Bauers Depeschen


Donnerstag, 20. Juli 2017, 1819. Depesche



 



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Die aktuelle StN-Kolumne:



BEIM BÄCKER

Neulich war ich für eine Kolumne beim Metzger um die Ecke. Jetzt ging es ein paar Meter weiter zum Bäcker. Zwar ist mir nicht unbekannt, dass es ehrbare Handwerker nicht nur in meinem Viertel gibt, aber am meisten lerne ich erfahrungsgemäß über meine Stadt, wenn ich zunächst vor der eigenen Tür kehre. Also habe ich, gewissermaßen durch die Hintertür, den Bosch in meiner Nachbarschaft besucht.

Die Bäckerei Bosch ist in Stuttgart weltberühmt, was noch lange nicht heißt, dass ich sie gut kenne. Wenn ich halbwegs ehrlich bin, beschränkt sich meine Ahnung über den täglichen Konsum in einigen Fällen auf die Erkenntnis: Strom kommt aus der Steckdose. Und Brot womöglich aus dem Backofen.

Die Bäckerei Bosch an der Ecke Schwabstraße/Lerchenstraße gibt es seit 1905. Bis 1978 hieß sie Bäckerei Richter, benannt nach dem Gründer Karl Richter, der das Geschäft seinem Sohn Walter vermachte. 1978 übernahm es Bernd Bosch, wie es sich für Handwerker gehört, durch Einheirat. Ich kreuze also noch rechtzeitig in ihrem Geschäft auf: Im kommenden Jahr feiern die Boschs ihr Vierzigjähriges.

Morgens um zehn, wenn der Bäcker bereits an den Feierabend denkt, stehe ich der Backstube und traue meinen Augen nicht: Eine Handvoll Männer sind an der Arbeit. Ich habe immer gedacht: Klein, wie der Laden von außen wirkt, stemmt das ein Mann allein, vielleicht geht ihm noch ein Azubi zu Hand – mit Laib & Seele, wie der Kalauerdichter sagt.

Eine Weile schaue ich zu, wie die frisch geflochtenen Brezeln in den Ofen geschoben werden. Sie kommen direkt auf die Platte, sagt Justin Bosch (36), der Meister. Direkt auf die Platte bedeutet: besonderer Geschmack. Justin, Bernd Boschs Sohn und Nachfolger, hat einst in der Bäckerei Klinsmann in Botnang, bei den Eltern des Fußballstars, seinen Beruf erlernt. Seit 2013 ist er sein eigener Chef. Draußen hat es an diesem Tag 30 Grad, in der Backstube dürfte es etwas wärmer sein. Der Meister nimmt mich mit in sein Büro im ersten Stock. Um halb zwei hat er zu arbeiten begonnen, inzwischen ist das Ende in Sicht, wir können entspannt plaudern. Er wirkt so aufgeweckt und munter, wie man sich einen Menschen nicht vorstellt, der eine Nacht lang geschuftet hat. Er freut sich auf den freien Nachmittag, vielleicht wird er mit seinem Rennrad noch ein paar Runden drehen, er fährt leidenschaftlich gern.

An Bosch, laut Werbung der „Brezelbäck“, kommt im Westen der Stadt kaum einer ungestreift vorbei: Die Kundenschlange samstagmorgens vor dem Laden ist berüchtigt. Oft 30 Meter lang, egal ob Wolkenbruch, Eis oder Schnee. Das Wetter ist übrigens nicht unwichtig fürs Backen. Bei Nässe werden Brezeln schon mal „lätschig“, sagt Justin. Das Klima steuert auch die Lust aufs Essen. „Heute ist wieder Fresswetter“, hat Justins Oma früher prophezeit, wenn es weder zu nass noch zu heiß war.

Lange habe ich geglaubt, an diesem Ort in der Nähe des Rosenbergplatzes, neben dem Obst- und Gemüseladen Grünes Eck, müsse irgendeine Weltsensation die Kunden locken: eine „Knusper, knusper, Knäuschen“-Erotik wie am Hexenhaus im Märchen. Das Objekt der Begierde ist aber schlicht und einfach gutes, schmackhaftes Brot. Sagt Justin, bei dem fünf gelernte Bäcker arbeiten, darunter ein weiterer Meister als Teigmacher. Hinzu kommen zwei Konditoren und im Laden sechs Fachverkäuferinnen, aus Justins Familie die Schwestern Fanny Gutekunst und Leonie Schoch.

Wenn ich an einer guten Bäckerei vorbeikomme, fällt mir Erwin Keuschs berührender Film „Das Brot des Bäckers“ aus den siebziger Jahren ein. Die so traurige wie hoffnungsvolle Geschichte des Bäckers Baum und seines Lehrlings Werner, die sich gegen die Übermacht eines neuen Supermarkts mit seinen billigen Industrieprodukten und den Untergang ihres Kleingewerbes wehren.

Inzwischen sind 40 Jahre vergangen, und zum Glück gibt es bis heute noch eigenständige Bäcker in der Stadt. Bosch mit seinen 14 Fachleuten ist ein mittelständischer Betrieb, von Kleingewerbe kann man da nicht mehr reden. Der enge Laden mit Platz für ein Dutzend Kunden bringt täglich gut 1800 Brezeln unter die Leute. Daneben werden 25 Brotsorten, Kuchen und Torten angeboten. Was mal nicht verkauft wird, geht an das Männerwohnheim am Feuersee oder an einen Tafel-Laden. Weggeworfen wird nichts.

Ein Anruf beim Landesinnungsverband klärt mich auf, dass es nahezu unmöglich ist, angesichts der vielen unterschiedlichen Geschäfte und Filialen die noch selbst produzierenden Bäckereien in der Stadt präzise zu erfassen. Einigen wir uns darauf: Betriebe, die organisatorisch im Stil der Boschs arbeiten, gibt es in Stuttgart noch etwa 25 bis 30. Die Frage nach der Qualität ist damit allerdings nicht beantwortet.

Sie sind jung, sage ich zu Justin, was eigentlich finden Sie geil am Bäckerberuf? Antwort: „Geil ist, dass wir alles, was wir verkaufen, selber produzieren.“ Der alte, oft schon vergessene Stolz auf die Handwerkskunst blitzt durch: „Bei unserer Arbeit können wir sehen, wie etwas durch unsere Hände entsteht.“ Er spricht nicht wie andere von einem bedrohlichen Nachwuchsproblem im Metier und klagt auch nicht über die Arbeitszeiten: Beginn in der frühen Nacht, der Zwang, schlafen zu gehen, wenn andere Leute in die Kneipe, ins Kino oder zu einer Show aufbrechen. Justin ist erleichtert, dass der VfB wieder aufgestiegen ist – in der ersten Liga gibt es keine Montagsspiele. Seit 20 Jahren steht er an den Wochenenden mit Dauerkarte in der Cannstatter Kurve. Fußball pur passt zu ihm: das Bodenständige. Er hält nichts vom Ernährungskult, ist unbeeindruckt vom Bio-Boom. Lieber vertraut er traditionellen Rezepten – und erzählt mir etwas von der elementaren Bedeutung des Sauerteigs.

Geht es ans Eingemachte, um die Kunst des Backens, könnte einem angesichts meiner Ahnungslosigkeit leicht der Spruch einfallen, ich sei „dumm wie Brot“. Wie aber muss man gebacken sein, um sein mickriges Hirn über ein gescheites Brot zu erheben.



 

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