Bauers DepeschenSamstag, 22. Oktober 2011, 804. DepescheAUSWÄRTSMACHT: FC Ingolstadt II - Stuttgarter Kickers 0:2 SOUNDTRACK DES TAGES RAPPORT Am Freitagabend haben wir einen Mini-Flaneursalon im Bunten Bücherladen von Filderstadt-Bernhausen gemacht, das Duo Anja Binder & Jens-Peter Abele begleitete mich. 60 sicht- und hörbar sich wohlfühlende Besucher in der Enge der kleinen ehrenwerten Buchhandlung. Songs & Texte harmonierten wunderbar. Die endgültige Eroberung der Filder. FLANEURSALON IN DER KIRCHE Am Sonntag, 30. Oktober (19 Uhr), gastieren wir auf Einladung in der Andreaskirche zu Obertürkheim - und die Glocken klingen, das Gotteshaus scheint sich komplett zu füllen. Spezial-Gast im Flaneursalon ist VINCENT KLINK, der Meisterkoch wird eigene Texte vortragen und - begleitet von seinem Klavier-Virtuosen PATRICK BEBELAAR - Basstrompete spielen. STEFAN HISS ist mit seinem Trio LOS SANTOS dabei, DACIA BRIDGES singt - und unverzichtbar im Gotteshaus ist MICHAEL GAEDT, The Master of the Universe. VORVERKAUF siehe TERMINE LIEBE Neulich hat mich die in München erscheinende Frauenzeitschrift "Elle" gebeten, in ein paar Zeilen die Frage zu beantworten, "warum ich Stuttgart liebe". Das habe ich gemacht, im Grunde mit Binsenweisheiten - die man oft draußen so wenig kennt wie drinnen: VOGELBLICK Von wahrer Liebe spricht man, wenn man jemanden liebt, der es nicht verdient hat. Es wäre also billig, die Liebe zu einer Stadt zu beschwören, indem man Dinge auflistet, die selbst Marketing-Fritzen und Politiker kennen: die Auto-Museen von Daimler und Porsche, die schwäbische Kirmes mit ihrem bayerischen Dirndl-Wahn, die unterschätzten Weinberge. So begänne keine Beziehung, und erst recht kein Sex. Als ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Leonhardsviertel, in Fachkreisen „Tschernobyl“ genannt. Ich schaue aus dem Brunnenwirt, einer ehemaligen Rotlicht-Kneipe, in der ich mir regelmäßig schwäbische Hausmannskost und einen Blick auf die Geschichte der heruntergekommenen Altstadt gönne. Vor dem Fenster rauscht der Verkehr vorbei. Man sieht die Spuren der Autostadt, die Sünden des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Stadtautobahn tranchiert die alte vergessene City. In den 35 Jahren, die ich hier lebe, habe ich mich an die geteilte Stadt gewöhnt, und es gab Zeiten, da war es schwieriger, über die bürokratischen Barrikaden von Stuttgart zu springen. Wenn ich meinen Rostbraten gegessen habe, gehe ich nebenan zum Ratzer und lasse mir neue Scheiben servieren. Karl-Heinz Ratzer ist seit 30 Jahren im Musikgeschäft, in diesem Herbst hat er sein Plattencafé eröffnet, einen Laden für CDs, Vinyl und Butterbrezeln. Wir werden uns, in der Nachbarschaft des urbanen Bix Jazzclubs und der heimeligen „Hells Angels“-Bar, darüber unterhalten, ob es gut ist, wenn Jeff Bridges ein Album mit Country-Songs veröffentlicht, wo er sich doch in den Filmen „Crazy Heart“ und „True Grit“ als größter Cowboy aller Zeiten verewigt hat. Und wahrscheinlich werden wir über den VfB lästern, weil die Herrschaften vom Wasen nach jedem läppischen Sieg glauben, in der Champions League zu spielen. Überhaupt, und das ist kein Fußballproblem, geht einem zuweilen der krankhafte Hang der Provinzfürsten zu peinlicher Weltläufigkeit auf den Sack. Mir kann das wurscht sein, ich gehe zu den Stuttgarter Kickers, vierte Liga, und wir spielen oben, unter dem Fernsehturm. Wenn du etwas über Stuttgart wissen willst, wenn du dich wunderst, wie man diese Stadt lieben kann, dann musst du nach oben, auf die Hügel über dem Talkessel. Man kann das zu Fuß erledigen, man kann die Straßenbahn, die Zahnrad-, oder die Seilbahn nehmen. Man kann sogar mit dem Auto fahren. Schöne Autos und hässliche Straßen haben wir genug. Schlauer ist es, etwas Geld einzustecken, sich in die „Zacke“ zu setzen und nach zehn Minuten an der Wielandshöhe auszusteigen. Hier betreibt der Basstrompetenspieler, Schriftsteller und Sterne-Koch Vincent Klink seine gleichnamige Wirtschaft, und wenn man vom Restaurant Wielandshöhe hinunterschaut in den Kessel, dann kann es sein, dass man im Herzen und im Schritt dieses Ziehen spürt, das man Liebe nennt. Mit dem berauschenden Blick von oben begreift man, warum viele Bürger auf die Straße gehen bei dem Gedanken, Immobilienhaie könnten ihren Bahnhof versenken und mit ihm die Gleise, von denen aus man die Weinberge sehen kann. Der Vogel-Blick auf Stuttgarts Topografie löst heftigere Gefühle aus als unten die nächtlichen Autorennen auf der Partymeile Theodor-Heuss-Straße. Bei dieser Aussicht kann man das Geschwätz von der Kehrwoche und den hochgeklappten Bordsteinen genauso vergessen wie die anderen Maultaschen-Klischees und in Würde daran erinnern, wie in der Stadt Schiller, Bosch und der deutsche Hip-Hop groß wurden. Kein Wunder, wenn der Rebellengeist herrscht in dieser etwas größeren Kleinstadt, wo zu viele Leute die Schätze ihres mineralwasserhaltigen Kessels missachten. Man muss sie lieben, die verdammte Heimat mit ihren vielen Ausländern und mit Hölderlin hoffen: „Glückliches Stuttgart, nimm freundlich den Fremdling mir auf!“ DIE STN-KOLUMNEN LESERSALON FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV THE INTELLIGENCE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK RAILOMOTIVE UNSERE STADT KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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