Bauers Depeschen


Dienstag, 22. September 2015, 1525. Depesche



 



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(Wir waren besser)





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FLANEURSALON mit Buch-Premiere ("In Stiefeln durch Stuttgart") am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus. Mit Christine Prayon, Vincent Klinks Brass On Strings Orchestra, Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Eva Leticia Pedilla Band, Toba Borke & Pheel.

KARTEN: THEATERHAUS - Telefon: 07 11/4020-720.



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Die aktuelle StN-Kolumne:



GOTTESDIENST

Die Haltestelle Eckartshaldenweg, in der Nähe der Wagenhallen im Nordbahnhofviertel, erreicht man vom Hauptbahnhof mit der U-Bahn in drei Minuten. Linker Hand geht es zur Kirche St. Georg. Es ist Sonntagmorgen, zum ersten Mal in meinem Leben besuche ich das katholische Gotteshaus. Nie zuvor habe ich den Backsteinbau wahrgenommen. Bin kein Kirchgänger und manchmal blind.

Die Gemeinde St. Georg, im nördlichen Teil der Stadt an der Heilbronner Straße, hat 4000 Mitglieder aus 48 Nationen. Auf ihrem Prospekt wirbt die Kirche mit der Zeile „Bunte Gemeinschaft – Viele Teile – Ein Ganzes“. Als ich Platz nehme zur Eucharistiefeier, ist die Internationalität des Publikums leicht zu erkennen: ein repräsentatives Bild der Stadt. Obwohl mit den liturgischen Ritualen der Katholiken nicht besonders vertraut, fremdle ich nicht. Hat wohl mit dem Spiel des Organisten Peter Gehrmann und des Posaunisten Matthias Nassauer zu tun. Gute Musik öffnet überall Türen.

Eigentlich bin ich nicht wegen der Georgskirche da, aber ihre Geschichte wäre Grund genug. Hugo Schlösser, einst mit Johann Weirether Architekt der Villa Reitzenstein, hat das Gotteshaus 1929/1930 gebaut. Es entstand kurz nach der Weißenhofsiedlung, galt als ein Monument der Neuen Sachlichkeit, als Gesamtkunstwerk. Die „New York Sun“ schrieb 1930: „St. Georg ist das interessanteste aller neuen Bauwerke in Stuttgart. Das beste Beispiel moderner Kirchenkunst in Deutschland, eine katholische Kirche von revolutionärer Gestaltung, beherrscht durch den Gedanken des rationellen Bauens.“

In der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1944 zerstörten Bomben Teile des Gebäudes, darunter das Flachdach. Ausgerechnet diese architektonische Besonderheit haben die Stuttgarter nach dem Krieg durch ein schräges Ziegeldach ersetzt, angeblich weil das Kupfer für das einst heftig umstrittene Flachdach nicht aufzutreiben war. Bis heute ist St. Georg auch ein Ort der Kunst, in der Seitenkapelle beispielsweise sind Siebdrucke des großen, in Stuttgart wirkenden Grafikdesigners und Malers Anton Stankowski (1906 bis 1998) zu sehen.

Es ist der Caritassonntag im September. Pfarrer Michael Heil, erst seit März in St. Georg, hat den Sozialarbeiter Thomas Lamparter (31) zum Gottesdienst eingeladen; Thomas arbeitet in der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Bürgerhospital, Tunzhofer Straße. In zwei Krankenhaus-Komplexen hat man 800 Flüchtlinge aus 30 Nationen untergebracht, die meisten davon aus Syrien.

Thomas scheint sich bei Katholiken auszukennen, er bekreuzigt sich im richtigen Moment. Als ich ihn später frage, ob er mit der Religion aufgewachsen sei, sagt er: Nein, er habe einige Zeit in Uganda gearbeitet und die Dinge gelernt. Er geht zur Kanzel und berichtet aus dem Alltag der Unterkunft. Wie üblich stehen jedem Bewohner auch im Stuttgarter Norden viereinhalb Quadratmeter Raum zur Verfügung. Aber besser in den ehemaligen Räumen des Bürgerhospitals als in einer Turnhalle, sagt der Sozialarbeiter. Er spricht gut Englisch, der Rest im Umgang mit den Menschen ergibt sich, mit Händen und Füßen.

Thomas redet von der Kanzel unaufgeregt, informativ, weist auf die größten Probleme hin: die medizinische Versorgung, die Krankenkasse, die Kunst, einen Zahnarzt für die Heimbewohner zu finden. Was können Leute tun, die helfen wollen? Er sagt, das Wichtigste seien zurzeit nicht die Kleiderspenden. Viel dringender suche man Fahrräder für Erwachsene und Kinder. Und es fehlen Ehrenamtliche als Begleiter der Flüchtlinge auf dem Weg zu den Ämtern und Ärzten.

Der sachliche Ton, die Gelassenheit des an Stress gewöhnten Sozialarbeiters wirken wie Musik: gute Argumente gegen Typen­, die Helfer bis heute mit der Floskel „Gutmensch­“ verhöhnen, meist mit der Beschränktheit des Spießers, seine Privaterfahrung als Maßstab für die Welt zu nehmen. Der Vortrag des Sozialarbeiters ist eingebettet in die Eucharistiefeier. Der Pfarrer trägt Bibeltexte über das Leid auseinandergerissener Familien vor, erzählt, dass er tagtäglich am Telefon mit der Problematik konfrontiert sei. Die Gemeinde singt „Nun lobet Gott im hohen Thron . . .“

Nach dem Gottesdienst treffe ich vor der Kirche Ellen Wurster, seit zwei Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Als Rentnerin habe sie Zeit, sagt sie, gerade Rentner könnten einiges tun. Früher war sie Sekretärin in einem Architektenbüro, sie spricht gut Englisch, kennt sich aus in der Unterkunft in der Nordbahnhofstraße 161. An diesem Heim, sagt sie, fahren Tag und Nacht Lastwagen für Stuttgart 21 vorbei. Außenstehende könnten sich nicht vorstellen, wie Krieg und Elend viele der Flüchtlinge traumatisiert hätten. Diese Menschen bräuchten dringend Ruhe in ihren Unterkünften, am besten schalldichte Fenster.

Von der Kirche gehen Thomas und ich hinunter zu den Bürgerhospital-Unterkünften, ich will einen Blick in die Flure mit den Zimmern und den Gemeinschaftsküchen werfen. In den Gängen ist es kalt, die Heizungen sind abgestellt, die Fenster offen. Wenn wir Menschen begegnen, hören wir ein freundliches Hallo. Vor den Türen der Zimmer stehen Sandalen, Flip-Flops, oft vier Paare in verschiedenen Größen nebeneinander. Die Schuhe einer Familie.

Thomas und ich steigen in die U-Bahn, fahren hinunter zum großen Flohmarkt im Zentrum und frühstücken im benachbarten Café Nast. Es war ein schöner, frühherbstlicher Sonntag in der Stadt.



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