Bauers DepeschenDonnerstag, 01. Juni 2017, 1798. DepescheBeiträge schreiben im LESERSALON Hört die Signale! MUSIK ZUM TAG NÄCHSTER FLANEURSALON LIVE: 17. Oktober 2017 Die aktuelle StN-Kolumne: ALLES LUFT Das Wort Alarm, lese ich im Brockhaus, kommt ursprünglich aus dem Italienischen (allarme) und bedeutet: „Zu den Waffen!“ Es steht für eine „plötzlich angeordnete Marsch- oder Gefechtsbereitschaft“. Da in der CDU seit Adenauer permanent erhöhte Marsch- und Gefechtsbereitschaft herrscht, haben ihre Parteisoldaten auch jüngst in Stuttgart wie gewohnt entschlossen auf Warnsignale reagiert: Der Fraktionschef im Rathaus, so wird berichtet, sei bei jedem Feinstaubalarm in den Ratskeller geflüchtet, um in der Geborgenheit des Gasthausbunkers neue Katastrophenstrategien zu entwickeln. Zwar hat das Wort Alarm an existenzieller Bedeutung eingebüßt, seit uns Marketingfabriken Hohlheiten wie Partyalarm, Shoppingalarm oder Kunstalarm um die Ohren hauen. Der Fraktionschef Kotz aber hat unterdessen via Facebook die wahre Gefährlichkeit des Stuttgarter Feinstaubalarms verlautbart: „Das Image unserer Stadt leidet gewaltig – das sagen Akteure aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Stadtgesellschaft.“ Nun weiß ich zwar nicht, wer mit „Akteuren der Stadtgesellschaft“ gemeint ist. Grundsätzlich ist ja jedes Mitglied der Stadtgesellschaft Akteur: Stadtrat wie Strauchdieb. Klar wird allerdings: Als das wahre Übel des extremen Stuttgarter Feinstaubmiefs betrachten die CDU und ihre politischen Sympathisanten nicht etwa die Schadstoffgifte in der Luft, sondern die schädliche Wirkung des Begriffs „Feinstaubalarm“ für den Saubermann-Ruf ihrer Kehrwochengemeinde. Die CDU hat deshalb unter reger Beteiligung anderer Hygienezellen des Gemeinderats eine neue Bezeichnung für das Gesundheitsrisiko in ihren geistig aseptischen Raum gestellt: „Luftreinhaltetag“. In Zukunft soll an Tagen mit besonders dicker Giftsuppe im Kessel kein „Feinstaubalarm“ mehr ausgelöst, sondern der „Luftreinihaltetag“ ausgerufen werden. Zur Feier des Tages tauschen dann die PS-Fetischisten ihre SUV-Panzer von Mercedes und Porsche gegen Skateboards, die Hells Angels satteln statt der Harleys ihre E-Bikes, und stinknormale Menschen mit Sinn für das Parfüm des Lebens fahren wie an jedem anderen Tag mit Bus, Bahn und Fahrrad. Die Radikalsten gehen wie eh und je zu Fuß. Da an Feinstaubalarmtagen bisher leider auf den Abschreckungseffekt städtischer Sirenen („eine Minute Heulton an- und abschwellend“) verzichtet wird, schlage ich im Hinblick auf ein – unwahrscheinliches – Dieselverbot dem Gemeinderat vor: an Luftreinigungstagen solidarisch mit allen Geschundenen und Vergessenen Deutschlands schönstes Öko-Kampflied in unseren schmutzigen Straßen zu intonieren: „Ja, ja, ja, das ist die Benziner-Luft, Luft, Luft, / so mit ihrem holden Duft, Duft, Duft, / wo nur selten was verpufft, pufft, pufft, / in dem Duft, Duft, Duft, / dieser Luft, Luft, Luft. / Das macht die Benziner-Luft!“ Motivierend im Kampf gegen das Bild vom röchelnden Schwaben in Breuningers feinem Staubmantel wäre auch das bewährte Landeiergegröle aus dem VfB-Stadion: „Stuttgart stinkt viel schöner als Berlin.“ Als städtebaulicher Garant für die grünen Staublungen hinter Stuttgarts Mooswänden gilt ja bekanntlich unser OB. Zur Rettung der noch lebenden AkteurInnen in der eingekesselten Stadtgesellschaft hat er als rhetorische Alternative zum „Feinstaubalarm“ die Bezeichnung „Schadstoffwarnung“ in die Katastrophenschutzdebatte geworfen. Diese Wortwahl erscheint auch den feinen CDU-Nasen ziemlich gerissen, da ja die verniedlichende Bezeichnung „Feinstaub“ keineswegs die wirklichen Ausmaße der giftigen Partikel in der Luft erfasst. Ganz zu schweigen von den Stickoxiden, die unsere Ausputzer aus der Politik ebenfalls umtaufen sollten, da uns dieses Wort schon phonetisch den Erstickungstod vor Augen führt. Die OB-Variante „Schadstoffwarnung“ wiederum klingt in Ländern wie Japan, Holland oder England trotz alledem weit touristenfreundlicher als „Feinstaubalarm“ – stets leicht zu verwechseln mit „Luftschutzalarm“ und „Giftgasalarm“, zwei Begriffen, die nicht zwingend unser Meister-Proper-Image im Sinne der CDU aufblasen, weil sie historisch womöglich etwas negativ besetzt sind. Da die CDU von jeher ihre deutsche Leitkultur nicht nur sauber, sondern porentief rein vermittelt, sollte sie angesichts zeitgemäßer Marketingfloskeln unbedingt auch einen englischen Begriff für ihre Luftnummer einführen: Zur Überwachung des Reinheitsgebots brauchen wir eine Air Force, moralisch unterstützt von Helikopter-Eltern aus der Halbhöhe, die an Luftreinigungstagen ihren Porsche Cayenne nur noch zur Fahrt zum Biomarkt benutzen – ihr Einzelkind aber ausnahmsweise im stromgefütterten Tesla-Roadster in die Privatschule kutschieren. Auch unsere Kohlekraftwerke brauchen schließlich etwas Zuwendung. Love Is In The Air! Nun ist mir bewusst, dass die Feinstaub- und Stickoxide-Diskussion im Rathaus nur insofern komisch ist, als gewisse Stadträte in ihrer verstaubten Umgebung noch genügend Atem haben, sich allein um die Verschleierung und nicht etwa um die Bekämpfung des Übels zu kümmern. Weil diese Art Marketingpolitik zur Aufwertung ihres Heimatdorfs mal wieder zum Himmel stinkt, wäre es unserer Gesundheit zuträglicher, die Herrschaften würden endlich mal die Luft anhalten, statt uns vorzutäuschen, sie reinzuhalten. Wir sollten ihnen was husten. |
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