Bauers Depeschen


Donnerstag, 15. März 2018, 1919. Depesche

 

++++ IN DIESEM JAHR FEIERN WIR 20 JAHRE FLANEURSALON ++++

Meine allererste Leseshow fand 1998 im Gustav-Siegle-Haus statt ...



VORVERKAUF LÄUFT:

FLANEURSALON IN CANNSTATT

Einen der wenigen FLANEURSALON-Abende in diesem Jahr machen wir am Donnerstag, 19. April, in Cannstatt - in erlesener Besetzung im schönen Saal des Stuttgarter Stadtarchivs, neben der Kulturinsel. Die Sängerin Marie Louise ist mit ihrem Gitarristen Zura Dzagnidze bei uns, der junge syrische Sänger/Gitarrist Mazen R Mohsen tritt auf, Loisach Marci muss wieder ran - und Timo Brunke führt durch den Abend. Meine Stuttgarter Lieder- und Geschichtenshow ist offiziell im Beiprogramm der Stadtarchiv-Ausstellung "Kessel unter Druck - Protest in Stuttgart 1945 - 1989". Und womöglich hab ich zu diesem Thema nebenbei auch ein paar Sätze in meinem Kessel. Das Stadtarchiv ist ohnehin einen Besuch wert: Man nennt es das "Gedächtnis der Stadt". Der Vorverkauf hat begonnen. Hier der Klick RESERVIX



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

EINFALT

Ich war nie arm, hatte immer Arbeit und ein vergleichsweise sorgenfreies Leben. Bei meiner Weltsicht hat das mit einer gehörigen Portion Glück zu tun.

Seit Kurzem wohne ich südlich des Wilhelmsplatzes. Von meiner Wohnung kann ich die Marienkirche, die Karlshöhe und den Fernsehturm sehen. Dafür steige ich vier Stockwerke hoch. Mein neues Zuhause bekam ich – ohne richtig gesucht zu haben – durch Zufall, Dusel, Freundschaft. Undenkbar, in Stuttgart auf herkömmliche Weise eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Neuerdings komme ich auf dem Weg zur Straßenbahn an der Schwäbischen Tafel in der Hauptstätter Straße vorbei. Diese Lebensmittelstation für Menschen mit wenig Geld, auch Bedürftige genannt, liegt am Österreichischen Platz, einem Schreckensort Stuttgarter Stadtplanung. Bisher warf ich im Vorübergehen nur einen flüchtigen Blick auf die Menschen vor der Tafel. Würde ich aus Neugier stehen bleiben, käme ich mir vor wie einer dieser Gaffer bei Unfällen.

Ein Laden der Schwäbischen Tafel, bestückt mit ausrangierten Lebensmitteln ohne Wert für den sogenannten Wirtschaftskreislauf, ist allerdings alles andere als ein Unfallort. Hier ist kein unvorhersehbares Unglück geschehen. Wir sehen in der Tafel die Folgen von Politik und Wirtschaft in unserem Land. „Stuttgart erwacht . . . und 66 000 Menschen in der Stadt grübeln, wie sie an diesem Tag über die Runden kommen sollen“, liest man in der Broschüre der Einrichtung.

Über die Tafeln sind viele berührende Reportagen geschrieben und gedreht worden. Zurzeit machen sie wieder einmal bittere Schlagzeilen. Erst wurde in Essen deutsche Kundschaft gegenüber Migranten bevorzugt, dann tat sich der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit bemerkenswerter Arroganz hervor. In Deutschland, sagte er, seien Tafeln nicht notwendig, auch ohne sie müsse bei uns niemand hungern. Im Übrigen habe mit Hartz IV „jeder das, was er zum Leben braucht“.

Gleichzeitig berichtete „Der Spiegel“, immer mehr Menschen nutzten die Tafeln wegen der „knappen Hartz-IV-Bezüge, die sich am Existenzminimum ausrichten“ – das aber werde „mit Wissen der Regierung seit Jahren zu niedrig berechnet“.

