Bauers Depeschen


Donnerstag, 30. Dezember 2010, 646. Depesche



NOTIZ

Zum Jahresabschluss ein Bad im Berg genommen, letzte Sünden in der Männersauna ausgeschwitzt, den verhangenen Himmel über dem kalten Wasser gegrüßt. Danach Gemüseeintopf mit Rindfleisch und Nudeln im Brunnenwirt. Kurzum: Es gibt Möglichkeiten, in Stuttgart am Leben zu bleiben, auch wenn die Dinge durcheinandergeraten. Verehrte Homepage-Besucher, ich wünsche Ihnen eine gute neue Dekade - und ziehe meinen nagelneuen Stetson Traveller von Lenz Louis, Alte Poststraße/Kronprinzstraße. Damit müsste ich für die nächsten zehn Jahre aus dem Schneider sein.



Die aktuelle StN-Kolumne:



GROSSER SOHN

Seinen jüngsten Dokumentarfilm zu Ehren seines langjährigen künstlerischen Mitarbeiters Wolfgang Dauner hat der SWR von Dienstag auf Mittwoch ausgestrahlt - zwanzig Minuten nach Mitternacht. Glückwunsch! Immerhin lief die Hommage an den großen Musiker rechtzeitig vor seinem 75. Geburtstag am heutigen Donnerstag.

Fernsehen funktioniert wie Politik. Die an den Schalthebeln bestimmen, wann und was die Leute zu interessieren hat. Das ist die Nulluhrzwanzig-Kultur der nicht nur zur Schlafenszeit Unterbelichteten.

Der Dauner ist zurzeit nicht in der Stadt. Mit seiner Frau Randi Bubat hat er sein Haus in der Halbhöhe verlassen, um in Ruhe 75 zu werden. Auch in der Nacht, als Christophe Blaviers Doku "Dauner forever" im Fernsehen lief, hat der Pianist etwas Vernünftiges gemacht: Musik mit dem Geiger Jean-Luc Ponty im Jazzclub Porgy & Bess zu Wien.

Es kann kein Zufall sein, dass der Dauner am 30. Dezember geboren wurde. Etwas spät im alten Jahr, etwas zu früh fürs neue Jahr. Damit war klar, was aus ihm werden würde. Ein verdammter Grenzgänger. Einer, mit dem du immer rechnen musst, auch wenn du gar nicht an ihn denkst.

Im Sommer 2009 probte er in Frankfurt an der Oder mit klassischem Orchester und Big Band seine Komposition "Second Prelude to the Primal Scream" (Zweites Vorspiel für den Urschrei). Kurz entschlossen setzte ich mich in den Zug, um ihn zu besuchen: Einen, der zwischen den Jahren auf die Welt gekommen ist, dachte ich, musst du auf der Brücke zwischen Deutschland und Polen gesehen haben. Dauner, mit Hut, machte eine gute Figur.

Er war und ist immer zwischen der einen und der anderen Seite des Flusses, musikalisch sowieso, und der Rest irgendwie auch. Wo hätte er anders zur Welt kommen können als in Bad Cannstatt, über dem Neckar? Am East River? Das wäre nichts Besonderes gewesen für einen Jazzmusiker.

Big Apple, großer Boskoop: Wichtig ist, was du daraus machst. Dauner ist eine Stuttgarter Institution. Er hat seine Heimat nie verlassen, um weg zu bleiben. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Ich weiß aber genau, dass er mir vom ersten Tag an Respekt eingeflößt hat - auch wenn es kaum eine umgänglichere Stuttgart-Institution gibt als den Dauner. Wenn man den Dauner um etwas bittet, lautet die Antwort nicht selten: "Sorry, ich habe gerade keine Zeit." Damit aber ist die Sache nicht gelaufen. Irgendwann, nach zwei Tagen, drei Wochen oder vier Jahren, klingelt das Telefon: "Ja, Dauner hier. Ich habe mir alles überlegt. Ich habe eine Idee, ich glaube, wir können die Sache jetzt machen." Diese Sätze sind wie ein Vertrag, nur seriöser.

Der Dauner ist ein Stuttgarter Würdenträger. Ein Jazzstar. Keine Frage. Ein eigenwilliger Klassik-Interpret. Ohne Zweifel. Ein Rock'n'Roller. Ja, auch. Aber was heißt das? Viele Gesichter. Ein Charakter.

Man kann ihn nicht in eine Schublade stecken, wie man das in Deutschland gern macht. Dauner ist ein Beispiel dafür, was alles in dieser Stadt gelaufen ist, ohne dass es je richtig wahrgenommen wurde. Alle, die heute beim Anblick der protestierenden Menschen ihr Staunen über die "betulichen Schwaben" in die Welt hinausposaunen, wissen nichts von Dauners brennenden Klavieren, von seinen nackt tanzenden Schlagzeugern - vom Stuttgarter Underground und seinem Humor.

Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat Dauner neulich eine Doppelseite gewidmet. "Stuttgarts großer Sohn", hat das Blatt geschrieben. Da fiel mir die Geschichte ein, wie der Dauner, längst berühmt, einmal im Kulturamt landete und der Belegschaft auf die Sprünge helfen musste: "Guten Tag, mein Name ist Dauner, ich spiele Klavier." Darüber hat der Dauner gelacht, für uns war er da längst der Mann, den Manfred Esser 1978 in seinem legendären "Ostend-Roman" beschrieben hat: "Da ist ein ehemaliger Maschinenschlosser, jetzt der bekannteste Jazzer der Stadt, an den Flügel der Proleten herangegangen . . . Er hat den Deckel aufgeklappt - wie der Zahnarzt den Mund eines Patienten; spielt an und hämmert . . . Der Jazzer hält seine Halbmähne im Nacken mit einem Gummiring zopfig."

Er hämmert noch, der große Zampano. In seinem Nacken sitzt der Schalk.

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