Bauers Depeschen


Dienstag, 24. Januar 2017, 1730. Depesche



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



IM EIMER

Es gibt diese Tage, an denen es lange vor Einbruch der Nacht dunkel wird, und nicht jede Unterbelichtung in dieser Stadt kann ich auf den Feinstaub schieben. Dunkel vor meinen Augen wurde es zuletzt am helllichten Sonntag. Die Stiefel für einen Ausritt hatte ich schon angezogen, als ich mir dachte: Welchen Sinn könnte es noch haben, mich irgendwo in der heimischen Prärie herumzutreiben? In Heumaden, Muckensturm oder Obertürkheim, nur um ein paar Merkwürdigkeiten in der Weltabgeschiedenheit für eine Kolumne namens „In der Stadt“ zu notieren?

Das sind die Tage, an denen mir die Stadt weniger interessant erscheint als die letzten Reste des abnehmenden Mondes und es mir nicht mehr gelingt, auch nur einen Zipfel Welt in ihr zu entdecken. Dieses Gefühl kommt auf, wenn die Welt unterzugehen scheint, also gar nicht so selten.

In einer Kurzgeschichte namens „Azur“ des amerikanischen Schriftstellers Kurt Vonnegut bin ich neulich auf ein nicht nur phonetisch erregendes Wort gestoßen: Es lautet „snafu“ und wurde im Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Soldaten geprägt – als Abkürzung von „situation normal, all fouled up“ (Situation normal, alles im Eimer). Kurt Vonnegut (1922 bis 2007) war ein Zukunftspessimist, folglich ein Mensch voller Humor.

Man spricht im Januar 2017 nach Christus, sofern ich die Weltendeuter richtig verstehe, von einer „Zeitenwende“. Angeblich wenden sich die Zeiten, seit der berühmteste Donald dieser Welt mit Nachnamen nicht mehr Duck, sondern Trump heißt. Laut Wikipedia leitet sich der Name Donald von den keltischen Wörtern „dumno“ (Welt) und „dvalo“ (Herrscher/mächtig) ab. Das weiß heute jedes Kind, weil es ja schon im Lifestyle-Laufstall ­gelernt hat, dass Typen wie dieser Donald „spooky“, „creepy“ oder „scary“ sind, also gespenstisch, erschreckend, unheimlich – jedenfalls uncool wie überhaupt „die Staaten“, wie unsere Vorstadt-Hipster sagen.

Man könnte allerdings auch zu dem Schluss kommen, dass die Situation schon deshalb normal und alles wie gewohnt im Eimer ist, weil das amerikanische Präsidentenproblem weiß Gott nicht neu ist. Charlie Chaplin, der 1952 die USA für einen England-Besuch verlassen und dann große Probleme mit der Wiedereinreise hatte, weil ihn die US-Behörden für eine kommunistische Gefahr hielten, sagte später: „Ich würde nicht mal zurückgehen, wenn Jesus Christus Präsident wäre.“ Er blieb in der Schweiz, wo er am 25. Dezember 1977 starb – weshalb wir kommende Weihnachten seinen 40. Todestag und wieder einmal seine großen amerikanischen Filme würdigen werden.

Chaplin kommt mir heute gerade recht, um in meiner Kolumne schon zum dritten Mal – und ohne jede Hoffnung auf Beachtung – den in Stuttgart geborenen Filmautor, Dichter und Kulturmanager Karl Gustav Vollmoeller zu erwähnen. Dieser Weltbürger war einst ein Freund und Begleiter Charlie Chaplins. 1948 starb er in Los Angeles. Die Schauspielerin Ruth Landshoff-Yorck ließ 1951 seine sterblichen Über­reste auf den Stuttgarter Pragfriedhof überführen. Trotz seiner unglaublichen Lebens­geschichte ist er bei uns so gut wie vergessen, weil diese aufregende Stadt bekanntlich spannendere Geschichten behandelt. In einer Arztpraxis entdeckte ich neulich in einem „Lifestyle-Magazin“ den Lieblingswitz des VfB-Präsidenten und ehemaligen Stuttgart-21-Sprechers ­Dietrich: „Der Mittelstürmer humpelt vom Fußballplatz. Besorgt kommt ihm der Trainer entgegen und fragt: ,Schlimm verletzt?‘ Der Mittelstürmer: ,Nein, mein Bein ist nur eingeschlafen!‘“

Die Lust auf Stuttgart-Geschichten verliere ich gelegentlich, wenn mich als Herumstiefler das Gefühl überkommt, im Moment gehe es um wichtigere Dinge als um Heimatkunde. Dann mache ich oft den Fehler, die kleine Welt im Glauben zu meiden, die große in der digitalen Klimperkiste zu entdecken. Donald Trump steht ja nicht nur für eine amerikanische Gruselfigur mit verrutschter Frisur. Inzwischen erinnert er an Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“, das Symbol für die Revolution der Rechten und Nazis, die sich auch in Europa und vor unserer eigenen Haustür anzubahnen droht.

Womöglich wäre es zurzeit wichtiger, die Rechtsextremen in unserem Landtag zu beobachten, als auf dem Friedhof nach den Spuren anständiger Stuttgarter zu suchen. Der Tag könnte kommen, an dem man sich fragen lassen muss: Warum hast du nichts getan?

Diese Art Zukunftspessimismus ist keineswegs nur von schwarzen Gedanken geprägt. Die Haltung „Situation normal, alles im Eimer“ lässt in Wahrheit prächtig viel Spielraum, die Dinge mit Lust anzupacken. Schließlich hätte ich diese GI-Maxime nicht erwähnt, stünde sie nicht im Buch eines Satirikers wie Kurt Vonnegut. Von einem wie ihm kann man lernen: Nicht die Hoffnung – der Humor stirbt zuletzt.

Das haben wir gerade beim Protestmarsch der Frauen in Washington gegen Trump gesehen: Da griff der Präsident als Plakatschreck der Freiheitsstatue in den Schritt, jener Miss Liberty, die der sechzehnjährige Karl Roßmann in Franz Kafkas Roman „Amerika“ bei seiner Ankunft in New York erblickt: „Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“

Diese freien Lüfte waren es, die mich als jungen Kerl ohne Fernseher von Amerika träumen ließen. Und bis heute, nach reichlich verschlissenen Levi’s-Jeans, bin ich überzeugt, dass der eine oder andere von den Amis vernünftigere Dinge gelernt hat, als uns grausame Anglizismen wie „Maultaschen to go“ vorzukauen. Damit bin ich am Ende doch wieder vor der eigenen Haustür gelandet, und selbst wenn ich sie hinter mir zumache, werde ich der Zeitenwende nicht entkommen. Nichts ist mehr, wie es war – aber noch nicht alles im Eimer. Und nicht jedes Hirn eingeschlafen.



 

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