Bauers Depeschen


Samstag, 07. Oktober 2017, 1857. Depesche



 



Es gibt noch Restkarten für den FLANEURSALON am Dienstag, 17. Oktober, im Club Four 42 in Untertürkheim. Beginn 20 Uhr. Mit Rolf Miller, Loisach Marci, Anja Binder: EASY TICKET



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

VIEL HOLZ

Es passt zu diesem Viertel, dass ich im Kurzärmelsommer bei strahlend blauem Himmel ankomme – und es wenige Stunden später im stürmischen Kapuzenherbst bei heftigem Regen verlasse.

Überhaupt ist das bisschen Stuttgart, das wir haben, ziemlich durcheinander. Wenn ich durch die enge Rosenstraße in der Nähe des Charlottenplatzes gehe, bewege ich mich erst im Stadtteil Rathaus und dann, kurioserweise, im Stadtteil Heusteigviertel – jedenfalls wenn es nach dem Reißbrett der Bürokraten geht. In Wahrheit bin ich im Bohnenviertel, Stadtteil Rathaus, Bezirk Mitte. Alles klar?

Auch ein Teil der schnurgeraden Olgastraße, der östlichen Grenze des Bohnenviertels, gehört zum Stadtteil Rathaus. Ich treffe mich zum Kopfsteinpflasterspaziergang mit Diana Balser-Steck. Seit 1993 führt sie mit ihrem Mann Wolfgang die Designmöbel-Galerie fifty fifty in der Olgastraße 47 – Blick auf die Brennerstraße im Bohnenviertel. Zuvor war ihr Geschäft direkt im Quartier, in der Wagnerstraße. Sie wohnt in Birkach. „Egal, wo du wohnst“, sagt sie, „wer im Bohnenviertel arbeitet, lebt auch dort.“

Sie erinnert sich, wie in den siebziger Jahren die Menschen mit Mut und Ideen um den Erhalt ihres Viertels und gegen geplante Büroklötze kämpften. Damals hat die Stadt noch selbst Sozialwohnungen gebaut und die Menschen nicht den Investoren und Miethaien ausgeliefert. Allerdings hat die Stadt auch angeordnet, dass Stuttgarts historisches Zentrum von einer Stadtautobahn auseinandergerissen und das Bohnenviertel und das angrenzende Leonhardsviertel ins Abseits gedrängt wurden.

Als vor einiger Zeit ein Autofahrer im Wirrwarr unserer Zeit von der Olgastraße abgekommen war, musste eines der fifty­fifty-Schaufenster provisorisch mit Holzplatten abgedeckt werden. Damit die tonnenschwere Scheibe ausgewechselt werden kann, braucht man im Stadtteil Rathaus eine Parkerlaubnis aus dem Rathaus für einen Tieflader. Monate sind seit dem Antrag vergangen und die Bretter vor den Köpfen noch immer nicht verschwunden.

Im Quartier gibt es aber auch Bretter, die die Welt bedeuten. Nicht nur die Kneipe namens Brett. Wir gehen zur Schreinerei Zwinz, seit 2003 in der Weberstraße 57. Mitten in der Stadt. Ein stattliches Unternehmen mit zehn Mitarbeitern auf mehreren Stockwerken eines schönen alten Hauses, einst Domizil der Königlichen Hofglaserei. Bei Schreinermeister Rudolf Zwinz arbeiten auch ein Bauingenieur und eine Architektin – es geht um ganzheitliche Raumgestaltung mit massivem Holz. Hin und wieder werden Material und Maschinen in der Werkstatt weggeräumt und Freunde des Hauses zu einem Konzert eingeladen. Neulich spielten Tango-Musiker in der Schreinerei. Handwerk ist nicht nur Arbeit, sondern auch Haltung.

