Bauers Depeschen


Dienstag, 27. Juni 2017, 1808. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

hier ein paar Hinweise auf bevorstehende Aktionen und Veranstaltungen:



Montag, 3. Juli, Stuttgarter Marktplatz:

STOPPT DEN AUSVERKAUF DER STADT!

Für Menschen bauen – nicht für Profite!​

​Immer mehr Menschen in Stuttgart und Umgebung sind von Mietexplosion, Abrisswahn und Wohnungsnot betroffen. Am 3. und 4. Juli feiern Politiker und Größen der Bauwirtschaft ihren „10. Immobilien-Dialog Region Stuttgart“ im Rathaus. „Investoren sind in der Region Stuttgart willkommen, denn die Wachstumsperspektiven bleiben trotz knapper Flächen weiterhin gut“, verkündet die Agentur Heuer-Dialog als Veranstalter. Das AKTIONSBÜNDNIS RECHT AUF WOHNEN ruft auf zum Protest gegen diese Immobilien-Kungelei und die Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen aus unserer Stadt. „Für Menschen bauen – nicht für Profite!“ – unter diesem Motto treffen wir uns am Montag, 3. 7., zu einer Aktion auf dem Marktplatz. Beginn 19 Uhr. Bitte Trillerpfeifen u. ä. mitbringen. Die Aktion wird unterstützt von Ver.di und den Anstiftern.



DONNERSTAG, 20. JULI: VON WEGEN NIEDLICH

Ein Abend zu Ehren des Buchhändlers Wendelin Niedlich, der am 31. August seinen 90. Geburtstag feiert. Stadtbibliothek am Mailänder Platz, 19.30 Uhr. Mit Wolfgang Dauner, Jan Peter Tripp, Joe Bauer, Hans Peter Breuer, Günter Glauben & Hermann Lenz, Georg Dietl, Ekkehard Rössle & Peter Grohmann. - Anmeldung bei der Stadtbibliothek unter Tel. 0711/21691100 oder 0711/21696527.



MONTAG, 24. JULI:

Spezielle Montagsdemo der S-21-Gegner zusammen mit anderen politischen Initiativen: "Druck in den Kessel - Für ein anderes Stuttgart". Moderation Sidar Carman & Joe Bauer. Schlossplatz, 18 Uhr.



MITTWOCH, 26. Juli

Ein kleiner Erinnerungsabend zum 80. Todestag der Stuttgarter Kriegsfotografin Gerda Taro. Gerda-Taro-Platz, 18 Uhr. Es sprechen die Taro-Biografin Irme Schaber, der Historiker Michael Uhl und unsereins. Musik zum Thema macht STEFAN HISS.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



GEFRIERPUNKT

Ich gehe die Heilbronner Straße abwärts, morgens um sieben, wenn die Welt in Unordnung ist. Auf dem Weg Richtung Hauptbahnhof, wo sich zum Europaviertel hin die Beton- und Glasklötze in die zerstörte Landschaft türmen, stiefle ich über den schmalen, leicht erhöhten Mittelstreifen zwischen den sechs Spuren. Ich komme mir vor wie im Film, taumle im Abgas wie der letzte lebende Infanterist einer Panzerschlacht, heute SUV-Battle genannt.

Womöglich sind die Tage der Heilbronner Straße gezählt. Nicht etwa weil diese Stadtautobahn eine scheußliche Schneise in die Topografie des Kessels geschlagen hat und dringend beseitigt werden müsste. Nach dem Willen von CDU & Co. soll sie in Helmut-Kohl-Straße umgetauft werden.

Der Ex-Kanzler mit der Lizenz zum Aussitzen war gerade mal drei Tage tot und die himmlische Welthymne auf ihn noch lange nicht verklungen, da sprangen die Straßenkämpfer der Stuttgarter Jungen Union aus ihren Bürostühlen und forderten für ihren Mentor eine bleibende Adresse auch auf Erden. Im Mediengetöse um den Abschied des alten Mannes galt es, keine Minute zu vergeuden, um auch noch die letzten Hinterbänkler der Provinz ins Spiel zu bringen.

Kohlmania und Helmut-forever-Fieber breiten sich längst flächendeckend aus. Auch in Reutlingen fordern die C-Klasse-Hipster eine Straße für ihren toten Leader. In Frankfurt wollen schwarze Überflieger den Flughafen nach Kohl benennen. Und in Rheinland-Pfalz sollen nach dem Willen von JU und Jungen Liberalen sämtliche Karl-Marx-Straßen ihres Landes auf den Namen des Ex-Kanzlers umgetauft werden. Bekanntlich ist der Philosoph Marx in Trier geboren und in seiner Heimat noch hie und da präsent. Man muss sich in diesem Fall über das Geschichtsbewusstsein der zensurfreudigen Parteizöglinge nicht wundern. Für Neoliberale geht es immer nur um das eigene Kapital.