Spahn erntete für seine Sätze reichlich Kritik, unter anderem wegen Realitätsfremdheit. Ich weigere mich jedoch zu glauben, einer wie Spahn könne, selbst wenn er einen Haufen Geld und Privilegien hat, nichts vom Elend der Armut wissen. Wahrscheinlicher ist, dass er mit solchen Sätzen seine neoliberale Politik zementieren will: Deutschland hat ein gutes Sozialsystem. Basta. Es gibt keinen Grund, etwas zu ändern. Der Staat hat seine Schuldigkeit getan. Amen.

Es fällt immer schwerer, Menschen, die das Sagen haben, zu folgen. Unlängst musste ich, nach einem Blitz aus heiteren Himmel, ein paar Tage ins Krankenhaus (hatte am Ende aber Glück). Als ich mit dem Notarztwagen eingeliefert wurde, hörte ich, wie eine Ultraschallunter­suchung diskutiert wurde. Anscheinend herrschte an jenem Morgen Personalnot. Eine Sonografie schien unmöglich – bis aus dem Hintergrund jemand bemerkte, der Patient sei privat versichert. Prompt wurde die Untersuchung meiner (tadellosen) Pumpe durchgeführt.

In der Klinik las ich mehr Zeitungen als daheim. In einem Interview im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen“ mit dem Siemens-Chef Joe Kaeser über die geplanten Massenentlassungen seines Unternehmens in Görlitz stieß ich auf diesen Satz: „Mich beschäftigen die Schicksale der Menschen. Meine älteste Tochter hat vor Kurzem zu mir gesagt: ,Papa, Jobs sind nun mal wichtiger Bestandteil im Leben.’ Das hat mich echt nachdenklich gemacht.“

Mag echt sein, dass ich noch angeschlagen bin. Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie einem Unternehmer mithilfe seiner Tochter die Erleuchtung kommt, für Menschen in unserer Turboleistungsgesellschaft sei ein Arbeitsplatz womöglich nicht ganz unwichtig. Nicht erst wenn man an einer Tafel vorbeigeht, fragt man sich, was ein solcher Satz in einem Interview zu suchen hat, das die Medienprofis des Konzerns autorisiert haben. Kann ein Unternehmer mit seiner leierkastenmäßig beschworenen Verantwortung eine solche Aussage ernst meinen? Oder dient sie nicht vielmehr als billige emotionale Effekthascherei auf der PR-Bühne, ähnlich dem singenden Töchterchen eines Tycoons in einem Tränenmusical?

In derselben Ausgabe der „Süddeutschen“ war im Feuilleton unter der Überschrift „Idioten“ ein Essay über narzisstische Männer zu lesen. Darin beleuchtet der Autor Alexander Gorkow unter anderem Kaesers Auftritt beim Wirtschaftsgipfel in Davos – „als sich 15 Konzernlenker, also mehrheitlich Männer mit eingebildetem Vorbildcharakter, noch während des Abendmahls in den Enddarm des US-Präsidenten verfügten“. Der Konzernchef, heißt es da, „verknallte sich total in diesen Donald Trump und erzählte über seine Gasturbine ein so irres Zeug, dass die Siemens-Pressestelle seither gut zu tun hat. Trump war zufrieden. Und Kaeser der perfekte Idiot.“

Diese Krankenhauslektüre wäre mir längst entfallen, hätte nicht neulich die Theaterlegende Claus Peymann dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eine gewisse „Einfalt“ attestiert – als Antwort auf dessen offenen Brief zu Peymanns Kritik an der Stadtverschandlung durch Stuttgart 21. Der Landesgottvater hatte dem Regisseur zuvor empfohlen, nicht die Politik, sondern „das Volk“ zu tadeln. Schließlich habe das Volk für S 21 gestimmt.

Dass die mit teurer Propaganda, hanebüchener Fragestellung und undemokratischem Quorum beeinflusste Volksabstimmung als ewige Rechtfertigung für die Grünen inszeniert wurde, sei dahingestellt. Wichtiger erscheint mir die Frage: Ist die Einfaltspinsel-Vermutung im Blick auf mächtige Männer wie Spahn, Kaeser oder Kretschmann angebracht? Nein. Hinter ihren Worten steckt Methode. Niemand sollte so einfältig sein, solche Herrschaften für geistig arm zu halten.



 

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