In der Wagnerstraße, unter anderem Adresse des Restaurants Basta mit dem Cocktailvirtuosen Markus als Chef, führt ein Mann mit dem poetischen Namen Fabio Fabian ein Geschäft mit verschnörkelter Schrift an der Fassade: „Antike Möbel Restauration“. Der Schreiner und Restaurator hat die Werkstatt von seinem Vater Hugo Fabian übernommen. Vor unserer Nase steht ein Kübel Knochenleim. Fabio zeigt uns Bilder von Möbeln mit Gold- und Perlmuttverzierungen. Und da wir bei Brettern sind: Ein Nachbar des Restaurators ist seit mehr als einem halben Jahrhundert die ­Schreinerei Thomas Hasselwander.

Allen, die im Bohnenviertel arbeiten, müsste man eigene Geschichten widmen. Menschen wie Brigitte Durst mit ihrem Laden „Edel und Schräg“ oder Boris Golfmann, der sein Geschäft clever „Uhrmacher im Bohnenviertel“ nennt.

Ich habe keine Ahnung, was wirklich mitten in der Stadt gearbeitet wird. Die Mitte beanspruchen bekanntlich verschiedene Einkaufszentren für sich, und beim Tratsch über ein Viertel rangieren Kneipen weit vor Handwerksbetrieben und Läden. Ranglisten mit Stadtnischen richten sich ja nicht nach den Eindrücken entschleunigter Herumstiefler, sondern nach den Tresenträumen hipper Szenehüpfer.

Thema Tresen: An den Fenstern der legendären griechischen Debattier- und Abhängerkneipe Odyssia in der Brennerstraße steht inzwischen der Schriftzug: „Habe die Ehre“. Zurzeit wird im Haus ein österreichisches Lokal eingerichtet. Dass John Wettern und seine Frau Conny das Bistro Brenner abgegeben haben, ist ­bekannt. Dass die neuen Wirtsleute in der Brennerstraße Sabrina Brenner und Marco Gast heißen, passt wie bestellt zum Viertel.

Wehmut kommt auf, als wir in der Wagnerstraße am afrikanischen Lokal Injeera vorbeigehen. An der Fassade ist noch der frühere Name zu lesen: „Eger“. In dieser Bierkneipe, geführt von Sabine und „Obi“ Oberkamm, trat Ende der Achtziger regelmäßig der englische, in Stuttgart lebende Musiker Richard „Cheese“ ­Hampson von der Rock‘n‘Roll-Band Helter Skelter auf. „Wenn er im Eger gespielt hat, haben wir auf dem Tisch getanzt“, erinnert sich Diana. Vor wenigen Tagen ist Cheese nach schwerer Krankheit mit 70 Jahren gestorben. Er war ein feiner Kerl, sein Markenzeichen eine vom Leben befeuerte Raucherstimme ohne Filter.

Vielleicht bin ich aufs Bohnenviertel nur gekommen, weil ich neulich im U-Bahn-Kiosk des Café Nast am Charlottenplatz die Kaffeesorte „Bohnenviertele“ von Hochland entdeckt habe. Das Quartier hat es zu einem gewissen Mythos gebracht, wird aber dennoch ständig mit dem Leonhardsviertel verwechselt. Die nach dem Zweiten Weltkrieg künstlich gezogene Grenze an der Pfarrstraße in Höhe der Leonhardskirche ist politischer Humbug. Zum Glück arbeitet seit einiger Zeit eine Bürgerinitiative daran, beide Quartiere wieder unter ihrer historischen Bezeichnung „Leonhardsvorstadt“ zusammenzuführen.

Über das kleine Bohnenviertel zwischen Charlottenstraße und Wilhelmsplatz, Esslinger Straße und Olgastraße gäbe es unzählige Geschichten zu erzählen. Kleiner Tipp: Vor zwei Jahren hat Monika Lange-Tetzlaff unter dem Titel „Bohnenviertel – Streifzüge im Herzen von Stuttgart“ ein 214 Seiten starkes Buch veröffentlicht.

Wir waren nur kurz unterwegs, als der Sommer ging und der Herbst kam. Beim nächsten Mal ist es womöglich umgekehrt.



 

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