Bauers Depeschen


Donnerstag, 22. Juli 2010, 545. Depesche



(Bitte TERMINE beachten und flugs zum Kartenververkäufer rennen)



SPIDER IN MY WEB

Am Mittwoch war ich als Dienstältester in der Suite, Theodor-Heuss-Straße. Der Laden, auch historisch die erste Adresse auf der Partymeile des steil frisierten Kreisstadt-Motoristen, ist eine Art Kindertagesstätte mit nächtlichem Auffanglager für allein erzogene Eltern. Wenn ich da reingehe, fragt mich der Türsteher: Bist du der Opa von Anette und suchst deren Enkelin Lena? Fick dich, sage ich, am besten ins Knie, denn deine Birne ist leider noch weicher. Opa haut heute solo auf die Kacke.

Es gibt selbstverständlich keinen Türsteher. Ist ja nicht Wochenende.

Früher, als alles (und laut Karl Valentin) auch die Zukunft besser war, waren die Kneipen in der Stadt nicht nur am Wochenende, sondern jede Nacht bis zum Anschlag voll. Jedenfalls die eine, die geöffnet hatte.

Im ersten Stock des Clubs feiert das Stuttgart-Blog KESSEL.TV mit der Lesung eigener Produkte das zweijährige Bestehen seiner freien Netz-Anstalt; die Suite ist eine Station der Jubiläumstour. Die Menschen, die vorlesen (in der klaren Mehrheit, soweit ich das beurteilen kann, Männer) sind Verdienstordensbrüder des offiziellen Blogger-Betriebs, im Neben- und Hauptberuf DJ wie RAM, Stadtmagazin-Redakteur wie Herr Volkmann (lift), Herr Setzer (Prinz) oder Freelancer wie Herr Weh (er schreibt auch für die StN).

Auch eine Frau geht im Lauf des Abends an den Lesetisch, ihren Namen habe ich leider nicht gespeichert, wofür ich mich entschuldige (Anmerkung: nach später eingetroffenen Informationen von Herrn Volkmann handelt es sich um Frau Jana Ullsperger). Die Dame trägt, frauenuntypisch, einen Text über Schuhe vor, es geht um Ugg Boots, das hässlichste Schuhwerk seit der Erfindung des gelben Kickstiefels für Regionalligaspieler auf der Waldau. Die Thematik trifft mich im Unterleib. Als treuer Boots-by-Boots-Kunde und Stiefelsammler kann ich Tony-Mora-Pythons von Sioux-Sandalen unterscheiden. Uggs hätte nicht mal Charlie Chaplin in „Goldrausch“ gefressen.

Der Trick des Blog-Erfolgs, so erscheint es mir in Suite-Etage eins, funktioniert ähnlich wie im erdgeschossigen Comedy-Bereich: Die Texte vermitteln dem Konsumenten das Gefühl, er könnte das auch selbst – würde er sich nur trauen. Die Blog-Kundschaft verfügt beim Tippen noch nicht über die Mittelstreckenkondition der Chefautoren (die auch nicht um jede Silbe ringen) und spezialisiert sich deshalb aufs Kommentieren. Die minimalistische Konsequenz dieser Spielart hat nur bedingt Grenzen: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere reduziert ein guter Kommentator sein anfänglich noch amateurhaftes und ausschweifendes „Echt cool“ auf ein professionelles „Yeah!“. Wenn nur noch das Ausrufezeichen zu sehen oder Spuren der Leertaste zu erahnen sind, steht er kurz vor dem Blogger-Nobelpreis. Auffallend oft fiel am Abend das Wort „blöd“, womöglich die sparsame Sommerversion von „scheiße“ oder aber Rücksicht auf die Suite-Kinder.

Sympathisch sind die Netzwerker allemal, weil sie bei Veranstaltungen wie der Suite-Lesung das wichtigste Gesetz des hoffnungsvollen Müßiggängers beachten: Sie trotzen der Online-Ohnmacht, sofern man die multimedialen, durchaus originellen Laptop-Spielereien der Akteure und das vereinzelte Handy-Gefummel in der Menge als kreativen Akt sieht. Dass ein DJ, er nennt sich sozialbewusst „Der Nachbar“, in der Ecke arbeitet, muss ich nicht extra erwähnen und ist gut fürs Vinyl. Außerdem rauchen die Damen und Herren im Publikum ungestört. Das gefällt mir, obwohl ich lebensbedingt seit Jahren Abstinenzler bin.

In Erinnerung bleibt der Auftritt eines Stuttgart-21-Gegners: Der nicht nur haarausfallmäßig Zweitdienstälteste des Abends appelliert an die guten Herzen im ersten Stock, man möge gegen die Tieferlegung des Bahnhofs demonstrieren. Ordnungsgemäß sagt man ihm, man werde das tun, sobald man Zeit finde. Das ist mein Stichwort, unter Tony-Mora-Trägern auch Cue genannt: Ich muss zur Arbeit an den Computer, ihr faulen Säcke.

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