Bauers Depeschen


Samstag, 09. Juni 2012, 926. Depesche



EM-BOULEVARD

Das Glück des Glücklichen, die alte Hure,

triumphiert über das Pech des Tüchtigen.

Portugal, ewiges Verliererschicksal.

Holland, endloses Loser-Drama



LIEBE HOMEPAGE-GÄSTE,

es gibt eine gute und hilfreiche Neuerung auf dieser Seite: Ralf Schübel von AD1 hat mir dankenswerterweise den Permalink oben eingerichtet, so dass sich jede Depesche ab sofort direkt posten und verlinken lässt.



Das Hafen-Picknick

FLANEURSALON AM NECKARUFER

Sonntag, 24. Juni, Mittelkai

Die Pfingstferien gehen zu Ende, die EM beginnt. Und irgendwo dazwischen sollten wir nicht absaufen. Das Bild für die Depeschen-Seite (rechts) hat der Fotograf und Kollege Leif Piechowski am Ort unserer Flaneursalon-Show im Stuttgarter Hafen gemacht. Ich appelliere an alle Homepage-Besucherinnen und -Besucher, an die Freunde bunter und informativer Unterhaltung: Unterstützt unser Hafen-Picknick, die Hommage an den Neckar, besorgt Euch bitte Karten im Vorverkauf für unser (überdachtes) Hafen-Picknick am Sonntag, 24. Juni. Auf die Bühne, einen Eisenbahnwaggon, gehen Roland Baisch & The Countryboys, das Elektro-Duo Putte & Edgar, die Sängerin Dacia Bridges und der Beatboxer Pheel. Wäre schade, wennn der Flaneursalon ausgerechnet bei dieser Aktion baden gehen würde ... Hier geht es zum rettenden Ufer: HAFEN-PICKNICK

(Siehe auch rechts das Archiv, Depesche vom 20. Mai)



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



DIE KREDITKARTE

Es ist Zeit, von merkwürdigen Begegnungen in einer seltsamen Stadt zu berichten.

Jedes Jahr schwemmen Frühsommerfeiertage wie Himmelfahrt und Fronleichnam Dutzende von Brückentagsleichen in die Stadt. Meist liegen sie in Straßenbahnen herum. Es war morgens um neun, als ich den Toten im Waggon entdeckte. Er lag mit dem Oberkörper quer über dem Sitz, wohl im Sterben hatte er seine Füße akrobatisch auf dem Sitz gegenüber verknotet.

Die Straßenbahnfahrerin kam, um den Mann zu wecken. Sie rüttelte und schüttelte, redete auf ihn ein. Doch auch als lebender Passagier hätte er sie nicht verstanden. Sie sprach Sächsisch. Nach der fünften Aufforderung, die Fieße vom Sitz zu nehmen, und der sechsten Frage, wo er hin wolle, war klar: Der Mann wusste, dass er tot war. „Ich muss zum Pragfriedhof“, sagte er, und ich schwöre, ich habe es nicht erfunden.

Einen Tag später, die Feiertagsleichen waren weggeräumt, ging ich von West nach Nord. Relenbergstraße, Wiederholdstraße, Herdweg. Was für schöne alte Villen. Vor einem Haus stand ein junger Kerl mit kurzen Hosen. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „haben Sie vielleicht eine Kreditkarte, die Sie nicht mehr brauchen?“ „Mann“, sagte ich, „ich bin kein Villenbesitzer, ich habe nur eine einzige Kreditkarte.“ „Ich habe mich selbst ausgesperrt“, sagte die kurze Hose, „haben Sie nicht eine Karte, die Sie nicht mehr brauchen, damit ich die Haustür öffnen kann?“ Ich dachte, es handle sich um einen Einbrecher, er war noch nicht lange im Geschäft, und ich hatte Mitleid. In meinen Geldbeutel fand ich zwischen Zehnerkarte fürs Bad Berg und Straßenbahn-Abo die alte Dauerkarte für die Stuttgarter ­Kickers.

