentlich leichter als die Auseinandersetzung mit dem NS-Terror vor der eigenen Haustür und die Erinnerung an die gefolterten und ermordeten Opfer im KZ Leonberg.

Seit 1999 arbeiten Bürger in der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative an der Aufklärung der Nazi-Verbrechen. Heute kann man den Erinnerungsort im alten Engelbergtunnel besichtigen.

Noch immer gilt Lämmle, er starb 1962, vielerorts als ehrenwertes Mitglied einer Gesellschaft, die es nicht störte, wenn ihr geliebter Heimatdichter auch noch Jahre nach der Hitler-Diktatur über den „Rassenkrieg“ dozierte. Inzwischen gibt es bei uns angesichts der Verklärung der Nazi-Prominenz auch reichlich Protest.

Als ich am Sonntag Muckensturm hinter mir gelassen hatte, besuchte ich zur Entspannung noch schnell den Travertinpark in Cannstatt. Wenig später schaute ich in der Nähe am ehemaligen, seit vielen Jahren leer stehenden Offizierskasino in der Rommelstraße 4 im Hallschlag vorbei. An einer Außenwand hängen stählerne Tafeln zur Erinnerung an die Afrika-Feldzüge der Wehrmacht, an die grausamen Schlachten von Tunis, Tobruk und El Alamein.

Bei diesem Blick auf den Umgang mit dem Nazi-Terror und dem Rechtsruck unserer Tage bleibt mir mal wieder nichts anderes übrig, als den Schriftsteller Jörg Fauser zu zitieren: „Als alles vorbei war, ging alles weiter.“

 

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