Bauers Depeschen


Mittwoch, 04. März 2009, 293. Depesche



Seit Mickey Rourke in "The Wrestler" ein grandioses Comeback feiert, ist Catchen auch hierzulande ein Thema (siehe Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer). Hier die kleine Geschichte eines Profis, der weiß, wovon er redet.



DER MANN, DER MIT DEM BÄREN KÄMPFTE

Ein Treffen mit dem ehemaligen Catcher Roland Bock



Vor mir steht, und in diesem Moment fällt mir nichts Stärkeres ein, ein Kerl wie ein Kleiderschrank. 1,91 Meter groß, 150 Kilo schwer, und er sieht mich an, als kenne er mehr Geschichten als tausend und eine aus der Nacht. Er ist weit öfter als tausendmal in den Ring gestiegen, er hat nächtens leicht bekleideten Damen in den ersten Reihen zugeblinzelt und gegnerische Fleischberge verprügelt, bis Blut geflossen ist. Nicht Ketchup. Echtes Blut.

Vor dieser Zeit, als Sportsmann mit Amateurstatus, hatte er die Konkurrenz noch nach den heiligen Regeln der höheren Kampfkunst geschultert. 1970 wurde er sensationell Ringer-Europameister im griechisch-römischen Stil. Sein Leben im Freistil beginnt, als er ins Showgeschäft wechselt. Er tritt als Catcher auf, wird im selben Metier Tournee-Veranstalter und macht seinen bürgerlichen Namen zum Programm: Wer Bock heißt, sagt er, braucht kein Pseudonym.

Roland Bock, 61, in Stuttgart-Feuerbach als Stiefsohn eines sozialdemokratischen Stadtrats groß geworden, hat mir viel zu erzählen. Er war lange Jahre weg, in Thailand, in China. Jetzt, im Sommer 2005, ist er zurück in Stuttgart, unschlüssig, wie es weitergehen wird. Er muss zuerst die Spätfolgen der asiatischen Lungenkrankheit Sars auskurieren.

Als wir uns treffen, ist schnell klar, dass es noch immer ein Fehler wäre, sich mit diesem Mann im dunklen Maßanzug anzulegen. Die Krankheit hat ihn äußerlich nicht geschwächt. Wie auch. Er hat einst im Ring mit einem Braunbären gerungen und im Schlachthof seine Muskeln an den Hörnern eines lebenden Stiers trainiert.

Mit seinem Bären kreuzt Bock 1976 im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF auf, muss den geplanten Schaukampf aber kurzfristig abblasen. Kurz zuvor hat ein Catcher-Kollege seinem Gegner per Kopfstoß eine blutende Platzwunde zugefügt. "Wenn der Bär im Studio das Blut gerochen hätte", sagt Bock, "wäre er verrückt geworden." Bock hatte die Verantwortung. Er war nicht nur Rummel-Ringer, er war auch Manager.

Wir sitzen in der Kneipe beim Essen. Es sei ihm nicht schlecht gegangen all die Jahre in der Fremde, sagt Bock und rühmt die Liebenswürdigkeit der Asiaten, die Möglichkeit, dort sorglos zu leben. Sein Auskommen, sagt er, habe er mit Projektentwicklungen verdient. Geschäfte, du weißt schon. Er hat viele Geschäfte gemacht in seinem Leben, nicht immer erfolgreich.

1965 führt ihn das Stuttgarter Fachblatt "Sportbericht" als "die große deutsche Ringerhoffnung", 1970 ist er Europas Größter im Superschwergewicht, 1972 Olympiakandidat für München. Im selben Jahr soll er in Kattowitz seinen Titel verteidigen.

Die ersten Schultersiege hat er bereits hinter sich, als er - geplagt von Fieber und Durchfall - auf sein Zimmer flüchtet. Vielleicht, denkt er, ist dem Arzt bei der üblichen Spritzenbehandlung ein Kunstfehler unterlaufen. Der Verbandspräsident aber will ihn zum Kämpfen zwingen - und Bock rastet aus. Er wird zwei Jahre gesperrt, verpasst Olympia und wechselt ins Lager der Professionals.

Zwar hat der gelernte Bankkaufmann inzwischen ein Studium als Sport- und Werklehrer absolviert und sich als Ringrivale von Wilfried Dietrich, dem "Kran von Schifferstadt", einen Namen gemacht. Aber im Catchermilieu, wo Rotlicht-Größen wie der ehemalige Boxer "Prinz von Homburg" alias Norbert Grupe und Show-Freaks wie der Koloss André the Giant den Affen machen, lockt das große Geld. In verrauchten Sporthallen und Zirkuszelten - wie auf dem Cannstatter Wasen - schleudert Bock als gefürchteter Jahrmarktsgladiator Gegner und Ringrichter reihenweise aus dem Ring. Pro Abend kassiert er einen Tausender, im Jahr bestreitet er über 300 Kämpfe.

Bei unserem Gespräch fährt er die Arme aus, zeigt, wie er die Kohle angehäuft und haufenweise rausgeworfen hat.

Ende der Siebziger besitzt er Kneipen und ein Hotel, als ihm der entscheidende Fehler unterläuft. Bock finanziert eine Europa-Tour mit dem japanischen Karate-Killer Inoki, der zuvor gegen Muhammad Ali angetreten ist. Als Inoki, geplagt vom Jetlag, in Deutschland eintrifft, ist er nicht mehr "gelb, brutal und unerbittlich", wie es auf den Plakaten heißt. Er ist fertig. Die Tour endet als Fiasko. Bock, zuvor als Promoter barbusiger Boxerinnen und Protagonist der Kinokomödie "Hurricane Rosie" gut über die Runden gekommen, geht finanziell zu Boden. Juristischen Problemen folgt eine, sagen wir: schöpferische Pause.

Anfang der Achtziger meldet er sich ein letztes Mal in der Öffentlichkeit zurück: In Ludwigsburg plant er den Live-Club Rockfabrik. Der Laden, eine stilsicher angelegte Arena für Hard & Heavy, dem Soundrack der Wrestler, existiert noch heute, und jeder Gast hat irgendwann die Geschichten vom ehemaligen Besitzer der Rockfabrik gehört. Man spricht von "der Legende", und die lebt.

Roland Bock erzählt zum Abschied, wie er früher seine Gäste am Eingang der Rockfabrik Markstücke in die von ihm erfundenen Klamottenschließfächer werfen ließ. "Andere Wirte haben damals Garderobenpersonal bezahlt", sagt er. "Ich dagegen habe kassiert." Und dann schlägt er mir so diebisch grinsend auf die Schulter, als hätte er wenigstens dieses eine Mal das große Los gezogen, damals im Kleiderschrankgeschäft.

P. S.: Roland Bock ist wieder in Asien.



REKLAME:

Flaneursalon-Termin: Mittwoch, 18. März 2009, 20 Uhr.

Restaurant-Theater Friedenau, Rotenbergstraße 127, Stuttgart-Ost.

Mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Karten: 07 11 / 2 62 69 24.

Immer noch suche ich einen Ost-Agenten für die Propaganda!



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