Abgelaufene Kickers-Dauerkarten besitzen unschätzbaren Wert, vor allem wenn sie wie meine die große Saison des glorreichen Titel­gewinns in der vierten Liga dokumentieren. Widerwillig, aus Solidarität mit der Zunft der Strauchdiebe, reichte ich der kurzen Hose die Karte. Er schaute meine Plastikmarke an, dann mich und stieß mit dem Blick des Doofen diesen folgenschweren Satz aus: „Äh, was ist das für ein Club?“

Auch diese Geschichte ist wahr, und falls Sie irgendwo im Norden eine schwer identifizierbare Leiche in kurzen Hosen mit einer Kickers-Dauerkarte zwischen den gebrochenen Fingern finden, bedenken Sie mein Schicksal: Ich hatte keine Wahl. Ich musste es tun. Es war eine Frage der Ehre.Womöglich aber wird die Hinrichtung der kurzen Hose untergehen und unsereins nie in den Knast wandern. Seit gestern läuft die Fußball-EM. Sie wird Banalitäten – Leichen in Straßenbahnwaggons und Banausen-Morde im Stuttgarter Norden – in den Schatten des Vergessens drängen.

Fußballturniere sind die große Zeit gemeiner Hinterrückspolitik. Herrschaften wie die auf Stadiontribünen hemmungslos erotisierte Frau Merkel werden Volkes Begeisterung mit versteckten Fouls quittieren. Im Rausch der Europameisterschaft werden wir es nicht mitkriegen, wenn sich irgendwelches Fiskalpack Europa vollends unter den Nagel reißt. Oder die Stadtzerstörer noch mehr krumme Dinger drehen. Wer weint um Portugal, wenn es heute gegen Deutschland verliert und morgen pleite geht? Ach, Figo, ewiges Symbol des Schmerzes, Abbild der Saudade, du bist nicht mehr dabei. Tränennass hängt Portugals Fahne auf Halbmast in meiner Bude.

Überhaupt, die verlogene Moral: ­Warum kritisiert man rundum die politischen Verhältnisse in den EM-Gastgeberländern Ukraine und Polen, als wären die Politiker im eigenen Land die Gralshüter der Demokratie? Wie engstirnig und nationalistisch im europäischen Deutschland oft gedacht wird, erkennt man an der scheinbar immer mit liberalem Gewissen ­ gestellten Frage, ob es legitim sei, „für Deutschland zu sein“. Gemeint ist, ob es politisch korrekt sei, das deutsche Team mit Tröten und Fahnen in den Straßen zu feiern. Diese Frage stellt sich dem Fußball-Liebhaber nicht. Der Fußball-Liebhaber ist immer für die Mannschaft, die guten Fußball verkörpert. Er ist für das Team, das versucht, gut und zeitgenössisch zu spielen, auch wenn es ihm nicht immer gelingt.

Es gibt keinen Grund, n i c h t für den Bundestrainer Löw zu sein. 2006 hat er als Partner von Jürgen Klinsmann die „deutschen Tugenden“, diesen Charme einer Dampfwalze, abgeschafft und eine aufgeschlossene, ganzheitliche Spielweise durchgesetzt. Es war ein harter Kampf gegen die Pickelhauben. Klinsmann und Löw haben moderne, internationale Trainings- und Spiel­­­methoden eingeführt, sich von Barcelona bis Los Angeles umgesehen. Löw hat als Klinsmanns Nachfolger Spieler gefunden, die mit seinem internationalen Stil Spaß haben, ihn begreifen. Im Ausland wird dieser Aufbruch besser gesehen als bei uns.

Es ist Sache des Fußballverstands, nicht der politischen Propaganda, Herrn Löw Siege zu gönnen. Ob Frau Merkel deshalb Balztänze im Hosenanzug aufführt, juckt den Fußball-Liebhaber so sehr wie eine Feiertagsleiche in der Straßenbahn.



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