Nach wie vor beherrschen das Familienzerwürfnis der Kohls und der Lärm um die Trauer-Events Medien und soziale Netzwerke: Der Tod ist, frei nach Paul Celan, ein Zeremonienmeister aus Deutschland. Nach altem Brauch melden Parteisoldaten schon kurz nach dem Ableben ihrer Helden Besitzansprüche an und entwerfen Eroberungspläne im öffentlichen Raum. Auch Konrad Adenauer erhielt noch im Jahr seines Todes ein Stuttgarter Straßenschild: 1967 wurde zwischen Staatstheatern und Staatsgalerie eine Stadtautobahn nach ihm benannt – die man heute am liebsten versenken würde, wenn auch nicht wegen ihres Namens. Die Willy-Brandt-Straße wurde 1993, im Jahr nach dem Tod des Sozialdemokraten, eröffnet. Elf Jahre später war diese Adresse ein Ort wirklicher Trauer: Ein nächtliches Abrisskommando hatte die denkmalgeschützten Häuser aus dem 19. Jahrhundert dem Erdboden gleichgemacht.

Den Kanzlerkollegen Otto von Bismarck hat Stuttgart übrigens schon zu Lebzeiten geehrt: 1884 wurde ein Teil der Oberen Schloßstraße im Westen auf seinen Namen umgetauft. Gleichzeitig erhielt er einen Platz. Bis 1890 war er Reichskanzler. Acht Jahre später starb er. Gegen die Umbe­nennung ihrer Schloßstraße protestierten damals nicht wenige Stuttgarter. Voller Spott schrieb 1885 ein Bürger im „Beobachter“, er wehre sich dagegen, „einer Stadt einen Straßennamen aufzuoktroyieren, für welchen nur bei einem kleinen Bruchteil der Einwohnerschaft die Sympathie den Siedepunkt überschritten hat“, während sie bei einem weit größeren „tief unter dem Gefrierpunkt liegt“. Die Bismarck-Verherrlichungen in der Stadt existieren bis heute.

Nur die Fans des Ex-Kanzlers Kurt Georg Kiesinger mussten eine Weile warten. Erst fünf Jahre nach seinem Tod erhielt das ehemalige NSDAP-Mitglied sein Stuttgarter Denkmal: einen Platz am Bahnhof, den weiß Gott nicht jeder haben möchte.

Zurück auf der Heilbronner Straße. 1936 wurde sie auf ihren heutigen Namen getauft. Vom Bahnhof marschiere ich zum Wartberg, dieser schönen, meist verlassenen Talmulde mit dem Egelsee an der Löwentorbrücke – einer meiner Lieblingsplätze. Auf dem Weg habe ich allerdings reichlich Gift geschluckt. Gegenüber dem Einkaufszentrum Müllaneo im sogenannten Europaviertel steht ein Glas- und Betonkasten, den ich zuvor immer nur wegen seines Firmenlogos wahrgenommen habe: Es erinnert an den gekauften Namen des Dortmunder BVB-Stadions. Neben dem Schriftzug des Finanzkonzerns Signal Iduna glänzen an diesem Gebäude – auch Sitz der Handwerkskammer – die roten Buchstaben der CDU. In diesem Haus hat die Partei ihre Geschäftsstellen. Das ­Interesse an der neuen Adresse aber ist selbstverständlich rein moralisch und politisch begründet: Der Name des Europa-Erfinders muss unbedingt an die Autorennbahn neben das Europaviertel, dieses Abbild eines architektonischen Einheitsbreis. Aber was soll‘s: Eines Tages wird der Volksmund die Gegend Kohlpott taufen.

Auf dem Weg in den Norden komme ich an mehreren Läden für Motorradzubehör und an einem stattlichen Tattoostudio vorbei. Zur weiteren Grundversorgung gibt es ­sogar ein Stehcafé. Mit etwas Geduld findet man neben dem Asphaltlärm grüne, einsame Pfade. Damit meine ich nicht rechter Hand den Pragfriedhof, sondern vereinzelte Fußgängerwege gegenüber. Ich gehe der Nase nach, bei einer Rast unterhalte ich mich mit Afrikanern auf dem Gemeindefest vor der schönen Kirche St. Georg, einem Baudenkmal der Neuen Sachlichkeit. Irgendwann lande ich in der Friedrich-Ebert-Straße. Eine abgelegene Gegend. Mehr Aufmerksamkeit gebührt dem ehemaligen Reichspräsidenten ohnehin nicht. Er hat die Revolution verraten.

Allerdings: Im Gegensatz zum Spendensammler Kohl hat der Sozi Ebert ein historisches Verhältnis zu Stuttgart und damit wirklich Anspruch auf eine Straße. Beim Kapp-Putsch im März 1920 floh er mit ­seinem Kabinett vor den rechtsextremen Mördertruppen aus Berlin über Dresden in die württembergische Hauptstadt. Ebert logierte im Alten Schloss, die National­versammlung tagte im Kunstgebäude. Vielleicht erfahren wir 2018 mehr darüber: Zum Hundertjährigen der deutschen Revolution könnte man ein passendes Straßenschild in der Stadt aufstellen.





 

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