Bauers Depeschen


Mittwoch, 16. April 2008, 137. Depesche

Diese kleine Geschichte gehört eigentlich schon auf diese Seite, Frau Mirjam mit jott, auch wenn der Text nicht aus der gepflegten Sofaperspektive, sondern aus dem getrübten Rückspiegel kommt:



BRAUN GERÖSTET



Sieben Uhren habe ich in der Nacht zum 30. März 2008 umgestellt. Telefon, Fax, DVD-Rekorder, Mobiltelefon, Armbanduhr, Wecker und die alte, hässliche Büro-Uhr mit der Aufschrift "Die Zeit läuft für die Stuttgarter Kickers".

Sieben Uhren ticken auf Sommerzeit.

Old Firehand hat den Sommer seines Lebens überschritten.

Es ist, glaube ich, gerade Mode, die Uhren der alten Säcke neu zu stellen. Alle lieben auf einmal wieder Udo Lindenberg, so wie alle wieder Johnny Cash lieben. Ich bin zum Platten-Ratzer in die Paulinenstraße gegangen und habe Udo Lindenbergs neue CD "Stark wie Zwei" geholt. Zu Hause habe ich reingehört und gesagt: Es ist keine Schande, auf die alten Säcke zu hören. Ich habe mit fünfzehn Clint Eastwood verehrt, und ich verehre ihn immer noch, er liegt auf meiner Verehrungsliste knapp vor Tommy Lee Jones und dem Mineralbad Berg.

Lindenberg singt in seinem Lied "Ganz anders":

Du hast bestimmt 'n falsches Bild von mir / so was wie 'n echten Kujau /

es tut mir leid, da kann ich nix dafür / denn mein eigentliches Ich ist im Urlaub.

Der alte Udo, dachte ich, der weiß Bescheid, er erinnert sich noch an den echten Kujau. Der alte böse Konrad ist tot, aber bald werden sie ihn aus dem Sarg holen, es läuft bereits die Jubiläumsuhr: Vor 25 Jahren, im Mai 1983, als Lindenberg mit dem "Sonderzug nach Pankow" seinen DDR-Auftritt vorbereitete (ich bin dann wie andere Pressefritzen mitgefahren), wurde der größte Fälscher-Coup des Jahrhunderts aufgedeckt. Konrad Kujau hatte Adolf Hitlers "Tagebücher" mit Hilfe der Stasi getürkt und für einige Millionen D-Mark an den "Stern" verhökert. Die Stuttgarter Nachrichten meldeten, hinter dem Bluff mit den Führer-Kladden stecke ein Stuttgarter Kunstmaler und Militariahändler aus Heslach. In der Heslacher Schreiberstraße unterhielt Kujau einen Ramschladen.

Hätte sich der Reporter, der den Fall bearbeitete, öfter in der Altstadt herumgetrieben, wäre der Medienskandal früher aufgeflogen: Konrad Kujau, im Milieu als "Champagner-Conny" berüchtigt, hatte schon wochenlang im Leonhardsviertel die Sissy Bar (gibt es nicht mehr) und die ebenso rotbelichtete Bier Bar (bis heute unversehrt) mit brandneuen Scheinen aufgemischt. Diskretion war nicht sein Ding.

Als ich ihn zum ersten Mal traf, gingen wir in die Gaststätte See in der Böheimstraße, in der auch der alte Kickers- und Milieumusikant Kurt "Kotlett" Hörber mit seiner Geige auftrat. Conny bestellte "Limonade", das war sein Kürzel für Sekt mit Orangensaft. Den süßlichen Klebstoffgeruch habe ich heute noch in der Nase.

Stuttgart war damals für die Uneingeweihten ein Kaff, es wurde weder in der "FAZ" noch im "Merian" als Lifestyle-Dingsbums gefeiert. Wenn man sich jedoch auskannte, waren die Nächte voller Abenteuer. Kujau hatte nächtens das Papier für Hitlers Memoiren so lange im Backofen geröstet oder mit dem Bügeleisen bearbeitet, bis es den Fischköpfen vom "Stern" braun genug erschien. Die waren ohnehin blind, der Dollarblick hatte ihnen das Augenlicht genommen und den Verstand geraubt.

1992 ging ich mit Kujau - er war nach ein paar Jahren Knast längst wieder auf freiem Fuß - ins Kino: Wir schauten Helmut Dietls Komödie "Schtonk", den Kabarett-Film zur Fälschung, an. Götz George spielte Kujaus Hamburger Geschäftspartner, den im Naziwahn durchgeknallten Reporter Heidemann. Nie werde ich vergessen, wie Kujau ein ums andere Mal aus dem Sitz hochsprang, mir in die Rippen boxte und mit heiserer, vom Kehlkopfkrebs gezeichneter Stimme japste: "Genau so war das. Der Heidemann hatte einen an der Waffel."

Zuletzt habe ich Kujau bei einem Boxkampf in der Schleyerhalle getroffen. Er hielt mir seine Kanone unter die Nase und sagte, er werde mich umbringen. Warum, weiß ich nicht mehr. Es gibt immer einen Grund, jemanden umzubringen. Im September 2000 ist Konrad Kujau an Krebs gestorben. Als ich neulich die Uhren umstellte und den neuen Lindenberg hörte, dachte ich: Sing, alter Udo, sing. Ich hab das Bild noch vor Augen, den echten Kujau.



(© 2008 Stuttgarter Nachrichten)

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