Bauers DepeschenFreitag, 20. März 2009, 300. DepescheDie 300. Depesche: eine armselige Zeile, bis die Antibiotikabombe platzt. Nachtrag: Etwas Konserve zur Gesamtlage: AM NECKAR Mit der Linie 2 fuhr ich am Morgen einige Stationen weiter als üblich durch Stuttgart und stieg erst in der Mercedesstraße aus. Nicht weil ich verschlafen hatte. Ich musste nach Bad Cannstatt, die Hochwasserlage prüfen. Hochwasserlage, hatten sie im Fernsehen gesagt, Hochwasserlage, wie Hanglage. Bald würde es wieder regnen. Das war gefährlich. Als ich von der Brücke aus die Brühe unter mir sah, wurde mir schlecht. Die Hochwasserlage hielt sich in Grenzen, aber der Neckar sah aus, als ob er kotzte und kochte vor Wut. Drei Männer an der Schleuse stocherten mit Stahlstangen im Wasser, sie versuchten den angeschwemmten Haufen Unrat zu zerkleinern, damit das Grobzeug weiter treibe. Autoreifen, Bauschutt, Menschenseelen. Alles im Fluss. Ich hätte einen Drink gebraucht und einen Hocker in der Bar zum Krokodil. Als ich ungefähr einen Meter groß war, habe ich mir einen Fluss gewünscht. Einen, auf dem man Floß fahren könnte wie Huckleberry Finn. Ich wohnte nicht wie Huckleberry Finn am Mississippi. Ich wohnte an der Rems. Nichts Halbes, nichts Ganzes. Die Rems hätte nur bei guter Hochwasserlage ein Floß getragen. Die Rems, dieser Möchtegernfluss, aus dem kein Hund freiwillig saufen würde, überflutete gerade die Keller von Waiblingen, als ich auf der Neckarbrücke stand. Der Waiblinger ist ein Problem, ich weiß. Die Rems ist ein Ausfluss an Schäbigkeit. Als ich am Neckar aus der Straßenbahn stieg, sah ich auf der Brühe einen Frachter, er lag steuerbord. Am Bug stand der Name Emma. Ich glaube nicht, dass ich Lust hätte, auf einem Schiff namens Emma anzuheuern. Emma klingt nach Strandgut. Ich hätte Emma gern gefragt, warum sie Emma heißt, aber es gibt keinen richtigen Zugang zum Neckarufer in Cannstatt. Die Stadt hat ihren Fluss vergessen. Backbord entdeckte ich drei Schilder mit drei Hinweisen: È Assolutamente Proibito Pescare, Ribanje Zabranjeno, Balik Avlamak Yoser Tir. Jetzt möchten Sie wissen, was das auf Deutsch heißt. Ich sage es Ihnen: „Angeln verboten“. Ich wollte nicht angeln. Ein guter Seemann fischt nicht im Trüben. Ich wollte den Neckar fragen, warum er schäumte und kackbraun war im Gesicht. Er schäumte nicht wegen Emma. Dann ging mir ein Licht auf: Dies war seine letzte Warnung. Wenn nicht bald etwas passiert, wollte der Neckar sagen, dann habt ihr Ahnungslosen da draußen auf dem Trockenen ein Problem. Das Problem heißt Hochwasserlage. Ich mache ernst. Ich bringe mehr Menschen um als die Rems. Eines Tages wird der Neckar aus seiner Haut fahren. Er wird sich rächen. Weil er behandelt wird wie ein nasser Hund. Missachtet, verletzt. Der Neckar ist der Huckleberry Finn der Flüsse. Keiner kümmert sich um ihn. Bei Hochwasser nicht und bei ruhiger See auch nicht. Gut, da ist Emma, aber Emma schwankt im Wasser wie eine betrunkene Kellnerin in der Bar zum Krokodil. REKLAME: Nächster Flaneursalon am Sonntag, 19. April (20 Uhr), in der Rosenau. Mit Roland Baisch & The Countryboys, Dacia Bridges und Michael Gaedt. Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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