Bauers Depeschen


Donnerstag, 17. September 2015, 1522. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

heute die guten Nachrichten: 1.) Der Jazz-Club Kiste im Leonhardsviertel, wegen der Probleme des Wirts vergangene Woche überraschend geschlossen, eröffnet wieder an diesem Freitag - mit einem Konzert. Das Ordnungsamt leistete unbürokratische Hilfe.

2.) Der Vorverkauf für meine nächste Veranstaltung läuft ziemlich gut, es gibt nicht mehr viele Karten:

FLANEURSALON mit Buch-Premiere ("In Stiefeln durch Stuttgart") am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus. Mit Christine Prayon, Vincent Klinks Brass On Strings Orchestra, Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Eva Leticia Pedilla Band, Toba Borke & Pheel.

KARTEN: THEATERHAUS - Telefon: 07 11/4020-720.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



HOCH UND TIEF

Es ist nicht einfach, Mitte September sein Hirn von Sommer auf Herbst umzustellen. Vielleicht war der Tag, an dem ich auf den Killesberg fuhr, der letzte Sommertag des Jahres. Es war früher Abend, schwül und das Licht merkwürdig diffus, künstlich.

Wohlweislich hatte ich den 43-er Bus genommen. Die Straßenbahnen der Linie 5 hinauf ins Nobelquartier des Nordens fahren, in typischem Provinz-Takt, bestenfalls alle zwanzig Minuten. Als wären Schienen-Reisende unerwünscht. Trotz der Kunstakademie auf dem Killesberg mit 850 Studierenden und reichlich Personal behauptet die SSB, der Zehn-Minuten-Takt lohne sich nicht. Alles muss sich lohnen.

Die Staatliche Akademie der bildenden Künste, eine der größten Deutschlands, ist im Bewusstsein der Stadt kaum vorhanden. Vielleicht ist sie für eine größere politische Aufmerksamkeit noch zu jung. Gegründet wurde sie 1761. Der „Kulturspiegel“, eine Beilage des Hamburger Nachrichten­magazins, beschäftigt sich in seiner Serie „Ein Jahr mit Jankowski“ mit dem renommierten Konzept- und Videokünstler Christian Jankowski (47), seit zehn Jahren Professor für Bildhauerei an der Stuttgarter Akademie. In Erinnerung ist mir vor allem die Folge V vom Juli: „Vergesst Jankowski: Als Professor will der Künstler seine ­Studenten auf den Markt vorbereiten.“

Ach, der Markt. Wir sind nur noch seelenlose Krautköpfe, am Morgen noch ein paar Cent wert, am Abend schon aus­sortiert. (Tut mir leid, das war gerade ein depressiver Aussetzer an der Sommer-Herbst-Brücke mit Blick auf den Geldfluss in der globalen Wirtschaftskrise.)

Zurück zur Kunst. Der „Kulturspiegel“ berichtet: „Die Wolken haben sich über die Staatliche Akademie der bildenden Künste in Stuttgart geschoben, als Jankowski sich auf Krücken die letzten Stufen zu seinem Atelier hochstemmt. Beim Windsurfen hat er sich den Kopf am Mast gestoßen, ist vom Brett gestürzt und hat nun eine Harry­Potter-Narbe und Gehhilfen. Die Schnürsenkel sind offen. In diesem Zustand kann er nicht mal einen Rollkoffer zum Flughafen ziehen.“

Da haben wir den Beweis für den Skandal im öffentlichen Nahverkehr: Wenn keine Bahn mehr zur Kunstakademie fährt, nehmen gute Künstler eben den nächsten Rollkoffer zum Flughafen.

Beim Ausstieg aus dem Bus der Linie 43, einem mental lohnenden Rundkurs durch den Norden, Süden und Westen, eröffnet sich mir ein mehr als seltsames Bild. Die neuen Luxusbauten, Killesberghöhe genannt, stehen da, als hätte man sie vom Computer-Bildschirm gepflückt und hoch gezoomt. Bei Sonne blenden die Fassaden, als hätte ein Licht-Designer die falsche Droge erwischt. Die teuren Kästen sind umgeben von einer stramm frisierten Parkanlage, der sogenannten Grünen ­Fuge. Ich habe große Lust, die wenigen Menschen, die auf der Wiese sitzen, zu pieksen: Aus der Ferne sehen die Figuren aus, als sollten uns Roboter Leben vortäuschen. Dass es in ­dieser Reißbrett-Landschaft womöglich auch Leute aus Fleisch und Blut gibt, lässt bestenfalls der Verkehr im Restaurant Scholz vermuten.

Die luxuriösen Wohncontainer mit ihren auf Distanz gebautem Ladenkomplex ist ein Beweis dafür, wie virtuelle Architektur nicht länger nur als Computer-Modell taugt. Die Bildschirm-Optik prägt bereits unsere Realität und Wahrnehmung.

Da passt es, dass man die Killesberghöhe zunächst unter dem Namen „Think K“ geplant hatte: Irgendwie sollte dieser läppische Begriff dazu ermuntern, sich etwas mit Kunst, Kultur und Killesberg vorzugaukeln. Heute scheint es, als seien Kunst und Killesberghöhe strikt getrennt – zumal ein Zusammenspiel mit der einst revolutionären Architektur der benachbarten Weißenhofsiedlung wohl nur die Marketing-Abteilung der Neubau-Investoren erkennen kann.

Die schöne Killesberg-Welt, wo in einigen Bereichen bis heute auch die Spuren der Nazi-Herrschaft, der Reichsgartenschau und der Deportationen jüdischer Bürger zu erkennen sind, hat mich dazu gebracht, anderntags die etwas tiefer gelegten Monumente ruhmreicher Stadtplanung aufzusuchen. Vom Marienplatz ging ich todesmutig die Hauptstätter Straße entlang, im Regen stadteinwärts. Am Österreichischen Platz bekam ich eine Chaos-Angst, wie ich sie noch in keiner anderen Stadt erlebt habe: Man hastet und stolpert zwischen den Vehikeln auf mehreren Stadtautobahnspuren ohne Fußgängerüberwege herum, nur um einen Blick in dieses apokalyptische Asphaltloch mit den Parkplätzen im Untergeschoss zu werfen: Unten, auf der Stahltreppe vor den Stromkästen, muss zuletzt jemand gewohnt und seine Decken zurückgelassen haben. Man steht da verloren und schaut hinter sich auf die hellblaue Leuchtschrift „Gerberbau“ an einem Büroklotz vor der Paulinenbrücke. Dieser Plattenbau hat nichts zu tun mit dem Einkaufszentrum Das Gerber in der Nähe. Es zeigt nur, wie man mit dem Namen des historischen Viertels erfolglos etwas Menschliches zwischen Glas und Beton zwingen will.

Die Depressionsstrecke Hauptstätter Straße, eine Route menschenverachtender Stadtplanlosigkeit, wäre unerträglich, könnte ich mich nicht unterwegs zum Plaudern in die Räume zweier portugiesischer Vereine flüchten. Der eine ist an der Ecke Römerstraße, der andere, etwas größere, an der Ecke Cottastraße (in der früheren Gaststätte zur Tanne, neben dem portugiesischen Lokal D. Carlos). Im kleineren Laden, dem Centro Portugues de Stuttgart, unterhalte ich mich mit dem Vizepräsidenten Jorge. Ein großer Tag steht bevor: Am Sonntag spielt der FC Porto gegen Benfica Lissabon. Im Lokal wird live übertragen. Unter den Gästen sind wie immer Fans beider Fußballklubs. Es wird Leben herrschen in Klein-Portugal an der Stadtautobahn.



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